Gestritten wird bis zum Ende

von Redaktion

Hanna-Prozess Staatsanwalt plädiert auf Mord – Verteidigung will Freispruch

Aschau/Traunstein – Sebastian T. lauschte am Freitag (8. März) gespannt, den Kopf erhoben, die Hände gefaltet auf der Tischplatte ruhend. Als Nebenklägeranwalt Walter Holderle von seinen Fähigkeiten im strategischen Denken sprach, schien ein Lächeln um seine Mundwinkel zu spielen. Der 22-Jährige verfolgte den 34. Tag des Aschauer Prozesses offensichtlich konzentriert.

So wie wohl auch die Beobachter im komplett gefüllten Großen Saal des Landgerichts Traunstein. Die Plädoyers standen an, wenn man so will: die Essenz eines Verfahrens mit so vielen Wendungen, Streitigkeiten, Widersprüchen, offenen Fragen. Das Interesse war groß, schon vor der Pforte des Landgerichts standen die Menschen an. Diejenigen, die einen Platz ergatterten, hörten zunächst, wie Richterin Jacqueline Aßbichler die hohe Polizeipräsenz im Gebäude erklärte: Es habe eine Amokdrohung gegeben.

Staatsanwalt
plädiert auf Mord

Der Amokdrohung folgte dicke Luft. Die Stimmung war gespannt, die Standpunkte weit auseinander. Allein schon wegen der Aussagen Dutzender Zeugen und Sachverständiger wirkt der Aschauer Mordprozess wie ein Bergmassiv, durch das die Prozessparteien absolut unterschiedliche Wege suchen.

Auf „gefährliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit Mord“ plädierte Staatsanwalt Wolfgang Fiedler, er forderte für den Angeklagten eine Haftstrafe von neun Jahren und sechs Monaten. Ihm schloss sich Walter Holderle im Namen von Hannas Eltern an. Auf Freispruch hingegen plädierten dagegen die drei Verteidiger – wiederum nicht mit einer Stimme.

Das sei in Ordnung so, sagte Verteidiger Harald Baumgärtl. Die Öffentlichkeit müsse verstehen, dass drei Verteidiger, drei Persönlichkeiten, auch unterschiedliche Ansätze wählten, um das Bestmögliche für den Mandanten zu erreichen. Es war eine milde Umschreibung dessen, was sich zuvor abgespielt hatte. Verteidigerin Regina Rick schoss schwer gegen Richterin Jacqueline Aßbichler und Staatsanwalt Fiedler. Sie las aus dem E-Mail-Austausch der beiden vor, der bereits zu einem Befangenheitsantrag geführt hatte. Darin hatten sich Aßbichler und Fiedler über den neuen Tatvorwurf an Sebastian T. ausgetauscht, der am darauffolgenden Tag von Richterin Aßbichler auch in die Verhandlung eingeführt wurde: gefährliche Körperverletzung plus Mord.

„Da haben wir es schwarz auf weiß, dass der Beschluss schon lange vor Ende der Beweisaufnahme feststand“, sagte Rick. Sie wolle es daher fürs Erste kurz machen: „Mein Mandant ist freizusprechen.“ Später griff sie das Gericht erneut an: Es müsse doch auch entlastende Beobachtungen in Betracht ziehen, in einer „Beweisaufnahme, die diesen Namen auch verdient.“ Das Gericht habe nichts in der Hand gegen Sebastian T.

Staatsanwalt Wolfgang Fiedler sieht das anders. Er stellte eine Indizienkette vor, die in der Tat belastbar erscheint, bestehend unter anderem aus Zeugenaussagen, Vorträgen von Gutachtern, der Auswertung der Mobiltelefone des Angeklagten.

Deren Daten lassen auf exzessiven Porno-Konsum schließen. Gegoogelt habe Sebastian T. nach Begriffen sexualisierter Gewalt. Vor allem aber ein Gewaltporno gebe zu denken, angeklickt kurz vor der mutmaßlichen Tat. Es wirkt nach Fiedlers Worten wie eine Vorwegnahme der Gewalttat in Aschau.

All die Mosaiksteine fügte Fiedler zum Bild eines Verbrechens, begangen von einem unsicheren und mitunter sonderbaren jungen Mann. Immer wieder drohe Sebastian T. die Kontrolle zu verlieren. Am 3. Oktober 2022 habe sich dessen starker sexueller Druck in einer Gewalteruption Luft gemacht, „einem brutalen und sinnlosen Angriff auf eine junge Frau.“ Das veränderte Verhalten T.s nach dem 3. Oktober, seine Neigung, sich mit Alkohol zuzuschütten, spreche ebenfalls deutlich gegen den Angeklagten.

Und dann die Aussage des Mithäftlings. Um Weihnachten 2022 erzählte Sebastian T. dem Zeugen, dass er Hanna W. aus sexuellem Interesse angegangen und sie bewusstlos geschlagen habe, „damit sie sich nicht wehren könne.“ Der Zeuge gehe mit seiner Aussage ein hohes Risiko ein, für das er keine Gegenleistung erwarten dürfe, er wisse Details, die er nur vom Angeklagten wissen konnte und er habe die Persönlichkeit des Angeklagten zutreffend geschildert. „Er mag eine Petze sein, aber er sagt die Wahrheit.“

In der rechtlichen Würdigung folgte Fiedler der Schilderung des JVA-Zeugen. Bei seinem Angriff habe T. die Kontrolle „völlig verloren“, er habe Hanna durch Schläge auf den Kopf schwer verletzt, zuvor habe er ihr die Schulterdächer gebrochen, als er sich auf die Liegende kniete. Als er seine Tat realisiert habe, habe er Hanna in den Bärbach geworfen, um die Vortat zu verdecken. Daher bewertet er den Angriff als gefährliche Körperverletzung plus Mord. Eine besondere Schwere der Tat wollte Fiedler aber nicht erkennen, er blieb mit der Forderung von neun Jahren und sechs Monaten knapp unter der Höchststrafe von zehn Jahren. Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank ließen sich mehr Zeit als ihre Anwaltskollegin Rick. Hauptanliegen der beiden: Die Glaubwürdigkeit von Zeugen zu untergraben, beziehungsweise zu stärken, wo sie T. entlasten. Zum Beispiel T.s Schulfreundin. Sie mochte T. belastet und die Verhaftung eingebrockt haben. Aber Baumgärtl las dann eben auch aus einer Whatsapp-Nachricht vor, in der die Zeugin sich korrigiert: Nicht am Abend des Tattages, des 3. Oktober 2022, habe T. ihr gegenüber Täterwissen verraten haben. Sondern erst zwei Tage darauf, als schon jeder Bescheid wusste. Frank betonte die aus seiner Sicht fragwürdige Glaubwürdigkeit des JVA-Zeugen.

Nebenkläger-Anwalt Walter Holderle hatte vor dem Plädoyer der Verteidigung im Namen von Hannas Eltern gesprochen. Er unterstrich, welch liebenswürdiger Mensch Hanna gewesen sei, „dieser allseits beliebte Mensch, dieses Mädchen, das im Prinzip ihr komplettes Leben noch vor sich hatte.“ Seitdem „stellt sich für die Eltern tausendfach die Frage: Warum?“ Wenn dann die Verteidigung behaupte, Sebastian T. habe mit der Sache nichts zu tun, stellten sich weitere Fragen – etwa, warum sich der Angeklagte schon in seiner Zeugenaussage widersprüchlich geäußert habe. Oder warum sich jemand einen so grässlichen Gewaltporno ansehe, „zwei Tage vor der Tat.“

Extremes Leid
der Eltern

Durch Hannas Tod erlitten die Eltern „extremes Leid“, zu dem Erfahrungen während des Strafprozesses beigetragen habe. Ricks Auftreten, etwa ihre Ankündigung einer Revision, bevor das Urteil gefallen sei, nannte Holderle ‚despektierlich‘. Fragwürdig sei ihre Aktion mit einem früheren Mandanten gewesen, der neben Sebastian T.s Eltern Platz genommen habe. Rick hatte im November Manfred Genditzki im Gerichtssaal begrüßt, für den sie wenige Monate zuvor einen sensationellen Freispruch erwirkt hatte. Holderle kritisierte dies als eigendarstellerische Inszenierung und als „Stich in die Seele der Eltern.“

Haft oder Freispruch? Das Urteil soll am 19. März 2024 verkündet werden.

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