Wer am Palmsonntag morgens als Letzter aufgestanden war, bekam in meiner Kindheit den unrühmlichen Titel „Palmesel“ verliehen. Meist war das automatisch mein Vater, der nach einer harten Arbeitswoche am Sonntag ausschlafen konnte. In einem Jahr aber war er aus unerfindlichen Gründen früher aufgestanden. So fiel mir die Rolle des Palmesels zu, und ich musste mir beim Frühstück ziemlichen Spott gefallen lassen. Warum der Langschläfer einer Familie als Palmesel bezeichnet wurde, kann ich nicht mehr genau sagen. Vermutlich, weil der Esel eher ein behäbiges Geschöpf ist und es ihm von Natur aus nicht sonderlich pressiert. In der Bibel wird erinnert, dass Jesus auf einem Esel in Jerusalem eingezogen ist. Es war kein ruhmreicher Einzug der Gladiatoren, sondern auf dem Lasttier der armen Leute – für die Kritiker schon damals eine peinliche Nummer. Jesus ging es nie um Inszenierung oder darum, die Erwartungen anderer zu erfüllen. Er hat immer deutlich gemacht, dass die Macht Gottes eine andere ist.
Am kommenden Sonntag gehen wir mit dem Palmsonntag wieder in die Karwoche. Ob der Langschläfer in vielen Familien immer noch als „Palmesel“ gekürt wird, weiß ich nicht. Vielleicht können wir aber darüber nachdenken, ob wir nicht auch in unserem Leben gelegentlich das Wichtigste verschlafen und übersehen. Dann wäre es an der Zeit, endlich die Augen aufzumachen und hinter so manche oberflächliche Fassade zu blicken. Wie Jesus können wir nie die Erwartungen aller Menschen erfüllen. Gott haben wir dabei jedenfalls immer an unserer Seite.