Neun Jahre Haft für Mord an Hanna

von Redaktion

Am Ende von 35 komplizierten Prozesstagen steht ein hartes Urteil: Für den Mord an der Studentin muss Sebastian T. wohl neun Jahre hinter Gitter. Die zweite Jugendkammer des Landgerichts blieb damit nur ein Jahr unter der Höchststrafe.

Aschau/Traunstein – Erst kam das lange Warten. Schon kurz nach 8 Uhr morgens hatten sich die ersten Zuschauer am Landgericht Traunstein angestellt, für einen Prozesstag, der erst um 12 Uhr mittags beginnen sollte. Und dann, eine Viertelstunde, nachdem der Gerichtssaal endlich fürs Publikum aufgesperrt worden war, ging es ganz schnell.

Die zehn, 15 Kameraleute und Fotografen, die noch versucht hatten, bestmögliche Sicht auf den Angeklagten und seine Verteidiger zu erhalten, hatten noch gar nicht wieder im Pressebereich Platz nehmen können, da verkündete Richterin Jacqueline Aßbichler das Urteil: Neun Jahre Haft für Sebastian T. (22). Und zwar – dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgend – wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Mord.

Staatsanwalt Wolfgang Fiedler hatte sogar neuneinhalb Jahre für den 22-jährigen Angeklagten gefordert. Er lag damit knapp unter der Höchststrafe von zehn Jahren für einen Heranwachsenden, der ein Gewaltverbrechen ohne besondere Schwere der Tat begangen hat. Die Verteidigung wird, so viel gilt als sicher, Revision einlegen.

Erleichterung auf den Gesichtern der Eltern

Erleichterung zeichnete sich auf den Gesichtern von Hannas Eltern ab. Nicht so sehr, weil Sebastian T. für lange Zeit hinter Gittern verschwinden dürfte. Vielmehr, weil sie nun eine Vorstellung davon haben, wie ihre Tochter ihr Leben verlor.

So wie das Richterin Aßbichler und ihre Kammer sehen, machte sich Sebastian T. am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 auf eine Laufrunde durch Aschau. Eine ungewöhnliche Trainingszeit auch für einen engagierten Hobbysportler, erklärbar dadurch, dass der Angeklagte wohl Druck abbauen wollte.

In der Nähe des Aschauer Clubs „Eiskeller“ sei Sebastian T. gegen halb 3 Uhr nachts auf Hanna gestoßen, die im „Eiskeller“ mit Freunden gefeiert und sich eben zu Fuß auf den Heimweg gemacht hatte. Er habe Hanna angegriffen, sie habe – wie von einer Zeugin beschrieben – in Todesangst geschrien. Daraufhin habe er sie zu Boden gerissen, sich auf ihren Rücken gekniet oder gar gestellt, so- dass Hannas Schulterdächer brachen.

Und so schilderte Jacqueline Aßbichler den weiteren Ablauf des Angriffs: Hanna schaffte es noch, an ihrem Handy einen Notruf auszulösen. Der Angreifer bemerkte jedoch das leuchtende Display des Geräts und warf es in den Bärbach. Daraufhin schlug der damals 20-Jährige auf den Kopf der Frau, um ihre Gegenwehr zu brechen. Er dürfte dann begonnen haben, sie auszuziehen. Jacke und Hose warf er ins Wasser.

Doch dann habe T. aufgehört. „Er hatte keinerlei Erfahrung, vielleicht hatte er auch Angst, wegen des Notrufs“, sagte Aßbichler. Schließlich habe der Angeklagte nun fürchten müssen, entdeckt zu werden. Also warf er die besinnungslose Hanna in den Bärbach, um die Spuren der vorangegangenen Gewalttat zu verwischen. „Er wusste, eine Bewusstlose würde ertrinken“, sagte Aßbichler. Von einer Vergewaltigung sei nicht unbedingt auszugehen, schließlich habe sich Hannas Slip an Ort und Stelle befunden. Das Gericht unterscheidet sich nur in einem Punkt vom Tatablauf, den Staatsanwalt Wolfgang Fiedler in seinem Plädoyer vorgestellt hatte. Hatte Fiedler dem Angeklagten noch unterstellt, er habe Hanna regelrecht aufgelauert, war das Gericht zurückhaltender. „Es war keine geplante Tat, es war eine spontane Tat“, sagte Aßbichler. Möglicherweise habe der Riss an Hannas Leggins den Kurzschluss ausgelöst: Der Anblick des String-Tanga könnte demnach Sebastian T. zum Angriff gereizt haben.

Höchstes Lob
für die Ermittler

Richterin Aßbichler sprach den Ermittlern höchstes Lob aus. Die Ermittlungen hätten sich ab Dezember nicht zuletzt um entlastende Umstände zugunsten des Angeklagten gedreht. Doch seien auch die Nachermittlungen nicht günstig für Sebastian T. ausgefallen. Im Gegenteil: „Das Ergebnis hat uns um so mehr davon überzeugt, dass der Angeklagte schuldig ist.“

Die Unfallthese, die die Verteidigung mit einer Vielzahl von Beweisanträgen zu untermauern versucht hatte, zerlegte Aßbichler Stück für Stück. Weder habe Hanna ihren Notruf im Wasser treibend absetzen können, noch seien ihre Verletzungen als Folge eines Unfallhergangs zu betrachten. „Sie sind Ergebnis des Angriffs eines Täters.“ Auch dass Hanna Hose und Jacke während des Treibens in Bärbach und Prien verloren haben soll, bezeichnete Aßbichler als undenkbar.

Richterin Aßbichler greift zum Meterstab

Die Richterin faltete einen Meterstab auseinander, um zu verdeutlichen, wie weit für Hanna der Abstand zum Ufer des Bärbachs gewesen wäre. „Zieht sich jemand aus, um eine Strecke von 1,20 Meter zu schwimmen? Zieht sich jemand dafür die Hose aus, die Jacke? Das Ufer ist zum Greifen nah“, betonte Aßbichler. Außerdem habe Hanna kaum Wasser verschluckt, eine Folge ihrer Bewusstlosigkeit. „Hanna war bewusstlos“, konstatierte Aßbichler. „Sie konnte sicher nicht mehr schwimmen, sich nicht mehr entkleiden. Sie war des Schluckens schon nicht mehr fähig.“ Hyperaktive Schwimmbewegungen anzunehmen, sei „absurd“.

35 Verhandlungstage hatte der Prozess gedauert. 35 Tage, an denen nicht nur Beweisanträge der Verteidigung abgearbeitet wurden, sondern offenbar genug Zeit blieb, die einzelnen Glieder einer langen Indizienkette auf Festigkeit zu prüfen und aufzupolieren. Und das nicht nur, was die Zeugnisse der Gutachter gegen die Unfall-Theorie betrifft.

Widersprüchliche Aussagen als Zeuge

Von der belastenden Aussage der Schulfreundin, Sebastian T. habe schon am Abend des Tattages ihr gegenüber Täterwissen geäußert – ohne diese Aussage wäre Sebastian T. wohl nie in Untersuchungshaft gelandet – bis hin zur vorentscheidenden Aussage des JVA-Zeugen: Aßbichler legte dar, warum diese Aussagen glaubwürdig seien. Vor allem die Schilderungen dieses Mithäftlings senkten die Waagschale zugunsten der Verteidigung. Sebastian T. habe ihm gegenüber nicht nur gestanden, Hanna W. umgebracht zu haben. Er habe sie auch vergewaltigen wollen. Der Zeuge sei glaubwürdig, weil er Details geäußert hatte, die er nicht aus Medien, sondern nur aus dem Mund des späteren Angeklagten habe erfahren können. Aßbichler kam auch nochmals auf die Aussagen Sebastian T.s zurück, die er noch als Zeuge geäußert hatte. Sie seien teilweise widersprüchlich gewesen. Mit seiner höchst irritierenden Version von den Vorgängen rund um Hannas Tod habe er im Grunde selber bereits Täterwissen geäußert, fast vier Wochen vor der besagten Schulfreundin. Und da seien auch die Äußerungen, die er im Freundeskreis machte, als er unter dem Druck von Ermittlungen und schlechtem Gewissen zu Hannas Tod sagte: „Na gut, dann war ich‘s halt.“ Auch die prekäre Persönlichkeit des Angeklagten fügt sich nahtlos in das Bild eines Impuls-Täters. Der schüchterne junge Mann habe keine sexuellen Erfahrungen und große Sehnsucht nach Kontakt mit jungen Mädchen, sagte Aßbichler. „Man traut ihm eine solche Tat nicht zu.“

Ein Angeklagter mit Neigung zur Explosion

Doch habe Sebastian T. auch andere Seiten. Er habe Probleme gehabt, sei schon in der Schule gemobbt worden. Er habe niemanden, mit dem er sich austauschen könne. Er könne mit Konflikten nicht umgehen, sagte Aßbichler. „Er kann explodieren, er liebt Gewaltvideos.“ Ein besonders schlimmes Video war während der Beweisaufnahme gezeigt worden. „Von 18 Minuten bestand mehr als die Hälfte aus dem Quälen eines Mädchens“, sagte Aßbichler. Dieses Video hatte Sebastian T. wohl zwei Tage vor der Tat angesehen.

Nun liegt eine langjährige Haftstrafe vor Sebastian T., der zur Tatzeit nur ein halbes Jahr älter hätte sein müssen, um zu lebenslanger Haft verurteilt zu werden. Die Folgen der Tat seien für Freunde und Angehörige enorm, sagte Aßbichler. Die Eltern seien noch immer im Ausnahmezustand und in therapeutischer Behandlung. „Die Strafe ist tat- und schuldangemessen.“ Auch im Sinne des Angeklagten. Er müsse sich mit der Tat auseinandersetzen, Verdrängen sei nicht möglich. „Es ist“, so sagte Aßbichler, „Zeit zum Nachreifen nötig.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Sebastian T. bleibt vorerst in der JVA Traunstein.

Der Verteidigung bleibt eine Woche Zeit, um Revision einzulegen.

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