„Entscheidung nicht mehr in diesem Jahr“

von Redaktion

Interview Anwalt Peter Dürr über den Fortgang des Verfahrens im Fall Hanna

Aschau/Traunstein – „Ja, die Revision ist da“, sagt Pressesprecherin Cornelia Sattelberger vom Landgericht Traunstein. Bereits einen Tag, nachdem das Urteil im Mordprozess um Hanna W. (†23) aus Aschau gefallen ist, hat die Verteidigung von Sebastian T. Revision gegen das Urteil eingelegt. Überraschend kam das nicht. Neun Jahre soll der 22-Jährige hinter Gitter. Schon direkt nach dem Urteilsspruch sagte Wahlverteidigerin Regina Rick: „Es war nicht unerwartet, aber es ist falsch, ganz klar falsch.“ Ein endgültiges Ende hat der Fall um den Tod der Studentin also noch nicht gefunden. Wie es jetzt weitergeht, erklärt Peter Dürr, Vorsitzender des Anwaltsvereins Rosenheim und Vorsitzender der Anwaltskammer München. Herr Dürr, die Verteidigung von Sebastian T. hat bereits Revision eingelegt. Wie geht es jetzt weiter? Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Jetzt hat das Gericht 13 Wochen Zeit, das Urteil schriftlich niederzulegen. 13 Wochen sind ziemlich lang. Ja, das ist in dem Fall länger als sonst. Normalerweise wären das nur fünf Wochen. Da wir in dem Verfahren so viele Verhandlungstage haben, verlängert sich die sogenannte Urteilsabsetzungsfrist. Bis etwa Ende Juni hätte das Gericht Zeit, das Urteil niederzulegen. Für gewöhnlich werden diese Fristen auch ausgeschöpft. Das Landgericht Traunstein wird auch versuchen, seine Entscheidung bestmöglich und umfassend zu begründen. Und wie geht es dann weiter? Dann wird das Urteil zugestellt, und dann hat die Verteidigung einen Monat Zeit, die Revision zu begründen. Diese Frist ist nicht verlängerbar. Die Verteidigung muss die Verfahrensrügen genau darlegen. Erst dann wandert die Akte über die Staatsanwaltschaft zur Bundesanwaltschaft nach Karlsruhe. Diese gibt eine Gegenerklärung ab und erst dann erfolgt eine Zuleitung zum Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe.   Was wäre, wenn die Verteidigung diese Ein-Monats-Frist nicht einhält? Dann ist die Rüge verspätet und würde nicht mehr zählen. Das ist relativ streng. Ein Revisionsverfahren ist sehr formell. Das kann auch nicht jeder Anwalt. Viele trauen sich das nicht zu. Die formellen Anforderungen sind hier sehr hoch. Es gibt viele Rügen, die vielleicht sogar inhaltlich berechtigt sind, aber nicht sauber genug dargestellt werden. Dann sagt der BGH, dass es eine unzulässig erhobene Rüge ist und verwirft die Revision. Das ist durchaus herausfordernd. Was erwarten Sie, was wird die Verteidigung rügen? Man muss erst einmal unterscheiden. Es gibt Verfahrensrügen und Sachrügen. Wir haben jetzt über 30 Verhandlungstage, und das Gericht in Traunstein hat die Zeugen angehört, die Sachverständigen und so weiter. Das macht der BGH nicht. Ob ein Zeuge glaubwürdig ist oder nicht, das kann der Senat in Karlsruhe nicht beurteilen. Die haben nur vereinzelte Dokumente, das schriftliche Urteil, das Protokoll und die Revisionsbegründung. Zum Verständnis ein einfaches Beispiel: Wenn auf Seite eins des Urteils steht, das Auto war rot, und auf Seite drei steht, das Auto war grün, dann sagt der BGH: „Moment, da kann irgendwas nicht stimmen, da ist ein Widerspruch.“ Wenn aber im Urteil immer steht, das Auto war rot, und in Wirklichkeit war es grün, dann ist es dem BGH völlig egal. Der hat das Auto schließlich nicht gesehen und kann nicht beurteilen, welche Farbe es hatte. Und was wäre eine Verfahrensrüge? Hier würde im Fall Hanna auf eine entsprechende Rüge hin der Befangenheitsantrag noch mal überprüft. Die Verteidigung wird hier sicher vortragen, dass das Ablehnungsgesuch zu Unrecht zurückgewiesen wurde. Das wird sicherlich ein wesentlicher Bestandteil der Revisionsbegründung. Und die Verteidigung kann sowohl Sachrügen als auch Verfahrensrügen anbringen? Also man muss sich nicht für eine „Art“ entscheiden? Nein, muss man nicht. Man wird natürlich alle Rügen oder Rechtsfehler, die man findet, anbringen. Bei den Verfahrensrügen ist es sehr streng. Das muss man wirklich mit Substanz vortragen. Was die Sachrüge betrifft, da könnte man auch nur einen Satz schreiben. Beispielsweise: „Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts“. Das ist auch der Unterschied zur Berufung. Da dieser Fall jetzt schon beim Landgericht startet, gibt es keine Berufung mehr. Da gibt es nur noch das Rechtsmittel der Revision mit den ganzen formellen Anforderungen. Wie schätzen Sie den Erfolg einer Revision im Fall Hanna ein? Eine Revision zu „gewinnen“, ist kein Selbstläufer. Die Erfolgsquote liegt bei unter zehn Prozent am BGH. Allerdings ist der Fall auch speziell. Was mit diesen E-Mails zwischen der Richterin und dem Staatsanwalt passiert ist, ist nicht gewöhnlich. Die Zurückweisung hat dieser Rüge noch mal ein bisschen Munition geliefert. Der Fall eignet sich jetzt auch für den BGH, einmal grundsätzliche Ausführungen zu treffen, wie eine solche Kommunikation ablaufen muss. Also die Kommunikation zwischen allen Verfahrensbeteiligten? Konkret geht es um die Frage von rechtlichen Hinweisen, die durch das Gericht erteilt werden müssen, und auch darum, inwieweit die Verteidigung in solche Gespräche miteinbezogen werden muss. Also wurde der Revision durch die E-Mails Tür und Tor geöffnet? Dass jetzt dieser Befangenheitsantrag gestellt wurde, das hat sich durch das Bekanntwerden dieser E-Mails aufgedrängt. Das hat sich die Verteidigung ja nicht ausgedacht. Das wäre auch verfehlt gewesen, diesen Antrag jetzt nicht zu stellen. Natürlich bereitet man eine Revision vor, auch durch Beweisanträge, die abgelehnt werden. Also manche Beweisanträge werden auch ein bisschen vorausschauend in Hinblick auf eine mögliche Revision gestellt. Könnte es auch zu einer Verhandlung in Karlsruhe kommen? Das ist eher selten. In Karlsruhe beschäftigen sich dann fünf Richter mit dem Fall. Sind diese fünf Richter sich einig, wird es im Beschlusswege entschieden. Also sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung. Wenn alle fünf Richter sagen, dass die Revision keine Erfolgsaussicht hat, wird sie verworfen. Wenn sich alle einig sind und die Rüge für begründet erachten, dann würde das Urteil per Beschluss aufgehoben werden. Bei Uneinigkeit der Richter würde auch im Revisionsverfahren eine Verhandlung in Karlsruhe stattfinden. In der Regel aber ohne Anwesenheit des Angeklagten. Denn da geht es um reine Rechtsfragen, keine Beweisaufnahme. Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung des BGH? Ich rechne mit Anfang 2025. Ich glaube nicht mehr in diesem Jahr. Was passiert, wenn das Urteil dann wirklich aufgehoben wird? Dann wird zurückverwiesen. Der BGH hebt das Urteil lediglich auf und verweist den Fall an eine andere Kammer am Landgericht Traunstein zur erneuten Entscheidung zurück. Dann wäre man in der Tat aber wieder bei null. Dann geht alles noch einmal von vorne los. Interview: Patricia Huber
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