„Es ist nichts mehr, wie es war“

von Redaktion

Kribbeln in Armen und Beinen, Lähmungserscheinungen, motorische Ausfälle, eingeschränktes Sichtfeld: Die Verdachtsdiagnose Multiple Sklerose war falsch und läutete für Sabrina Teifel aus Übersee den Beginn einer Odyssee ein. Die Ärzte stocherten monatelang im Dunklen, bis feststand: Sie hat die seltene Nervenkrankheit NMOSD.

Übersee – Über die Falschdiagnose MS wurde Sabrina Teifel zunächst von einer Stelle zur anderen geschickt, der wahre Grund für die Beschwerden wurde ein halbes Jahr lang nicht gefunden. Ein Überweisungsschein für eine Kernspintomografie (MRT) wurde ihr verweigert. Von Psychopharmaka erlitt sie schlimme Nebenwirkungen. Erst als sie selbstständig einen speziellen Augenarzt aufsuchte aufgrund der vollständigen Erblindung auf einem Auge, wurden die Weichen zur wahren Diagnosefindung gestellt.

Schub-Serie bringt
korrekte Diagnose

Der Weg von der zunächst irrtümlicherweise angenommenen MS-Diagnose zur NMOSD-Diagnose verlief während einer mehrmonatigen Schub-Serie. Die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung – kurz NMOSD – wurde schließlich korrekt diagnostiziert von Spezialist und Chefarzt Professor Dr. Thorleif Etgen. Sabrina Teifel befindet sich nach wie vor in der Neurologie in Traunstein in chefärztlicher Behandlung.

„Damals waren eher die Symptome und die damit einhergehende Angst schlimm für mich. Dass die Diagnose dann einen anderen Namen hatte, war für mich erst mal zweitrangig“, erinnert sie sich zurück. Wo genau die seltene, bislang unheilbare Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems herkommt, weiß niemand. Bei Sabrina Teifel allerdings gibt es eine genetische Geschichte im Hintergrund: Sowohl bei ihrer Oma als auch bei ihrem Vater wurde MS diagnostiziert. Ob es sich tatsächlich um diese Erkrankung gehandelt hat oder womöglich – wie bei Sabrina Teifel – NMOSD der wahre Grund ist, kann nachträglich nicht mehr geklärt werden. „Mein Papa lebt seit 2018 nicht mehr. Die Veranlagung ist sicherlich vererbbar, direkt genetisch aber ist NMOSD nicht. Für den Ausbruch spielen viele weitere Faktoren eine Rolle. Was genau der Auslöser war, werde ich nie erfahren.“

Teifel hat ihren Lebensmut nie verloren, vor allem wegen ihrer Söhne, die heute zehn und 17 Jahre alt sind. Dabei war sie nicht immer so positiv eingestellt, wie sie es heute ist.

„Man lernt, mit der Erkrankung zu leben. Ich habe meine Oma und meinen Papa gesehen im Umgang mit dieser oder einer ähnlichen Krankheit und mir war immer klar: Sollte diese Diagnose eines Tages auf mich zukommen, werde ich aktiv kämpfen und alles machen, was möglich ist.“

Aufgeben war für sie keine Option: „Es ist eine Belastung, ja. Aber ich habe einen starken Lebenswillen und will Zeit mit meinen Kindern verbringen. Es gibt einiges, das ich noch erreichen möchte, ich werde mich nicht unterkriegen lassen.“ Natürlich gebe es auch schlechte Tage. Dabei nehme Angst eine große Rolle ein: „Gerade zu Beginn ging es mir schlecht und ich war sehr nah am Wasser gebaut. Ich habe einen Weg gefunden, mit der Diagnose umzugehen. Sonst rutscht auch die Psyche in den Keller.“

Psychische Erkrankungen und Hilfe durch Experten – ein Thema, das in den Augen Sabrina Teifels leider immer noch stigmatisiert wird, vor allem im ländlichen Raum. Dabei müsse sich niemand dafür schämen, Hilfe anzunehmen, wenn das Gefühl vorherrscht, dass es einem den Boden unter den Füßen wegzieht: „Es ist eine schwere Erkrankung, eine Chance auf Heilung besteht nicht. Solch eine Diagnose und oft schon der Weg dorthin sind traumatisierend. Es ist völlig normal, verzweifelt zu sein.“

Große Hoffnung
auf die Forschung

Krebspatienten etwa bekommen nach Diagnosestellung automatisch psychologische Betreuung im Krankenhaus an die Seite gestellt. Das ist bei Diagnosen wie MS oder NMOSD nicht der Fall. In Teifels Augen ist das nicht nachvollziehbar, sie plädiert für eine Erweiterung des Angebots. Sie selbst bekam ausnahmsweise bei ihrem damaligen Krankenhausaufenthalt Beistand aus der Onkologie zur Seite gestellt.

Nicht allen, aber vielen Patienten hilft der Austausch mit Gleichgesinnten. Sabrina Teifel hat im Rahmen ihrer Erkrankung einige Menschen kennengelernt, die die Krankheit mehr in die Öffentlichkeit rücken möchten. Die 38-Jährige setzt große Hoffnung in die Forschung, dass in ein paar Jahren womöglich ein Medikament entwickelt werden kann, das Menschen mit der seltenen Erkrankung helfen kann. Denn sie selbst durchschritt eine Odyssee: Teifel litt unter schweren Schüben, erste Symptome gingen mit plötzlichen halbseitigen Gefühlsstörungen sowie einer Sehnerv-Entzündung einher. „Ich war auf einem Auge komplett blind, konnte nicht mehr laufen oder gar aufstehen wegen starkem Drehschwindel, ausgelöst durch eine Entzündung im Gehirn, musste mich ständig übergeben“, erinnert sie sich an die akute Phase.

Eine Zeit lang war sie auf einen Rollator angewiesen, auf dem Land eine Herausforderung in puncto Barrierefreiheit. „An vielen Orten ist es nicht sehr behindertenfreundlich, wenn ich an das grobe Kopfsteinpflaster denke“, resümiert Teifel.

Inzwischen ist sie medikamentös gut eingestellt, ihren Alltag tangiert die Diagnose kaum: „Ich hatte das Glück, dass sich bei mir fast alle schwerwiegenden Begleiterscheinungen wieder zurückgebildet haben. Ich sehe wieder zu 100 Prozent, kann wieder laufen und kann so gut wie ohne Einschränkungen leben.“

Einzig die eingebrochene Leistungsfähigkeit und die sogenannte Fatigue, eine Form von extremer Müdigkeit, erinnern sie an die Krankheit. Zusätzlich könne sie mit einem ihrer Beine nur mehr eingeschränkt fühlen und es sei schwächer als das andere. Hinzu kommen motorische Einschränkungen in den Fingern. Temperaturunterschiede spüre sie nur noch schlecht.

Lebensmut ist da: „Ich
fange gerade erst an“

Von außen jedoch sieht man ihr das alles nicht an. Heute gehe es ihr „besser als je zuvor“: „Gleich nach der falschen MS-Diagnose habe ich mein Leben umgekrempelt. Da war mein jüngerer Sohn erst drei Jahre alt. Nach der NMOSD-Diagnose und den darauffolgenden Monaten, in denen es sich wirklich angefühlt hat, als wäre das Leben zu Ende, habe ich nach und nach alles hingeworfen: meinen Job, meine Ehe, mein Umfeld, ich habe das Rauchen aufgehört. Es ist nichts mehr, wie es war – aber das ist gut so.“ Sabrina Teifel ist sicher: „Ich werde noch eine ganze Menge erreichen. Dafür habe ich mir eine neue Ausgangslage geschaffen und fange gerade erst an.“

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