Zwei Schock-Anrufer vor Gericht

von Redaktion

82-jährige Rosenheimerin verliert Schmuck für 39000 Euro – Weitgehende Geständnisse

Traunstein/Rosenheim – Geld und Gold im Gesamtwert von knapp einer halben Million Euro sollen zwei weitgehend geständige 22 und 23 Jahre alte Polen durch Schockanrufe bei Senioren erbeutet haben. Davon entfielen Schmuck im Wert von 39000 Euro sowie 800 Euro in bar auf eine 82-jährige Dame in Rosenheim. Die Siebte Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Christina Braune startete gestern den Prozess um zehn vollendete beziehungsweise versuchte Fälle des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs. Mit dem Urteil wird am Freitag, 19. April, gerechnet.

„Tödliche Unfälle“
als Hiobsbotschaften

Staatsanwalt Alexander Foff stellte in der Anklageschrift fest: „Die Bande handelte skrupellos und ohne jegliche Empathie für die Geschädigten, die oftmals durch die Taten in ihrer finanziellen Existenz bedroht wurden.“ Bei Schockanrufen wurden den Geschädigten tödliche Verkehrsunfälle ihres Kindes oder Enkels vorgespiegelt. Unbekannte „Keiler“ in Polen überbrachten die Hiobsbotschaft. Zumeist weinte jemand laut im Hintergrund. „Polizeibeamte“ oder „Richter“ übten enormen psychischen Druck aus und forderten hohe Summen, um Gefängnis abzuwenden. In der arbeitsteilig tätigen Organisation fungierte der 22-jährige Angeklagte als Abholer, der 20-Jährige als Fahrer und Logistiker.

Erstes Opfer wurde am 27. März 2023 eine 80-jährige Frau in Nürnberg. Sie übergab den Angeklagten eine Geldkassette mit 80000 Euro. Zu spät bei einem Telefonat mit dem Enkel bemerkte sie den Betrug. Im unterfränkischen Werneck überreichte eine 87-Jährige drei Tage später ihren ganzen Schmuck im Wert von rund 100000 Euro dem 22-Jährigen. Rund 60000 Euro erbeuteten die Angeklagten laut Staatsanwalt am 17. April 2023 bei einer Frau (85) in Radolfzell am Bodensee.Der Fall in Rosenheim ereignete sich am 26. April 2023 nachmittags. Eine weinende Frau, angeblich die Enkelin der 82-Jährigen, bat flehentlich um Hilfe. Ein „Richter“ verlangte Geld. Die Angerufene bezweifelte die Echtheit des Telefonats. In der Folge wurde sie extrem unter Druck gesetzt. Die Frau musste sich anhören, die Enkelin habe im Fall ihrer Inhaftierung Suizid angedroht. Inzwischen sei auch noch das Kind des Unfallopfers verstorben, hieß es damals. Schließlich händigte sie den Tätern 800 Euro in bar und Schmuck für 39000 Euro aus.

Die 82-Jährige macht sich selbst größte Vorwürfe: „Ich schäme mich so. Ich war so dumm.“ Dazu der Staatsanwalt: „Sie waren nicht dumm. Schon viele sind auf so etwas hereingefallen – aus Angst und Sorge um Familienmitglieder.“ Die Zeugin schilderte: „Ich kann bis heute nicht verarbeiten, dass meine geliebte Enkelin zwei Menschen totgefahren haben sollte. Meine Gedanken kreisen ständig darum.“ Bis heute hat sich die 82-Jährige nicht getraut, ihren Angehörigen alles zu erzählen: „Ich hoffe, niemand fällt auf, dass mein Schmuck weg ist.“

Eine 53-Jährige im sächsischen Zeithain fiel am 28. April 2023 auf die Masche herein. Ein Unbekannter, vorgeblich ihr „Sohn“, rief sie nach einem Unfall mit einem getöteten Radfahrer von einer Klinik aus an. Ein „Polizist“ müsse mit ihr wegen der Kaution sprechen. Die Frau holte 65000 Euro in bar und zwei Goldbarren à 250 Gramm von der Bank. Die nächsten Vorwürfe spielten in Stuttgart am 8. Mai 2023. Auf Anruf der „weinenden Enkelin“ machte sich ein 84-Jähriger auf den Weg zur Bank, um Gold aus dem Schließfach zu besorgen, das er zum Amtsgericht Stuttgart bringen sollte. Eine Bankangestellte wurde hellhörig und warnte den Kunden. Er kontaktierte die Polizei.

Bande nutzt massive
Einschüchterung

Noch über 40-mal versuchte die Bande, ihn mit unterdrückter Nummer erneut zu erreichen. Beide Angeklagte hielten sich in dieser Zeit schon in der Nähe des Amtsgerichts Stuttgart auf. Ein „Oberstaatsanwalt Dr. Hofer“ schüchterte einen 80-jährigen Stuttgarter am 8. Mai 2023 mit einer Legende über seine Tochter ein. Der Vater entnahm seinem Bankschließfach Gold im Wert von 60000 Euro. Der „Keiler“ wies den 80-Jährigen an, zum Löwentor nahe des Amtsgerichts zu steuern. Der alte Herr war so nervös, dass er keine weiteren Direktiven abwartete. Er teilte dem Unbekannten mit, er befinde sich jetzt vor dem Amtsgericht und werde hineingehen. Der „Oberstaatsanwalt“ wurde „fuchsteufelswild“ und forderte, sofort wieder in den Pkw zu steigen. Der 80-Jährige betrat jedoch das Gerichtsgebäude. Eine Pförtnerin verständigte sofort die Polizei. Die Angeklagten waren schon in der Nähe des geplanten Übergabeorts.

Keinen Erfolg zeitigte eine weitere Tat. Die Bande wollte am 8. Mai 2023 eine 79-jährige Stuttgarterin um 50000 Euro Kaution für die „Tochter“ erleichtern. Die Frau suchte Geld und Schmuck zusammen, wurde dann aber misstrauisch. Völlig verunsichert wählte sie den Notruf der Polizei. Die Bande pfiff die Angeklagten daraufhin zurück.

Am gleichen Tag büßte ein 78-Jähriger in Sindelfingen Goldmünzen für 80000 Euro ein. Die schon in der Nähe weilenden Angeklagten fühlten sich beobachtet und wollten die Beute nicht übernehmen. Eine unbekannte Abholerin sprang für sie ein.

Drei weitere Taten ereigneten sich in Braunschweig binnen kürzester Zeit Mitte Mai 2023. Ein Taxifahrer bewahrte eine alte Dame (87) vor Schaden, die eine Goldkette und 500 Euro zum „Amtsgericht“ schaffen wollte. Eine Haushaltshilfe rettete eine 85-Jährige, von der 200000 Euro gefordert worden waren. Pech hatte das letzte Opfer dieser Serie: Eine 87-Jährige verlor Geld und Schmuck für nicht ganz 9000 Euro. Einen Tag später konnten die Angeklagten dingfest gemacht werden.

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