Rosenheim – „Lass dir nicht einreden, dass du lieb, soft, schwach und links zu sein hast“, sagt der AfD-Politiker Maximilian Krah mit starrem Blick in die Kamera. Seinen Monolog beendet er mit den Worten: „Echte Männer sind rechts. Echte Männer haben Ideale. Echte Männer sind Patrioten.“ Auf der Plattform Tiktok wurde dieser Beitrag des EU-Parlamentariers mittlerweile 1,4 Millionen Mal angeschaut. Das Video ist ein Beweis dafür, wie Politik auf Tiktok funktioniert. Polarisierende Aussagen, kurz und knapp – angepasst an die Schnelligkeit der Plattform.
„Nutzen
Aufgeregtheit und
Entrüstung für sich“
Besonders politisch Extreme nutzen dies inzwischen, um gerade junge Wähler von sich zu überzeugen. So auch die AfD. Und das ist auch bei den anderen Parteien inzwischen angekommen. „Extrem-Rechte nutzen Tiktok wesentlich stärker als die SPD und die Grünen zum Beispiel. Sie nutzen vor allem Aufgeregtheit und Entrüstung für sich“, sagt die EU-Abgeordnete Maria Noichl (SPD) im OVB-Interview. Gerade in Hinblick auf die anstehende Europawahl am 9. Juni sorgt das für Besorgnis. In diesem Jahr dürfen erstmals auch 16- und 17-Jährige wählen – die vermehrt auf Tiktok und Co. unterwegs sind. „Dadurch werden die Brüche in unserer Gesellschaft immer tiefer“, sagt Noichl.
Auch die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler ist sich der Rolle von Tiktok im Wahlkampf bewusst. „In manchen Videos, die unverfängliche Themen aufgreifen, wird eine Sprache verwendet, die ich sonst nur von Extremen höre“, sagt sie. „Da findet eine subtile Beeinflussung statt.“ Dass Tiktok beim Gewinn von besonders jungen Wählern inzwischen eine bedeutende Rolle spielt, weiß auch Benjamin Grünbichler, Diplom-Sozialpädagoge bei der Rosenheimer Prävention und Suchthilfe „Neon“. „Tiktok hat sich als wesentliches Werkzeug für politische Kampagnen etabliert, besonders um junge Menschen zu erreichen“, erklärt Grünbichler.
Durch die kurzweiligen Videoformate lassen sich politische Inhalte genau so vermitteln, dass es besonders auf die gewöhnliche Mediennutzung der jungen Menschen zugeschnitten ist, macht der Sozialpädagoge deutlich.
„Die AfD erreicht auf Tiktok deutlich mehr junge Menschen durch virale, oft populistische Videos, während andere Parteien erst kürzlich begonnen haben, die Bedeutung von Tiktok zu erkennen und dort aktiver zu werden“, ergänzt Grünbichler.
Die große Gefahr der Plattform: Der Algorithmus kann schnell dazu führen, dass die Nutzer in einer Art „Filterblase“ mit ihren Einstellungen und Meinungen eingeschlossen werden. Dadurch geht der Blick für andere Sichtweisen verloren und es „verzerrt die Wahrnehmung auf gesellschaftliche Themen und Probleme“, sagt Grünbichler. Besonders Parteien mit „einfachen“ Lösungen für komplexe Probleme hätten hier leichtes Spiel. „Gerade, wenn die Inhalte unsere tiefen Emotionen ansprechen, ist die Gefahr der Manipulation hoch, da Tiktoks Algorithmus kontroversen und emotional geladenen Content bevorzugt.“
„Man muss nicht
über jedes Stöckchen
springen“
Auch vonseiten der Politik weiß man um die Gefahren der Plattform. „Ich glaube, das Wichtigste ist, dass die jungen Leute ein Gespür dafür entwickeln, dass sie gegebenenfalls manipuliert werden sollen. Entscheidend ist, Botschaften und Inhalte auch kritisch zu hinterfragen“, sagt Niebler. Eine große Verantwortung sieht sie hier bei den Schulen. Auch Noichl zieht Lehrer in die Pflicht, genauso wie Eltern und im Allgemeinen die ältere Generation.
Selbst auf Tiktok Videos zu veröffentlichen, das ist für viele Politiker aber bisher kaum denkbar. „Man muss nicht über jedes Stöckchen springen“, entgegnet Noichl auf die Frage, ob sie dort nicht auch präsent sein könnte.
Niebler hingegen sagt: „Ich selbst bin nicht auf Tiktok. Noch nicht.“ Doch laut Grünbichler ist ein Handeln der „politischen Mitte“ jetzt besonders wichtig. Die Parteien hätten zu lange gezögert, um Kanäle wie Tiktok zu nutzen, was ihnen einen Nachteil gegenüber Parteien wie der AfD beschert hat. Es brauche „neue, kluge Konzepte und Strategien, um die Plattform effektiv für demokratiefördernde Zwecke zu nutzen“. So könne man eine direkte Verbindung zu den Wählern herstellen.
Auch der EVP-Vorsitzende Manfred Weber weiß, dass man die Plattform nicht komplett außen vor lassen sollte. „Man muss dorthin gehen, wo die Menschen sind.
Wenn junge Leute hauptsächlich auf Tiktok und auf sozialen Medien unterwegs sind, muss Politik auch dort stattfinden“, sagt er im OVB-Interview. Grünbichler bestätigt, dass auch demokratiefördernde Inhalte eine Chance auf Tiktok haben, „da sie eine niedrigschwellige Zugangsmöglichkeit zu politischen Themen bietet und Videos schnell viral gehen können.“