Rimsting/Rosenheim – Am Ende eines langen Niedergangs stand die „Katastrophe“, wie Gutachter Dr. Rupert Müller am Amtsgericht Rosenheim sagte: Weil ein Bauer in Rimsting die Kontrolle über sein Leben verlor, erlitten Tiere großes Leid. 33 Rinder lagen verendet im Stall, manche von ihnen verwesten bereits. 89 Tiere lebten noch, krank, abgemagert, mit schwärenden Wunden. Sie wurden in einen Notstall abtransportiert.
Der „Horrorstall von Rimsting“ schrieb im Frühling 2023 bayernweit Schlagzeilen. Wegen quälerischer Tiermisshandlung und Tiertötung musste sich seit März 2024 der Landwirt vor dem Amtsgericht in Rosenheim verantworten. Nun hat ihn Richter Matthias Knoblauch wegen Tierquälerei und -tötung durch Unterlassung sowie wegen Umweltfrevels zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Zudem ist ihm die Haltung von Tieren auf fünf Jahre verboten. Der Landwirt soll außerdem 4000 Euro an den WWF zahlen, hat dazu aber bis 2025 Zeit – was der Richter mit dessen schwierigen Umständen begründete.
Ein Zufall führte
zur Entdeckung
Die schlimmen Zustände kamen ans Licht, als am 16. Mai 2023 Polizisten den Hof des Angeklagten aufsuchten. Die Beamten hatten den Auftrag, Fahrzeuge zu entstempeln, weil Versicherungen nicht mehr bezahlt worden waren. Einer der Beamten entdeckte eine tote Kuh im Stall und informierte die Behörden.
Veterinäre machten sich auf den Weg nach Rimsting, die Feuerwehr sperrte die Zufahrtsstraße, das THW kam mit technischem Gerät und leuchtete das Grauen aus: Die Gülle reichte Tieren bis zum Bauch, verendete Tiere waren in der ekligen Flüssigkeit versunken und verrottet und wurden erst im Zuge der Aufräumarbeiten entdeckt. Helfer benötigten Atemschutz. So was habe er noch nie erlebt, sagte der Einsatzleiter des THW am Tag der Urteilsverkündung (25. April 2024) aus. Videos aus dem Stall waren im Gerichtssaal abgespielt worden und hatten den Zuschauern die Kehle abgeschnürt.
Die Warnsignale
häuften sich
Hat es an Warnsignalen gefehlt? Wohl nicht. Seit Jahren hatten sich die Anzeichen gehäuft, dass da etwas gründlich aus dem Ruder lief. 2015 war der Vater des Angeklagten gestorben, ein tatkräftiger und fleißiger Mann, der beim Bau von Stall und Haus kräftig Hand angelegt hatte.
Die Mutter wurde zunehmend pflegebedürftig, die Schwester konnte, körperlich schwer beeinträchtigt, bald nicht mehr helfen. Alles blieb am Landwirt hängen. Er arbeitete exzessiv, teilweise die Nacht hindurch, Beziehungen gingen in die Brüche. „Entweder die Ballen-Presse geht, oder ich gehe.“ So gab der Gutachter die Abschiedsworte einer Freundin des Bauern wieder.
Es war Überlastung –
Landwirt brannte aus
Der Landwirt erreichte die Grenze seiner Kräfte. Auf sich allein gestellt und überfordert brannte er aus. Die Arbeiten am Haus wurden nicht abgeschlossen, es sammelte sich Müll an, darunter Altöl in Kanistern und einem Eimer. Deswegen warf Staatsanwalt Thomas Putschbach ihm zusätzlich unerlaubten Umgang mit Abfällen vor.
Kontrolleure stellten außerdem Probleme mit dem Gülleabfluss fest, später folgte ein Milchverkaufsverbot. Hätten zu diesem Zeitpunkt nicht Behörden eingreifen müssen? Das Veterinäramt verweist immer wieder auf den Mangel an Personal. Der Angeklagte zahlte außerdem Rechnungen und öffnete Briefe nicht mehr, beantragte keine Förderung mehr, die doch 50 Prozent seines Einkommens ausmachte. Seit Mitte 2022 sei der Mann „schwer depressiv“ und nicht mehr arbeitsfähig gewesen, sagte der Gutachter. „Eigentlich hätte er sich Hilfe holen müssen.“
Das tat der Rimstinger nicht. Doch auch in Rimsting nahm niemand Notiz vom Niedergang des Hofs. Geladen war am letzten Prozesstag ein ehemaliger Mieter. Ihm sei nichts aufgefallen, sagte der 30-jährige Zeuge. „Am Schluss ist er in ein tiefes schwarzes Loch gefallen“, sagte Gutachter Müller. Und selbst danach dauerte es noch Wochen, bis der Zufall half und die Behörden in den Stall führte.
Staatsanwalt
forderte Haftstrafe
Staatsanwalt Thomas Putschbach hatte, auf die Not der schutzlos ausgelieferten Tiere verweisend, auf zwei Jahre Haft plädiert und die Berechtigung einer Bewährung in Zweifel gezogen. Außerdem hatte er eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen von 50 Euro gefordert. Die Verteidigung unterstrich das Geständnis, die Krankheit und die Reue des Angeklagten und regte an, eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zu verhängen.
Richter Knoblauch sprach nach der Urteilsverkündung davon, wie aufwändig die Beweisaufnahme gewesen sei. „Es war kein einfacher Fall“, sagte er. Der Aufruf vieler Zeugen habe sich ausgezahlt, weil nun nicht allein die schrecklichen Bilder der vernachlässigten Tiere gewirkt hätten, sondern auch die besondere Situation des Landwirts berücksichtigt werden könne. Auch hätten sich die Verteidiger Markus Frank und Harald Baumgärtl in ungewöhnlicher Weise für den Angeklagten engagiert und den verschlossenen Mann zugänglich gemacht.
Richter sieht Einsicht
und eine Perspektive
So kam der Vorsitzende zu einem sehr ausgewogenen Bild, in dem das schreckliche Leid der Tiere ebenso seinen Platz fand wie die schweren Belastungen des Angeklagten. Der sei eben kein Sadist, sondern sei wegen seiner depressiven Erkrankung schwer beeinträchtigt gewesen.
Auch sei zu berücksichtigen, dass er sich weiter um die Pflege seiner Mutter kümmern soll und offenbar gute Therapieangebote nützen könne. Zu seinen Gunsten spreche auch, dass er gleich zu Beginn ein Geständnis abgelegt habe.
Verzicht auf
Rechtsmittel
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft hat eine Woche (bis 2. Mai) Zeit, Rechtsmittel einzulegen. Darauf verzichten wird die Verteidigung. „Wir sind zufrieden“, sagte Harald Baumgärtl nach dem Urteil, „was man daran erkennt, dass unser Mandant das Urteil bereits angenommen hat.“
Sollte auch die Staatsanwaltschaft das Urteil annehmen, werde sein Mandant mit den Bewährungshelfern zusammenarbeiten und sich einer Therapie unterziehen. Er sei Landwirt mit Leidenschaft, gescheitert aufgrund seiner Krankheit. Der Landwirt leide „wahnsinnig“ darunter.
Das gesamte „System“ sahen hingegen drei Demonstranten vor dem Amtsgericht auf der Anklagebank. Einer von ihnen forderte kurz vor Verkündigung des Urteils im Amtsgericht lautstark Gerechtigkeit für die Tiere.