Die Kuh als Arbeitspartner

von Redaktion

Er gilt als „Kuhflüsterer“ und baut mit der Stockmanship-Methode Stress für Rind und Bauern ab: Philipp Wenz gibt am 15. Juni ein Seminar in der Region Rosenheim. Im OVB-Gespräch verrrät er, worauf es ankommt im Miteinander von Kühen und Landwirten. Und warum Rinder manchmal wie Kinder sind.

Neubeuern/Nußdorf – Weniger Stress für Landwirt und Rinder, das verspricht die Stockmanship-Methode, die Philipp Wenz in den USA gelernt hat und nun in Seminaren verbreitet. Ein solches hält Wenz auf Einladung der Öko-Modellregion Kampenwand-Wendelstein am 15. Juni in Neubeuern und Nußdorf. Mit dem OVB sprach er über verwöhnte Rinder, schlecht erzogene Hunde und Wege, den anderen besser zu verstehen.

2023 ereignete sich die Tragödie von Rimsting, als ein Landwirt 30 Tiere verenden ließ. Hätte diese Katastrophe durch Ihr Seminar verhindert werden können?

Nein, das glaube ich nicht. Da liegt im sozialen Umfeld etwas im Argen. Dass dem Landwirt da etwas furchtbar über den Kopf gewachsen ist, hat nichts damit zu tun, dass er nicht weiß, dass er seinen Rindern Futter und Wasser geben muss. Da sind andere Sachen entgleist.

Für welche Bauern ist Ihr Seminar denn gedacht?

Für alle Bauern, die Rinder halten. Praktisch alle Arbeiten, die wir mit den Tieren machen, können verbessert werden. Und der Punkt, wo die Arbeit verbessert werden kann, ist, dass wir in eine echte Zusammenarbeit mit den Tieren kommen. Also, wir arbeiten mit den Tieren und nicht gegen sie. Damit will ich nicht sagen, dass Landwirte, die nicht in meinem Seminar gewesen sind, gegen die Tiere arbeiten. Aber es gibt immer wieder Situationen, wo es eben doch mehr ein Gegen- als ein Miteinander ist.

Ein Beispiel, bitte.

In der Milchviehhaltung gibt es viele Routinen. Die funktionieren im Normalfall gut. Und gleichwohl hat fast jeder Betrieb Bummeltanten, die immer eine Extra-Einladung brauchen. Rinder sind Gewohnheitstiere, und solche haben ganz offensichtlich schlechte Gewohnheiten. Da klappt die Zusammenarbeit nicht wirklich gut. Mensch und Tier, jeder ärgert sich ein bisschen über den anderen. Offensichtlicher wird es dann bei Ausnahmeaktionen, etwa, wenn die Tiere verladen werden müssen. Oder wenn es sich um Färsen handelt. Die sind im Sommer draußen, mit denen hat man abgesehen von den Tierkontrollen wenig zu tun. Man schaut, ob die Futter und Wasser haben, ob es den Tieren gutgeht, aber man macht nichts mit ihnen. Wenn dann die Tiere im Herbst reingeholt werden müssen, dann kann das eine größere Aktion werden, weil sich Mensch und Tier voneinander entfernt haben. Das kann dann schon auch mal ein Gegeneinander werden. In meinem Seminar gebe ich Tipps, wie wir bei problematischen Tieren oder bei Situationen, die mit Problemen verbunden sind, in eine Zusammenarbeit kommen können.

Was fangen Sie mit einer Kuh mit schlechten Angewohnheiten an?

Das ist keine Extraarbeit. Also ich gehe mit den Rindern nicht wie mit dem Hund auf den Hundetrainingsplatz, sondern das passiert im Alltag.

Nicht noch mehr Arbeit: Das werden Bauern gerne hören.

Genau. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung. Links hinten saß einer, dem wurden erst die Ohren rot und dann der ganze Kopf. Und irgendwann platzte es aus ihm heraus. Was ich mir einbilden würde, er habe 80 Kühe zu versorgen, und jetzt soll er auch noch mit denen trainieren. Und vielleicht stellt er sich den Hund auf dem Hundetrainingsplatz vor und multipliziert das und wird natürlich nervös. Aber nein, es ist keine Extraarbeit. Es braucht vielmehr die Aufmerksamkeit bei der Arbeit. Wenn wir über die Bummeltanten reden: Die sind nicht so auf die Welt gekommen, sondern denen haben wir das beigebracht, weil uns ganz häufig gar nicht klar ist, auf was die Tiere alles achten, wie aufmerksam die sind, wie ihr Lernen funktioniert.

Das Schimpfwort „dumme Kuh“ ist also gar nicht angebracht?

Ja. Die Tiere reagieren auf uns, und zwar zu 100 Prozent. Warum ist das wichtig? Wenn es das nächste Mal so richtig schiefgeht, dann sagt man besser nicht „blöde Kuh“. Sondern man fragt sich, was habe ich gemacht, dass die so blöd reagieren? Einfach „blödes Rindviech“ zu sagen, ist für uns sehr elegant. Wir sind immer fein raus, sind die Schlauen. Das ist aber keine Fragestellung, das ist eine Erklärung als Sackgasse. Das erklärt mir etwas, ohne dass ich die Möglichkeit in die Hand bekomme, es besser zu machen. Wenn die Tiere blöd sind, dann sind sie blöd, da kann ich ja nichts dran ändern. Wenn ich aber erkenne, dass sie auf mich reagieren, dann komme ich zu der offenen Fragestellung: Was habe ich getan, beziehungsweise was kann ich tun, damit die Tiere in Zukunft besser reagieren?

Was kann man denn machen? Ein Beispiel bitte.

Problematisches Verhalten kann verschiedene Ursachen haben. Zum Beispiel, dass das betreffende Rind ein Lieblingskalb war, das die Tochter des Hofs ein bisschen viel geknuddelt hat. Oder vielleicht hatte sie in der Aufzuchtphase eine Erkrankung und ist stärker betreut worden und hat dadurch zu viel Vertrauen entwickelt, zu viel Nähe zum Menschen. Also, wir haben es ein bisschen verwöhnt, was ja an sich in Ordnung sein kann. Aber das kann in der Arbeitssituation dazu führen, dass sich das Tier sagt, ich habe einen Sonderstatus hier, mein Bauer wartet auf mich. Und eben da müssen wir wieder in eine Zusammenarbeit kommen. Das Tier ist ja jetzt wieder gesund. Das ist der Punkt, an dem wir dem Tier sagen können, geh! Wir unterschätzen, wie genau die Tiere uns beobachten und auf was sie alles achten und wie schnell die Tiere lernen, im Guten wie im Schlechten.

Wie zeigen Sie dem Tier, was Sie wollen?

Die Stockmanship-Methode beruht auf Position und Bewegung. Das heißt, wie ich mich dem Tier gegenüber positioniere und bewege, ist wie ein Gespräch. Und häufig sagen wir dann dem Tier im übertragenen Sinne ein bisschen vage: „Du, ich fände es klasse, wenn du jetzt gehen würdest.“ Und das Tier sagt: „Okay, ich weiß jetzt, dass du das schön findest, aber es interessiert mich nicht.“ Wenn ich dem Tier aber bestimmt und klar sage: „So, geh!“, dann hat das eine andere Wirkung. Das ist weit davon entfernt, mit Gewalt zu tun zu haben. Klarheit in der Kommunikation ist extrem wichtig. Eben weil die Tiere uns so genau beobachten. Die kriegen mit, ob wir das ernst meinen oder nicht.

Wenn man Ihnen zuhört, vergisst man, dass Sie von Rindern reden. Könnten auch Manager von Ihnen lernen?

(lacht) Tatsächlich gab es die Idee schon. Wir haben sie noch in keinem Fall realisieren können. Bei den Lehrern ist das Thema immer die Finanzierung. Und mit Managern habe ich einfach nicht so den Kontakt. Es gibt tatsächlich eine ganze Reihe von Parallelen. Soll nicht heißen, dass Kühe Menschen sind oder die Menschen Rindviecher. Aber es gibt teilweise Gemeinsamkeiten, von denen wir häufig nicht denken, dass wir sie nutzen könnten. Und das ist es, was ich den Landwirten vermittle.

In der Region gibt es viele Bergbauern. Haben Sie Tipps, nicht für Bauern, sondern für Wanderer?

Auf keinen Fall die Tiere füttern oder streicheln. Ja, die sind so süß, vor allem wenn sie klein sind. Aber irgendwann fordern die das dann aktiv ein. Das ist dann vielleicht nicht Ihr Problem, dafür aber das des Wanderers danach. Es gibt ja verschiedene Regionen der Welt, wo man etwa in Wildparks mit wilden Tieren in Kontakt kommt. Was Sie auf gar keinen Fall machen dürfen, ist Müll liegen zu lassen, vor allem keine Lebensmittelreste. Denn wenn Wildtiere realisiert haben, dass es beim Mensch Futter gibt, dann warten sie im Zweifelsfall nicht, bis wir gehen und die Reste zurücklassen. Dieses gefährliche Verhalten, dass die Tiere Futter oder Streicheleinheiten einfordern, können wir auch bei Hausrindern beobachten.

Wenn ich sie streichle, versaue ich also was?

Ja. Viele Milchviehbetriebe haben eine Rotationsbürste. Da können sich die Tiere runterstellen und sich massieren lassen. Das finden die super. Entsprechend finden die es toll, wenn wir sie kratzen und kraulen. Doch das fordern die dann ein. Die sagen dann: „Streichle mich.“ Und wenn 650 Kilo liebevoll auffordern, uns zu streicheln, kann das ein ganz schön heftiger Schlag sein. Der zweite ganz wichtige Punkt sind Hunde. Sie haben im Alpenraum das Thema mit dem Wolf, der ein Hundeartiger ist. Es kann sein, dass das Rind keinen Unterschied macht und sich verteidigen will. Was bedeutet, dass es attackiert. Also Hunde mindestens an die Leine. Besser sogar keinen Hund mitnehmen. Man muss sich aber auch klar machen, dass wir diese Probleme in der Almwirtschaft nicht immer gehabt haben.

Was hat sich verändert?

Einiges. Zum einen gehen viel mehr Leute in die Berge. Dann sind mehr Hunde mit dabei. Und man sieht viele Hunde, die schlecht erzogen sind. Und: Die wenigsten Menschen, die in die Berge gehen, haben jemals näher mit einem Rind zu tun gehabt.

Interview: Michael Weiser

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