Traunstein/Grabenstätt – Einen einschlägig vorbestraften 43-Jährigen aus Bergen verurteilte die Siebte Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Christina Braune gestern wegen Vergewaltigung eines Jugendlichen (17) nach dem Weinfest in Grabenstätt zu fünf Jahren und neun Monaten Gefängnis.
Revision
wird erwägt
Ob das Urteil gegen den „falschen Taxifahrer“ rechtskräftig wird, steht noch nicht fest. Verteidiger Michael Vogel aus Traunstein erwägt, Revision einzulegen. Sein Mandant hatte jegliche sexuelle Handlungen an dem Jugendlichen zurück gewiesen. Lediglich die äußeren Umstände hatte der 43-Jährige eingeräumt.
Der Angeklagte kannte den 17-Jährigen vor der Tat nicht. Der Jugendliche hatte mit Bekannten am 11. August 2023 ab etwa 20 Uhr auf dem Weinfest in Grabenstätt viel Alkohol konsumiert. Während seine Freunde gegen 1 Uhr heimfuhren, wollte der 17-Jährige noch bleiben. Eine Mädelsgruppe wollte ihn später nach Hause bringen. Nach dem Besuch des WCs waren die Frauen unauffindbar. Der junge Mann rief mehrere Leute an, die aber gegen 2.30 Uhr nicht ans Telefon gingen. Er entschied, bei seiner Ex-Freundin in Übersee zu übernachten und brauchte eine Fahrgelegenheit. Der 43-Jährige, der um 1 Uhr nachts von Bergen nach Grabenstätt aufgebrochen war, hielt in jener Nacht vor dem Bierzelt Ausschau nach Hilfe suchenden jungen Männern. Er bot dem 17-Jährigen seine Dienste als Chauffeur an.
In Übersee öffnete dem 17-Jährigen niemand. Da offerierte ihm der Angeklagte, bei ihm in seinem Zimmer im Doppelbett zu schlafen. Irgendwann wohl zwischen 3 Uhr und 5.30 Uhr kam es zu der Vergewaltigung. Der 17-Jährige mit etwa zwei Promille Alkohol im Blut schlief wieder ein. Morgens gegen 9 Uhr lieferte der Angeklagte den Jugendlichen bei dessen Vater ab. Der Sohn offenbarte sich dem 55-Jährigen. Die beiden wollten zur Polizei in Traunstein. Unterwegs begegneten sie dem 43-Jährigen. Der Vater zwang den mutmaßlichen Täter zum Anhalten des Autos. Der Angeklagte leugnete damals, dem Jungen etwas angetan zu haben. Er habe sich nur um ihn „gekümmert“, meinte er. Der Angeklagte kam in der Vergangenheit bereits wegen massiver Delikte mit dem Gesetz in Konflikt. Das Landgericht Traunstein verhängte gegen ihn 2011 sechs Jahre Haft wegen besonders schweren Raubs mit Waffen und gefährlicher Körperverletzung an einem Goldaufkäufer in Salzburg. Wegen 18-fachen besonders schweren Diebstahls in München durch Aufbrechen von Parkautomaten verbüßte er weitere drei Jahre hinter Gittern.
Die Staatsanwältinnen Helena Neumeier und Franziska Mitterer sahen den 43-Jährigen gestern der Vergewaltigung überführt und plädierten eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren neun Monaten. Neumeier verwies unter anderem auf eine einschlägige Vorahndung wegen sexueller Übergriffe unter ähnlichen Umständen auf drei junge alkoholisierte Männer nach Besuch des Lokals „Villa“ in Traunstein. Dafür hatte der 43-Jährige im November 2022 zwei Jahre Freiheitsstrafe mit vierjähriger Bewährung bekommen.
Bei dem Fall in Grabenstätt stand er somit noch unter offener Bewährung. Die Anklägerin betonte: „Er spielte sich als Retter in der Not auf, gab sich freundlich und besorgt. Tatsächlich ging es ihm aber nur um die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse.“
Verteidiger Michael Vogel stufte die Aussage des Opfers in nichtöffentlicher Sitzung als „zu dünn“, „zu dürftig“ ein, um darauf eine Verurteilung des 43-Jährigen zu stützen. Sein Mandant sei freizusprechen. Die siebte Strafkammer gelangte zu einem anderen Ergebnis. Der 43-Jährige habe schon am Vorabend gezielt einen anderen Mann angesprochen. Selbst nüchtern, habe er nach „jungen, sehr jungen Männern“ gesucht. Frau Braune dazu: „Der Angeklagte schlägt sich die Nacht um die Ohren, um wildfremde junge Männer mit dem Auto heimzufahren.“ Im vorliegenden Fall könne sich das Opfer nur rudimentär erinnern. Das Gericht habe dem 17-Jährigen geglaubt. Zwei Sachverständige – ein Psychiater und ein Rechtsmediziner – hätten erklärt, warum der Geschädigte das meiste vergessen habe. Richterin Braune wörtlich: „Ein Oralverkehr mit einem fremden Mann in fremder Umgebung ist für den Zeugen bestimmt etwas Außergewöhnliches.“ Ob mehr passiert sei in jener Nacht, wisse man nicht. Der genaue Tatzeitpunkt sei nicht relevant für die Kammer. Ein wichtiger Punkt in der Beweiswürdigung war nach Braune die jüngste Vorstrafe. Es gebe keinen Grund, mitten in der Nacht mit dem Privatauto vor einem Lokal auf wildfremde junge Männer zu warten, um sie heimzufahren – mit dem Risiko, dass die Betrunkenen den Wagen verunreinigen.
Kleines
Mosaiksteinchen
Ein „kleines Mosaiksteinchen“ sei die Aussage der Vermieterin gewesen – dafür, dass der Angeklagte zahlreiche Sexkontakte mit jungen Männern in seinem Zimmer hatte. Bei den vielen strafschärfenden Aspekten führte die Vorsitzende Richterin das Alter des Opfers und eine posttraumatische Belastungsstörung auf. Braune schloss mit Blick auf den Angeklagten: „Es war nicht die Situation, ‚Gelegenheit macht Diebe‘, sondern eine groß angelegte Aktion, sich eine Gelegenheit zu verschaffen.“