Rosenheim – „Es sind mehr die Jungs, die sich für die AfD interessieren“, berichtet die 18-jährige Antonia Braun. Im OVB-Redaktionsgespräch stellten sie und ihre Mitschülerin Saphira Binder vom Ludwig-Thoma-Gymnasium in Prien ihre Fragen an die Politik. Rede und Antwort standen ihnen an diesem Tag die Europawahl-Kandidatin Andie Wörle sowie die Landesvorsitzende Gisela Sengl. Es waren allerdings keine konkreten politischen Fragen, die in der Runde das große Thema waren. Vielmehr ging es darum, warum die Grünen in vielen Fällen die Gunst der Jugend verloren haben.
Schließlich setzte sich die Partei genau für die Themen ein, die junge Menschen angeblich besonders bewegen – allen voran der Klimaschutz. Doch genau der sorgt bei vielen nur noch für Augenrollen und genervte Gesichter, wie die Schülerinnen festgestellt haben.
Die Stimmung hat sich gedreht. Besonders junge Männer fühlen sich nicht mehr von den Grünen angesprochen, hat Antonia den Eindruck. „Ich habe das Gefühl, dass viele Jungs aktuell verunsichert sind“, sagt sie. Das spielt der AfD in die Karten, die auch in den sozialen Netzwerken oftmals gezielt junge Männer anspricht. „Besonders da nun Frauen immer mehr Rechte gewinnen, tun sich viele Jungs schwer, ihre Rolle in unserer Welt zu finden“, führt Antonia aus. „Viele fühlen sich dann von diesem ‚Früher war alles besser‘ angezogen und wählen eher den extrem rechten Weg.“
Aktive teils als „Feindbild“ gesehen und gehänselt
Sie erzählt außerdem von einer Mitschülerin, die sehr aktiv bei den Grünen ist. Sie werde in der Klasse von manchen Mitschülern als „Feindbild“ gesehen und oft auch deshalb gehänselt. Sengl und Wörle wirken interessiert, haken nach. Sie wollen wissen, wie das politische Stimmungsbild in den Schulen ist. Bei Antonias Ausführungen hören sie zu, nicken, wirken allerdings nicht allzu überrascht. Dass man an einigen Ecken der AfD das Feld überlassen hat, ist auch den Politikerinnen klar.
Versäumnisse auf TikTok könnten
sich bitter rächen
Besonders auf Plattformen wie TikTok punktet die Partei mit populistischen Aussagen und polarisierenden Thesen. Auf Antonias Frage, ob man sich dieser Problematik bei den Grünen bewusst sei, entgegnet Sengl: „Das haben wir ein bisschen übersehen.“ Dann folgen die Gründe, die man auch von anderen Parteien schon mehrfach gehört hat. „Wir wollen komplexe Inhalte nicht zu sehr vereinfachen. Wir wollen keine Fake-News verbreiten“, sagt Sengl. „Wir hatten auch Sicherheitsbedenken“, ergänzt Wörle noch. Die Algorithmen würden derzeit nur auf Wut abzielen. Hier müsste man etwas ändern, sodass auch neutrale, sachliche Nachrichten vorkommen. „Da könnte man schon auch mal was machen“, formuliert Wörle vage. Doch auch das überzeugendste Rezept für TikTok wird nicht alle Grünen-Probleme lösen können. Denn dass viele Menschen des Themas Klimaschutz überdrüssig sind, ist kein Geheimnis.
„Wie gehen Sie damit um, dass viele einfach keine Lust auf Klimaschutz und damit verbundene Einschränkungen haben?“, fragt Antonia. „Man muss es auf alle Fälle wieder mit etwas Positivem verknüpfen“, sagt Sengl. Katastrophenszenarien helfen in diesem Fall nicht, ist sich die Landesvorsitzende sicher. Man müsse besonders den finanziellen Vorteil herausarbeiten, beispielsweise, wenn man sich an einem Windrad beteiligt.
Zum Stichwort „Finanzen“ passt auch das Thema, das Saphira beschäftigt. Die 18-Jährige fragt sich, wie die Politik denn bezahlbaren öffentlichen Nahverkehr ermöglichen möchte. Schließlich gebe es hier an einigen Stellen dringenden Investitionsbedarf, der mit hohen Kosten verbunden ist. Die Schuldfrage ist dabei aus Grünen-Sicht schnell beantwortet. „Das Land muss erst mal noch CSU-Verkehrsminister verkraften“, sagt Wörle. In der Vergangenheit sei viel zu viel Geld in den Neubau von Straßen geflossen. Man müsse die Gelder „noch radikaler umschichten“ und viel mehr in Bus und Bahn investieren. „Neue Kredite sind an vielen Stellen schon auch sinnvoll“, sagt die EU-Kandidatin.
Fehlt es bei den Wählern an Politikverständnis?
Was den Grünen aber auch bewusst ist: Ganz ohne Auto geht auch nicht. „Auf dem Land braucht man das Auto“, sagt Sengl, die selbst im ländlichen Sondermoning im Landkreis Traunstein lebt. Sie wünscht sich von den Wählern allerdings ein bisschen mehr Politikverständnis. Immer wieder werde auch kritisiert, dass das Tempolimit nicht durchgesetzt wurde. „Ja, stimmt, haben wir nicht geschafft“, sagt sie. „Aber wir können das nicht gegen zwei Partner, die das nicht wollen, durchsetzen.“ Man wolle etwas ändern, werde aber durch SPD und FDP in der Regierung oft ausgebremst.