Rosenheim – „Wir sind an unsere Kapazitätsgrenzen gekommen“, sagt der CSU-Landtagsabgeordnete Daniel Artmann im OVB-Interview. Das hätten inzwischen nicht nur Unions-Landräte erkannt, sondern auch Rot-Grün. Artmann spricht über das Thema Migration. „Es ist kein Nicht-Wollen, sondern es ist ein Nicht-mehr-Können“, sagt der Abgeordnete über die Aufnahme von Flüchtlingen. Es fehle an allen Ecken und Enden – von Kinder-Betreuungsplätzen bis hin zum Wohnraum. Aber auch die Sicherheit spiele eine Rolle. „Man hat natürlich gemerkt, dass nicht nur der syrische Arzt gekommen ist. Deutschland hat mittlerweile 300000 Menschen, die ausreisepflichtig sind.“
Auch aus diesem Grund hat Artmann wohl Rainer Wendt nach Rosenheim geholt. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, der seit Jahren CDU- und CSU-Mitglied ist, sprach bei einem Vortrag unter dem Titel „Europa stärken – Migration begrenzen“. Zuvor stand Wendt im OVB-Interview Rede und Antwort.
Hat in den vergangenen Jahren ein Sinneswandel in Bezug auf das Thema Migration stattgefunden?
Ja, auch in der deutschen Politik. Der kommt natürlich auch durch die europäische Entwicklung zustande. Nichts beflügelt politische Parteien und Politiker mehr als Entwicklungen in anderen Ländern, die dann vorhersehbar sind. Die Entwicklung in Frankreich oder Italien – das ist genau die Entwicklung, die wir bei uns nicht haben wollen.
Ist die AfD deshalb so erfolgreich, weil sie Umstände anspricht, die bei den bürgerlichen Parteien kein Thema mehr zu sein scheinen?
Die bürgerlichen Parteien sprechen die Themen schon an – aber manchmal zu kompliziert. Es geht nicht nur um Zuwanderung. Die Dysfunktionalität in Deutschland ist ein großes Thema. Die wird kaum angesprochen, auch nicht von der AfD übrigens. Wenn der Staat nicht mehr richtig funktioniert, wenn mehr als 70 Prozent der Menschen in Deutschland die Auffassung vertreten, dass der Staat Aufgaben wie Sicherheit, Bildung, Straßen und Infrastruktur nicht mehr in ausreichendem Maße erledigen kann, dann ist das ein Alarmsignal. Das ist es, worüber sich die Leute ärgern.
Wie konnte es so weit kommen?
Der Staat hat sich zu sehr geschwächt, zu sehr verzettelt. Wir wollen die Welt retten, aber kriegen die eigenen Autobahnen nicht in den Griff.
Mit dem Thema Migration besetzt die CSU auch Themen, die sonst von anderen Parteien stark bespielt werden.
Nein, wir sprechen immer wieder darüber. Jetzt ist es allerdings auch der Aktualität in Zusammenhang mit der Europawahl geschuldet. Die Europäische Union ist ein Zusammentreffen, das man auch nutzen muss. Europa ist also nicht das Problem, sondern die Lösung vieler Probleme. Übrigens nicht nur bei der Migration, sondern in weiten Teilen auch in der inneren Sicherheit. Auch das muss die EU regeln. Nun kam – leider mit viel zu langen Übergangsfristen – ein Gesetz zum Schutz kritischer Infrastruktur. Ich werfe auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser immer wieder vor, sich viel zu viel Zeit mit den wichtigen Dingen zu lassen. Sie macht irgendwelche Kinkerlitzchen-Gesetze, aber nicht die wichtigen Dinge.
Sie haben das Ohr dicht an den Polizeibeamten. Was hören sie aus Rosenheim?
Eine ganze Menge. Zum Beispiel, dass die Grenzkontrollen sehr erfolgreich sind. Frau Faeser hat sich dafür gefeiert, als hätte sie es erfunden. Dabei hat sie sich sehr lange dagegen gewehrt und gesagt, das sei europa-schädlich. Das, was die Bundespolizei da macht, ist große Klasse. Jetzt sagt die Innenministerin, dass die Grenzkontrollen während der Fußball-Europameisterschaft verstärkt werden sollen, um Terrorismus zu bekämpfen. Da hat sie recht. Ich frage mich nur, ob sie glaubt, dass die Terroristen aus Deutschland und Europa abreisen, sobald die EM vorbei ist.
Auf EU-Ebene heißt es aus manchen Ecken allerdings auch, dass die Grenzkontrollen anti-europäisch seien.
Nein, die Reihenfolge ist völlig falsch. Als die Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raumes weggefallen sind, habe ich den damaligen Innenminister Thomas de Maizière gefragt, wie man denn auf diese Idee kommt. Man kann doch nicht erst die Grenzkontrollen wegfallen lassen und dann beschließen, die europäischen Außengrenzen zu kontrollieren. Deutschland war damals von einer Europa-Besoffenheit ohnegleichen und wollte einfach nur die Grenzkontrollen weg haben. Und an den Außengrenzen ist nichts passiert, die sind weiterhin nicht geschützt. Seitdem sind Menschen nach Deutschland eingereist, über die wir nichts wussten. Und das geht natürlich nicht.
Ein Viertel aller bundesdeutschen Schleuserfälle landet auf den Schreibtischen von Traunsteiner Staatsanwälten. Wie kann das sein?
Das ist der Fluch der guten Tat. Der Fluch der guten Arbeit der bayerischen Grenzpolizei gemeinsam mit der Bundespolizei. Es werden Schleuserbanden, aber auch Kriminelle gefasst, die mit ihren Banden durch ganz Europa reisen. Hier sind wir noch lange nicht einig in Europa. Das ist nicht das Europa, was wir uns vorgestellt haben. Die Profiteure der offenen Grenzen dürfen nicht Kriminelle sein. Ich bin davon überzeugt, dass wir diese Grenzkontrollen noch jahrelang brauchen werden, bis wir den Außengrenzschutz vernünftig sichergestellt haben.
Der Polizei wird auch immer wieder vorgeworfen, „Racial Profiling“ zu betreiben, also Verdächtige nach rassistischen Gesichtspunkten herauszupicken. Was ist dran?
Der Vorwurf ist absurd. Bei manchen Linken gehört das schon zum Sprachgebrauch. „Racial Profiling“ gibt es weder bei der Bundes- noch bei der Landespolizei. Die Polizei arbeitet nach bestimmten Kriterien, ja. Aber die Hautfarbe gehört sicherlich nicht dazu. Für die Entscheidung über eine Kontrolle hat man gelegentlich nur wenige Sekunden Zeit. Sich hinterher von Teilen des Gesetzgebers als Rassisten beschimpfen zu lassen, ist ein absurder Vorwurf.
Derzeit laufen in der Polizei 407 Ermittlungen wegen Extremismus und Verschwörungsideologien. Dass es ein Problem gibt, ist nicht von der Hand zu weisen.
Das stimmt, es gibt etwa 400 Verdachtsfälle in einer Polizei mit 335000 Beschäftigten. Von diesen Verdachtsfällen werden regelmäßig die meisten wieder eingestellt, weil sie sich als nicht stichhaltig erwiesen haben. Ein Fall, der sich bestätigt, ist einer zu viel, gar keine Frage. Aber hier von einem strukturellen Problem oder überhaupt von einem Problem zu sprechen, ist völlig absurd. Die Maßnahme von Nancy Faeser, einen Bundespolizeibeauftragten zu ernennen, ist völlig überzogen. Rausgeschmissenes Geld, um irgendein Phänomen zu untersuchen, das es in Wahrheit nicht gibt.
Kommenden Monat startet die Fußball-EM in Deutschland. Ist die Polizei gut vorbereitet?
Ja, wir sind gut vorbereitet. Und das, obwohl der Bundespolizei 30 Millionen Euro zusätzliche Mittel für die Europameisterschaft gestrichen wurden. Die Bundespolizei hat 500 Millionen Euro in diesem Jahr weniger in ihrem Haushalt. Wir wissen überhaupt nicht, wie die Bundespolizei das bewältigen soll. Sie muss wichtige Einsatztrainings einstellen, weil sie sie schlicht nicht mehr bezahlen kann. Aber grundsätzlich ist die Polizei in den Ländern gut aufgestellt. Die Polizei kriegt die Fußball-EM hin. Ob die Nationalmannschaft so gut abschneidet wie die deutsche Polizei, weiß ich allerdings nicht.
Interview: Patricia Huber