Rosenheim – Große Teile Bayerns hat der Regen der vergangenen Tage unter Wasser gesetzt, mit teils katastrophalen Folgen. Die Region ist verhältnismäßig glimpflich davon gekommen, auch wenn zahlreiche Flüsse über die Ufer traten. Für das Wasserwirtschaftsamt Rosenheim kein Grund zum Aufatmen. Behördenleiter Dr. Tobias Hafner erklärt im OVB-Gespräch Ursachen, Prävention und Prognosen.
Herr Dr. Hafner, das schlimme Hochwasser, das Teile Bayerns und Baden-Württembergs überschwemmte, hat sich bei uns primär auf den südlichen, westlichen und östlichen Landkreis Rosenheim beschränkt, es wurde der Katastrophenfall ausgerufen. Worin lag die Ursache?
Das lag an der Zugbahn der aktuellen seltenen Vb-Wetterlage (siehe Kasten). Wir dachten bis Montagmittag, dass wir mit einem blauen Auge davon kommen. Plötzlich hat uns die Zugbahn der Starkregenzelle doch noch getroffen. Das war unschön, es hätte aber auch noch schlimmer kommen können.
Dieses Mal waren in erster Linie die kleineren Gewässer im Kreis Rosenheim sehr stark betroffen. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Größere Flüsse wie Inn oder Mangfall blieben von dieser Niederschlagszelle eher verschont und wurden nicht so sehr überregnet als die kleineren Bachläufe. Die konnten den heftigen Niederschlagsmengen nicht mehr standhalten und traten über die Ufer. Die Vorwarnzeit vom Niederschlag bis zum Zeitpunkt, in dem das Wasser in den kleinen Bächen ankommt, ist sehr kurz. Im Umkehrschluss bedeutet das, mit diesen kurzen Vorwarnzeiten sind extrem hohe Risiken verbunden. Die Wassermassen flossen wild über Hänge und Felder, wir hatten Überflutungen auf vielen Flächen und Straßen wurden abgeschnitten. Teilweise verzeichneten wir Werte von HQ100 oder über HQ100 an den kleineren Bächen, wovon viele gar nicht mit Pegeln ausgestattet sind.
Was bedeutet „ HQ100“?
HQ100 bedeutet statistisch gesehen, dass dieser Wert nur alle 100 Jahre einmal vorkommt. Auf dieser Grundlage werden normalerweise Hochwasserschutzmaßnahmen bemessen. Hinzu kommt ein Meter Sicherheitszuschlag und ein Klimaänderungsfaktor von 15 Prozent. Die Anlagen werden künftig auf eine höhere Wasserführung ausgelegt oder so geplant, dass bei Bedarf nachgerüstet werden kann. HQ100 ist auch die Größenordnung, die mitunter entscheidend ist, in welchen Bereichen Baugebiete ausgewiesen werden dürfen.
Wie kann es sein, dass große Flächen, Felder und Straßen so schnell überschwemmt werden?
Die Niederschläge aus Starkregenereignissen, bei denen in sehr kurzer Zeit sehr große Mengen auf die Erde prasseln, sind größer als die Niederschlagsentlastungsanlagen und Kanalisationen in Siedlungsgebieten. Diese Menge kann gar nicht aufgenommen werden. Bei solchen Ereignissen lässt es sich zudem nur schwer unterscheiden, ob es sich bei den Sturzbächen um Wasser vom Bach handelt oder um Wasser, das aus der Fläche kommt. Wir haben Ereignisse, da ist der Bach nicht voll, das Wasser fließt aber sturzbachartig in den Bach und dieser führt dann das Wasser ab.
Das Starkregenereignis vom 3. Juni 2024 hat einmal mehr gezeigt, wie wertvoll und wichtig es ist, in Hochwasserschutzanlagen zu investieren – so schwierig es auch oft ist von der Planung bis zur Umsetzung. Stimmen Sie dem zu?
Definitiv. Man bereitet sich seit Jahren präventiv vor. Wir bauen seit vielen Jahren Hochwasserschutz, aber mit nur einer Maßnahme ist es nicht getan. Die noch relativ neuen Schutzmaßnahmen im Mangfalltal mitunter bei Kolbermoor haben sich jetzt bewährt nach dem letzten großen Hochwasser im Jahr 2013.
Wenn Kolbermoor oder Bad Aibling aufgrund von Schutzmaßnahmen verschont bleiben – besteht dann die Gefahr, dass sich die Hochwassergefahr verlagert und dafür beispielsweise Nachbargebiete wie jetzt Rohrdorf oder Flintsbach Risiko laufen, überschwemmt zu werden?
Nein, die Prüfung hört nicht bei der Landes- oder Gemeindegrenze auf. Bei baulichen Maßnahmen oder wenn Anlagen erhöht werden, wird immer mitgeprüft, ob sogenannte Unterlieger (Bereiche flussabwärts) davon beeinträchtigt sind. Für sie darf sich die Hochwassersituation nicht wesentlich verschärfen. Schutzmaßnahmen werden gesamtheitlich betrachtet und es muss eine Hochwasserneutralität nachgewiesen werden.
Können Starkregenereignisse und damit eingehende Warnungen überhaupt präzise vorhergesagt werden?
Je größer das Gewässer, umso besser lässt sich eine Vorhersage treffen. Wenn wir zum Beispiel für Rosenheims Pegel eine Prognose stellen, verwenden wir echte Pegelmessungen im Oberlauf (Mangfall, Tegernsee, Schlierach) sowie echte Niederschlagsmesswerte, um eine präzise Aussage zu erhalten. Maßgebend sind auch die zeitlichen Zuflüsse, wenn beispielsweise die Welle vom Inn flussabwärts nach Wasserburg bewertet wird.
Bei den kleinen Bächen allerdings fehlen diese Messwerte. Deshalb ist es schwierig, vorherzusagen, ob eine Wetterlage pauschal kleine Bäche anspringen lässt. Ferner können wir nicht sagen, wo genau der Niederschlag fällt, das kann sich innerhalb weniger Kilometer schon wieder ganz anders darstellen. Wir können vor der Wetterlage warnen, aber wir wissen nicht, welcher Bach in welcher Gemeinde überlaufen könnte.
Was können wir konkret und vorausschauend für die Zukunft tun?
Es gibt verschiedene Maßnahmen – vor allem in kritischen Bereichen – gar nicht oder hochwasserangepasst zu bauen. Mittlerweile ist usus, beispielsweise Keller- oder Lichtschächte höher zu errichten. Zudem gibt es die Möglichkeit, bauliche Schutzmaßnahmen an den kleineren Gewässern, die im Zuständigkeitsbereich der Gemeinden liegen, zu verwirklichen. Diese werden auch gefördert über das kommunale Sturzflut-Risikomanagementkonzept. Beim Landesamt für Umwelt können auf speziellen Sturzfluthinweiskarten gefährdete Bereiche, wie Geländemulden oder Talwege sowie bevorzugte Abflusswege bei Starkniederschlägen eingesehen werden.
Die Wetterprognose für die kommenden Tage fällt nach den heftigen Niederschlagsmengen eher regenarm aus. Entzerrt das die Situation in den überschwemmten Gebieten?
Ob noch Konsequenzen zu befürchten sind, kann pauschal nicht gesagt werden. Wir haben aber keine Hinweise darauf, dass die Pegel in den nächsten Tagen wieder ansteigen könnten. Ausschlaggebend für die Situation war dieses Mal die außergewöhnliche Vb-Wetterlage.
Interview: Marina Birkhof