„BGH-Richter haben Scheuklappen“

von Redaktion

Interview Rechts-Experte Peter Dürr zum Revisions-Verfahren im Fall Hanna

Rosenheim – Vor gut drei Monaten, am 19. März 2024, sprach die Vorsitzende der zweiten Jugendkammer am Landgericht Traunstein das Urteil über Sebastian T.: Wegen gefährlicher Körperverletzung und Mordes an Hanna W. (23) wurde der 22-Jährige zu neun Jahren Haft verurteilt. Die Verteidigung beantragte Revision.

Mittlerweile liegt die Urteilsbegründung vor. Die Verteidigung hat einen Monat Zeit, ihren Revisionsantrag zu begründen. Der Rosenheimer Rechtsanwalt Peter Dürr, Vorsitzender des Anwaltvereins Rosenheim und Vorstandsmitglied der Münchner Rechtsanwaltskammer, erklärt im OVB, wie es um die Erfolgsaussichten bei Revisionen steht.

Wie vielen Revisionsanträgen wird eigentlich stattgegeben?

Das sind deutlich unter zehn, eher sogar unter fünf Prozent. Das ist auch richtig so. Der Bundesgerichtshof (BGH) ist schließlich eine Korrekturinstanz, die nur eingreift, wenn in der Tatsacheninstanz Fehler passiert sind. Und dabei geht es um reine Verfahrensfehler, nicht um eine Neubewertung der Beweise. Daher sind erfolgreiche Revisionen ähnlich selten wie Freisprüche. Die Staatsanwaltschaft klagt ja schließlich auch nur dann an, wenn sie ziemlich sicher ist, dass am Ende eine Verurteilung rauskommt.

Das Landgericht hat die schriftliche Begründung des Urteils abgeschlossen, aktuell ist also die Verteidigung von Sebastian T. am Zuge. Wie sieht deren Arbeit im Moment aus?

Die Verteidigung hat ab der Zustellung der Urteilsbegründung einen Monat Zeit, ihren Antrag auf Revision zu begründen. Und da wartet viel Arbeit. Zunächst muss sie das Urteil zum Fall Hanna prüfen. Und da sind 290 Seiten zu lesen, auch wenn natürlich nicht jeder Gesichtspunkt in den schriftlichen Urteilsgründen für die Revisionsbegründung relevant sein wird. Auf der anderen Seite wird sich die Verteidigung im Vorfeld über gewisse Rügen, die schon länger im Raum standen, sicherlich bereits Gedanken gemacht haben.

Welche Rügen stehen denn im Raum?

Insbesondere die Rüge gegen die Ablehnung des Befangenheitsantrags der Verteidigung. Hierbei wird es vor allem auf eine gute Darstellung der Rüge und des Geschehensablaufes ankommen. Weil der Bundesgerichtshof von diesem Streit selbst also nichts mitbekommen hat, muss man den Richtern genau darlegen, was passiert ist. Der E-Mail-Austausch, aber auch die Entscheidung der Ersten Kammer, dem Ablehnungsgesuch nicht stattzugeben, müssen in die Begründung reinkopiert werden. Die Richter am BGH haben sozusagen Scheuklappen auf: Die schauen nicht nach links, die schauen nicht nach rechts. Die prüfen, was in der Revisionsschrift steht. Es gibt genügend Anwälte, die in ihren Verfahren eigentlich gute Gründe haben, eine Revision zu gewinnen, es aber nicht schaffen, diese auch substantiiert, also mit Gehalt gefüllt, darzulegen.

Wenn der Monat vorbei und die Begründung verfasst ist – was passiert dann?

Die Revisionsbegründung wird in Traunstein eingereicht. Das Landgericht leitet sie dann an die Zweigstelle Rosenheim der Staatsanwaltschaft Traunstein, und die gibt die Begründung dann an die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe weiter. Auch die Staatsanwaltschaft gibt eine Erwiderung ab. Und die geht ebenfalls an den Senat am Bundesgerichtshof.

Wie lange wird das Verfahren denn dauern – wie lautet Ihre Schätzung?

Ich rechne im Herbst mit der schriftlichen Erwiderung der Staatsanwaltschaft, aber dafür gibt es keine Frist. Es kann auch schneller gehen, aber ich würde darauf tippen, dass es erst nach dem Jahreswechsel zu einer Entscheidung des BGH kommt. Es ist nicht ungewöhnlich, wenn so etwas Monate dauert.

Wie fällt die Entscheidung?

Im Senat sitzen fünf Berufsrichter, sehr erfahrene Leute, sonst würden sie nicht am höchsten deutschen Gericht arbeiten. Es gibt unter ihnen einen Berichterstatter, der den Fall den Kollegen präsentiert. Dann wird besprochen und diskutiert. Entscheidend ist, ob das Revisionsanliegen begründet ist. Wenn die Richter einstimmig entscheiden, dann gibt es keine öffentliche Verhandlung. Wenn sie uneinig sind, sagen wir mal, zwei sehen den Antrag als begründet an, drei aber nicht, dann erfolgt eine mündliche Verhandlung. Dann wird die Revision verworfen oder der Fall wird ans Landgericht zurückverwiesen. Es ist ein sehr formelles Verfahren. Das, was man vorbringt, muss unbedingt überzeugen. Und meistens geht die Entscheidung zulasten des Revisionsführers.

Es gab während des Mordprozesses über 20 Beweisanträge. Kann es sein, dass da der eine oder andere Antrag vor allem im Hinblick auf eine Revision gestellt wurde?

Der eine oder andere Antrag mit Sicherheit. Und da wird es auch ein oder zwei abgelehnte Anträge geben, bei denen die Verteidigung sagen kann: Wir sind nicht einverstanden, dass dem nicht nachgegangen wurde. Neben der Rüge wegen des E-Mail-Austausches zwischen Staatsanwalt und Richterin und wegen des abgelehnten Befangenheitsantrags wird sicherlich auch etwas in dieser Richtung kommen.

Mit welchem Ausgang rechnen Sie denn persönlich?

Zum jetzigen Zeitpunkt liegt die Revisionsbegründung ja noch nicht vor, aber chancenlos ist der Antrag auf Aufhebung des Urteils sicher nicht.

Interview: Michael Weiser

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