Traunstein – Ein ungewöhnlicher Prozess rund um Spielsüchtige, hohe Schulden und Wucherzinsen startete vor der Ersten Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Heike Will. Das aufwendige Verfahren gegen einen 30 Jahre alten Mann aus Traunstein ist zunächst bis September terminiert, könnte aber noch deutlich länger dauern.
Zum Auftakt wurde die achtseitige Anklageschrift von Staatsanwalt Dr. Simon Fink verlesen. Weder der Angeklagte noch die Verteidiger Julia Weinmann und Andreas Müller, beide aus München, äußerten sich beim Verfahrensauftakt zu den Vorwürfen.
Der 30-Jährige und ein anderweitig verfolgter mutmaßlicher Mittäter sollen vereinbart haben, spielsüchtigen Personen Darlehen zu völlig überhöhten Zinsen zur Verfügung zu stellen. Wenn die Leute nicht zahlen konnten, sollten gemäß Anklage „willkürliche Strafzinsen“ gefordert werden. So sollten die Betroffenen ihre Schulden niemals bezahlen können – eine Voraussetzung, um die Geschädigten und ihre Familien „finanziell auszupressen“.
Um den Druck zu erhöhen, sollen sich der Angeklagte und sein Mittäter als Mitglieder der Rockerbande „Hells Angels“ ausgegeben haben. Hinzu kamen laut Staatsanwaltschaft Körperverletzungshandlungen und Todesdrohungen. Auf diese Weise soll „ein Klima der Angst“ geschaffen worden sein. Konkret ging es vorgeblich spätestens Anfang 2020 los. Die beiden großen Tatkomplexe im Raum zwischen Rosenheim, Waldkraiburg und Salzburg umfassen enorme Summen, die die Geschädigten aufbringen mussten. Die Rede ist in einem Fall von „Strafzinsen in Höhe von 6000 bis 7000 Euro pro Monat“, einmal auch von „1000 Euro pro Tag“. Bei den kriminellen Taten soll eine Familie im Herbst 2022 ein Haus in Waldkraiburg verloren haben. Ein Friseurgeschäft zur „Teiltilgung“ konnte letztlich gerade noch gerettet werden. Ähnlich soll es einem weiteren Geschädigten ergangen sein. Er soll ebenfalls spielsüchtig gewesen sein. Vor diesem Hintergrund soll er „Darlehen mit mehreren Hundert Prozent Zinsen“ notgedrungen akzeptiert haben. Im Herbst 2021 soll das mutmaßliche Opfer ein Darlehen von 35000 Euro auf drei Monate bekommen haben – zu Zinsen von 5000 Euro pro Monat. Für weitere 25000 Euro sollen monatlich 12500 Euro Zinsen verlangt worden sein. Als der Mann nicht zahlen konnte, waren für schließlich 87500 Euro Darlehen ein Extra-Strafzins von 15000 Euro plus 500 beziehungsweise 1000 Euro je Tag fällig. Trotz Zahlung von 85000 Euro durch die Familie waren für den Rest von 32500 Euro nach Überzeugung des Anklägers nochmals 15000 Strafzins und tägliche Zinsen von 1000 Euro fällig.
Nachdem es nicht möglich war, solche Summen aufzubringen, kassierte das Duo angeblich einen Porsche Cayenne. Nach Begleichen der Restsumme wurde der Wagen zurückgegeben. Später, nach einem weiteren Darlehen, wanderte das Auto wieder zu den „Geldgebern“. In diesem Stil sollen weitere Darlehensgeschäfte abgelaufen sein. Dabei soll auch eine Kurierfahrt mit einem Kilogramm Kokain gefordert worden sein.
Staatsanwalt Dr. Simon Fink wirft dem 30-Jährigen drei Fälle des „Wuchers in besonders schwerem Fall“, räuberische Erpressung und erpresserischen Menschenraub vor. Die weiteren Verhandlungstermine finden statt am morgigen Dienstag um 15 Uhr, am 16. Juli und 17. Juli, jeweils um 14 Uhr, am 5. und 16. August, 6. und 11. September, jeweils um 9.30 Uhr.Monika Kretzmer-Diepold