Traunstein/Reit im Winkl – Weil einem 33-jährigen Flüchtling aus Afghanistan die Asylbewerberunterkunft in Seegatterl bei Reit im Winkl zu abgelegen war und er näher an Traunstein leben wollte, zündete er am 14. November 2023 kurz vor Mittag das einstige Hotel Alpenhof an. Das Schwurgericht Traunstein mit Vorsitzendem Richter Volker Ziegler verhängte gegen den Flüchtling gestern eine Freiheitsstrafe von elfeinhalb Jahren – wegen vierfachen versuchten Mordes, versuchter Brandstiftung mit Todesfolge, besonders schwerer Brandstiftung und vorsätzlicher Körperverletzung.
Bewohner musste
von Balkon springen
Vier der eigentlich 20 Bewohner der Unterkunft, die aus einer früheren Gaststätte als Aufenthaltsbereich und dem dahinter liegenden Wohnkomplex besteht, weilten zu der Zeit vormittags in ihren Zimmern. Drei entkamen noch rechtzeitig und unverletzt den Flammen und den Rauchgasen. Dem vierten Mann war der Fluchtweg über die Treppe durch Flammen und giftigen Qualm bereits versperrt. Er musste aus dem ersten Obergeschoss springen und brach sich zwei Wirbel. Bis heute leidet der Geschädigte unter erheblichen Schmerzen, wie er als Zeuge in dem Prozess berichtete.
Der Angeklagte lebte seit 8. Oktober 2023 in der weit vom Ortskern entfernten Unterkunft und arbeitete in Traunstein. Der voll schuldfähige Mann fühlte sich in Seegatterl „wie im Gefängnis“, wie er dem psychiatrischen Sachverständigen, Dr. Josef Eberl vom Bezirksklinikum in Gabersee, schilderte.
Schon einen Tag vor dem Brand kündigte er an, ein Feuer zu legen. Dies wurde der Polizei Grassau bekannt. Nachdem bei dem 33-Jährigen auch noch eine Cola-Flasche mit Nitroverdünnung gefunden worden war, wurde für den nächsten Tag eine „Gefährderansprache“ anberaumt. Dazu kam es aber nicht mehr.
Vormittags besorgte sich der Angeklagte nach seinen Worten in einer Tankstelle einen Kanister mit Benzin, verteilte den Inhalt im Altbau und zündete den Brandbeschleuniger an. In kurzer Zeit griffen die Flammen um sich, erfassten Mobiliar und Teile des Gebäudes. Zimmer und Flure füllten sich mit Qualm und Rauchgasen. Sowohl einer der Bewohner als auch ein zufällig vorbeikommender Bergbahnmitarbeiter verständigten die Feuerwehr. Letzterer half den Bewohnern dabei, das Gebäude zu verlassen.
„Verletzungen und Tod
in Kauf genommen“
Zahlreiche Feuerwehrleute waren im Einsatz, darunter Atemschutzträger. Bei dem Vollbrand wurde der Aufenthaltsbau komplett zerstört. Der Wohntrakt konnte gerettet werden, war jedoch seither nicht mehr bewohnbar. Den Sachschaden bezifferte ein Gutachter des Bayerischen Landeskriminalamts gestern mit mindestens 700000 Euro. Der Verdacht, der 33-Jährige könne das Feuer gelegt haben, stand schnell im Raum. Er hatte nichts unternommen, um Menschenleben zu retten und zum Beispiel die Feuerwehr zu rufen.
Eine Kernfrage in den Plädoyers war, ob der Angeklagte seine Mitbewohner schädigen oder gar töten wollte. Staatsanwalt Markus Andrä bejahte die Frage klar. Ein direkter Verletzungs- oder Tötungsvorsatz sei wohl nicht anzunehmen. Der 33-Jährige habe jedoch Verletzungen und Tod insbesondere durch Feuer und Rauchgase „billigend in Kauf genommen“. Die Bewohner seien „arg- und wehrlos“ gewesen. Der Ankläger wörtlich: „Das Töten völlig Unbeteiligter steht sittlich auf unterster Stufe.“
Der Verteidiger, Roland Netzer aus Traunstein, hingegen verneinte die Frage genauso entschieden. Mit dem Tod von Bewohnern habe sein Mandant nicht gerechnet und auch nicht geahnt, dass der verletzte Bewohner aus der ersten Etage springen musste.
Der Staatsanwalt plädierte im vollen Sinn seiner Anklage auf eine lebenslange Freiheitsstrafe. Außerdem solle die „besondere Schwere der Schuld“ festgestellt werden. Damit sei nicht automatisch eine Entlassung aus dem Gefängnis nach 15 Jahren möglich. Andrä hob heraus: „Es war eine geplante Tat.“ Der 33-Jährige habe „die Verlegung nach Traunstein erpressen wollen.“ Ein Wohngebäude in Brand zu setzen, sei „ein extrem gefährliches Ereignis“, dessen Folgen man nicht im Griff habe.
Andrä gelangte zu drei Mordmerkmalen, darunter Heimtücke und niedrige Beweggründe. Einer Strafrahmenverschiebung wegen der Versuchstaten erteilte Andrä eine Absage. Zwar habe der 33-Jährige frühzeitig ein Geständnis abgelegt, keine Vorstrafen und eine leichte psychische Anpassungsstörung laut Gutachter. Doch stünden dem die drei Mordmerkmale entgegen, mehrere betroffene Personen, bei einem Mann massive Verletzungsfolgen bis heute sowie der hohe Sachschaden.
Die Höhe der Strafe für lediglich eine „besonders schwere Brandstiftung“ und eine „fahrlässige Körperverletzung“ an dem Mann, der vom Balkon sprang, stellte Verteidiger Roland Netzer in das Ermessen des Gerichts. Der 33-Jährige habe gedacht, mit einer Brandstiftung allen Bewohnern „einen Gefallen zu tun“.
Rechtskraft des
Urteils noch offen
Im Urteil unterstrich der Vorsitzende Richter, zumindest für einen Bewohner habe „Todesgefahr“ geherrscht: „Er konnte nur mehr über den Balkon springen.“
Zum Thema „Mordversuch“ betonte Volker Ziegler, die Art des Brandmittels und das Ausschütten auf großen Flächen seien äußerst gefährlich: „Er konnte nicht mehr darauf vertrauen, dass Dritte nicht in Gefahr oder zu Tode kommen.“ Dem Angeklagten sei bekannt und „gleichgültig“ gewesen, dass Menschen im Gebäude waren.
Der 33-Jährige erklärte, er wolle das Urteil annehmen und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Ob es damit rechtskräftig wurde, ließ das Gericht offen.