Prien/Grassau – Sie kommen „wie die Heuschrecken“, sagt Werner Vietz von der Polizeiinspektion Prien und meint damit Betrüger. „Das waren früher diese falschen Handwerker, Dachverleger, Heizungsbauer oder Pflasterreiniger“, führt der Polizeihauptkommissar aus, „die einen Landkreis nach dem anderen abklappern.“ Jetzt imitieren sie eine neue Berufsgruppe: Pflegedienste.
Die Polizeiinspektionen Prien und Grassau warnen vor der neuen Betrugsmasche, die bereits am vergangenen Sonntag für einen erheblichen Vermögensschaden in fünf bislang bekannten Fällen sorgte. Getarnt als Mitarbeiter von Pflegediensten erschlichen sich die Täter das Vertrauen ihrer Opfer und gelangten so an einen hohen Bargeldbetrag, teilt die Polizeiinspektion Prien mit.
Ihre Beute ergatterten die Betrüger in einem kurzen Zeitfenster. Innerhalb von knapp drei Stunden suchten die Täter ihre Opfer zwischen 14 Uhr und 17 Uhr unter der Legende eines Pflegedienstes in Rimsting, Grassau und Bernau auf, lenkten diese geschickt ab und erbeuteten dadurch einen Bargeldbetrag im deutlichen fünfstelligen Bereich. Eine genaue Summe könne nicht angegeben werden, da die Ermittlungen noch andauern und die Polizei sonst Täterwissen weitergeben würde, erklärt Vietz.
Gefahndet wird
nach zwei Frauen
„Wir verurteilen das aufs Heftigste“, sagt Michael Wittmann, Geschäftsführer der Vereinigung der Pflegenden in Bayern. Wichtig sei es, Mitarbeiter in Pflegediensten oder Mitarbeiter in Pflegeheimen dafür zu sensibilisieren, wer ihnen am Arbeitsplatz unterkommt: „Das sind die Gesichter, die ich kenne.“ Bei fremden Gesichtern sollte dann erst einmal Vorsicht geboten sein, so der Geschäftsführer. „Das andere habe ich auch selber gemacht in meiner aktiven Pflegeheimzeit: die Bewohner regelmäßig darauf hinzuweisen, keine großen Bargeldbestände oder wertvolle Gegenstände in den Zimmern zu deponieren.“
Bei den mutmaßlichen Tätern handele es sich laut Polizeiinspektion um mindestens zwei weibliche Personen, von denen eine als 20 bis 30 Jahre alt, schlank und zierlich, mit dunklen Haaren und osteuropäischer Erscheinung beschrieben wird. „Sie sprach gebrochen Deutsch mit Akzent und war mit weißer Pflegedienstkleidung und einem Mundschutz bekleidet“, sagt Jürgen Thalmeier, Erster Polizeihauptkommissar bei der Polizeiinspektion Prien. Von der zweiten Frau sei nur eine vage Beschreibung vorhanden: Sie sei größer als die erste Täterin und habe blonde Haare.
Aufklärungsarbeit kann helfen
„Ich denke, dass man hier nur mit großflächiger Aufklärungsarbeit etwas erreichen kann“, sagt Bernaus Bürgermeisterin Irene Biebl-Daiber. Vom örtlichen Pflegedienst wisse Biebl-Daiber, dass es dort mittlerweile Vereinbarungen gibt, wie sich die Mitarbeiter an der Tür melden. „Das gibt den Patienten Sicherheit.“ Dieser Meinung schließt sich Rimstings Bürgermeister Andreas Fenzl an.
In Rimsting habe es in Zusammenarbeit mit der Polizei schon Infoveranstaltungen gegeben, auf denen Senioren über die gängigen Betrugsmaschen aufgeklärt wurden, berichtet der Bürgermeister. „Ich glaube, dass wir auch lernen müssen, dass so etwas überall passieren kann – auch in einem kleinen Dorf, wie wir es sind.“ Wichtig sei es, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, sagt Fenzl.
Gewerbsmäßiger Bandendiebstahl
Bei den Fällen im Chiemgau gehen die Ermittler von einem organisierten Diebstahl aus – „einem gewerbsmäßigen Bandendiebstahl“, sagt Polizeihauptkommissar Thalmeier. „In unserem Bereich sind drei Pflegeheime betroffen gewesen“, sagt Thalmeier. Genaue Lokalitäten gibt die Polizei nicht bekannt, allerdings spricht sie auch von „betreuten Wohnanlagen“.
„Ich muss sagen, dass es bei uns, Gott sei Dank, noch nicht vorkam“, sagt Marina Egart, Einrichtungsleiterin des Pflegeheims in Grassau. „Natürlich kann es passieren, dass jemand bei der Tür reinkommt“, sagt die Einrichtungsleiterin. Allerdings seien die Pflegekräfte mit Namensschild und einheitlicher Kleidung ausgestattet und neue Mitarbeiter werden den Bewohnern vorgestellt. Die aktuellen Vorfälle findet sie „furchtbar, also ganz, ganz schrecklich“. Denn die Angst vor Schockanrufen, kriminellen SMS oder falschen Handwerkern an der Tür sei bei vielen Senioren sowieso schon vorhanden.
„Uns sind bisher keine vergleichbaren Fälle bekannt geworden“, sagt auch Rainer Vietze, Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Traunstein auf OVB-Anfrage. Das Ermittlungsverfahren zu dem aktuellen Fall laufe bei der Staatsanwaltschaft Traunstein in der Spezialabteilung zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden und organisierten Kriminalität.
Polizei bittet um Zeugenhinweise
„Nach den bisherigen Erkenntnissen besteht der Verdacht des schweren Bandendiebstahls“, führt der Oberstaatsanwalt aus. Der Strafrahmen reiche von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe – für jeden einzelnen Fall.
Da sich das Ermittlungsverfahren noch ganz am Anfang befinde, könnten hierzu derzeit aber keine weiteren Auskünfte erteilt werden.
Zur Klärung des Sachverhalts bitten die Polizeiinspektionen Prien und Grassau auch um Mithilfe aus der Bevölkerung. Hinweise werden aber ebenso von jeder anderen Polizeidienststelle entgegengenommen: Wer hat am Sonntag auffällige Personen oder Fahrzeuge in der Nähe von Pflegeeinrichtungen, insbesondere westlich und südlich des Chiemsees, gesehen? Wem sind die beschriebenen Frauen auch in der Nähe von Pflegeeinrichtungen aufgefallen oder wer kennt deren möglichen Aufenthaltsorte? Zeugen, denen etwas aufgefallen ist, sollen sich bei der Polizei melden.