Notsituation der Flüchtlinge ausgenutzt?

von Redaktion

Flüchtlinge in Inzell betrogen und ausgenutzt: Trotz der schweren Vorwürfe gegen die mutmaßlichen Täter konnten die Tatbestände des Betrugs und Wuchers nicht nachgewiesen werden. Die Angeklagten sind wieder auf freiem Fuß, doch der Fall ist nicht abgeschlossen.

Inzell – Sebastian Günther spricht schnell und aufgeregt. Er ist Flüchtlingshelfer in Inzell. Sebastian Günther ist nicht sein wahrer Name, denn er macht sich Sorgen um seine Sicherheit. Mehr als sein eigener Schutz liegt ihm das Schicksal der Flüchtlinge in dem Inzeller Hotel Gastager am Herzen. Dort haben die Geflüchteten unter „seelischem Druck leiden müssen“, sagt Günther.

Großrazzia im Hotel am frühen Morgen

In den frühen Morgenstunden des 11. Januar rollen Einsatzfahrzeuge der Polizei vor das Inzeller Hotel. Wagentüren schlagen und der Schnee der schlecht geräumten Einfahrt knirscht unter den Stiefeln der Polizisten. „Einige Dutzend Einsatzkräfte“ sind es nach Angaben des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, die bei der großangelegten Razzia das Gebäude stürmen, unterstützt von zwei Staatsanwälten. Sie kamen, um zwei Personen zu verhaften. Gegen den Pächter und seine mutmaßliche Komplizin lag ein Haftbefehl vor: wegen des dringenden Tatverdachts von Betrug und Wucher in einem besonders schweren Fall. Außerdem sollten im Zuge eines Durchsuchungsbefehls „das Gebäude, die Belegung und die Personen, die sich dort aufhalten“, angeschaut werden, wie Polizeisprecher Stefan Sonntag vom Polizeipräsidium Oberbayern Süd mitteilte. Der Einsatz dauerte Stunden. Am Ende hatten die Beamten Unterlagen gesammelt, Zeugen befragt, 25000 Euro in bar gefunden und zwei Personen abgeführt.

Laut Staatsanwaltschaft hatte der Pächter zahlreiche Hotelzimmer an ukrainische Flüchtlinge vermietet und die Notsituation der Geflüchteten ausgenutzt. Das Jobcenter übernimmt für ukrainische Flüchtlinge die Mietkosten im Rahmen des Bürgergeldes. Bei der Untersuchung des Hotels wurden in 27 Zimmern jeweils zwei bis fünf Personen aufgefunden.

Jede erwachsene Person habe eigene Mietverträge abgeschlossen, wodurch der Pächter mehrfach Miete pro Zimmer kassiert haben soll. Die Staatsanwaltschaft berichtete beispielsweise von einer fünfköpfigen Familie, die sich ein Zimmer teilen musste.

Kontakt zur Außenwelt untersagt

Die mutmaßlichen Betrüger „wollten, dass die Ukrainer keinen Kontakt zur Außenwelt haben“, sagt der Flüchtlingshelfer Sebastian Günther. Er habe sich mit Geflüchteten außerhalb des Hotels in Inzell getroffen, um sie mit organisatorischen Dingen wie Behördengängen zu unterstützen. Als der Pächter davon erfuhr, versuchte er laut Günther, den Flüchtlingen den Kontakt zu dem Helfer zu verbieten. Das ließ sich Günther nicht gefallen.

Er organisierte sich mit den Ukrainern des Hotels über Whatsapp und half ihnen bei der Wohnungssuche. So habe er schon vor der Razzia einigen helfen können, eine neue Bleibe zu finden. Seine Bemühungen blieben nicht unbemerkt. Vonseiten des Hotels sei er aufgefordert worden, „die Finger von den Ukrainern zu lassen“, sagt Günther.

Die Staatsanwaltschaft Traunstein teilte mit, dass im Zuge der Ermittlungen bereits im Dezember vergangenen Jahres festgestellt wurde, dass 123 Personen mit der Adresse des Hotels gemeldet waren. Etwa 100 Mietverträge wurden bei der Razzia im Januar sichergestellt. Damals ging die Staatsanwaltschaft von einem Schaden von rund 100000 Euro aus. Die mutmaßlichen Täter landeten in Untersuchungshaft. Aber die Vermutungen der Staatsanwaltschaft trafen nicht zu.

Die Straftatbestände des Betrugs und des Wuchers durch Abrechnung überhöhter Mieten seien nicht nachweisbar, sagt Oberstaatsanwalt Dr. Rainer Vietze, Sprecher der Staatsanwaltschaft Traunstein, „da das Jobcenter aufgrund der bestehenden gesetzlichen Vorgaben verpflichtet ist, auch sehr hohe Mieten zu erstatten.“ Beide Angeklagten, die sich seit 11. Januar in Untersuchungshaft befunden haben, seien wieder „auf freiem Fuß“, teilt die Staatsanwaltschaft Traunstein mit.

Zu wenige Fälle nachweisbar

„Im Hinblick auf den Vorwurf der betrügerischen Mehrfachvermietung von Zimmern waren nur wenige Einzelfälle nachweisbar“, sagt Oberstaatsanwalt Vietze. Deshalb „wurde von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft nach § 154 Absatz 1 Strafprozessordnung abgesehen.“

„Ich finde das einen Skandal“, sagt Sebastian Günther und bezieht sich auf die widrigen Umstände, in denen die Geflüchteten gelebt haben sollen. Als er in Rente ging, habe er das Ehrenamt als Flüchtlingshelfer angefangen, da er sich in der Gemeinde engagieren wollte. „Meine Mutter musste im Krieg vor den Russen flüchten“, erzählt Günther, und „als ich die Ukrainer am Bahnhof gesehen habe“, sei für den Rentner die Entscheidung klar gewesen.

Obwohl der Pächter und seine Komplizin nicht mehr in Untersuchungshaft sitzen – nachweislich straffrei sind sie nicht. Die Staatsanwaltschaft Traunstein habe „gegen beide Beschuldigte jeweils den Erlass eines Strafbefehls beantragt“, sagt Oberstaatsanwalt Vietze. Von dem Ermittlungsverfahren wegen Betrugs und Wucher wurde nur abgesehen, da die zu erwartende Strafe „angesichts der in den beiden Strafbefehlen verfolgten Straftaten nicht erheblich ins Gewicht fällt“, führt Vietze aus. Denn auf die beiden Angeklagten fällt ein neues Licht.

Vorwürfe gegen ehemaligen Pächter

Wie die Staatsanwaltschaft Traunstein mitteilt, wird dem ehemaligen Pächter des Alpenhotels Gastager vorgeworfen, im März 2023 einen an eine ehemalige Bewohnerin adressierten Brief der Landesjustizkasse Bamberg unrechtmäßig geöffnet zu haben. Der Brief forderte die Frau auf, ihre Bankverbindung für eine Rückzahlung von 71000 Euro anzugeben. Der Angeklagte soll seine eigene Bankverbindung eingetragen und die Unterschrift der Frau gefälscht haben. Dadurch seien die 71000 Euro auf seinem eigenen Konto gelandet.

Urkundenfälschung, Betrug und mehr

Ihm wird Betrug, Urkundenfälschung und Verletzung des Dienstgeheimnisses vorgeworfen. „Im Strafbefehl wurde eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde“, sagt Rainer Vietze. Zugleich sei die Einziehung von rund 71000 Euro angeordnet worden.

Der früheren Mitarbeiterin und Komplizin des Pächters wird zur Last gelegt, einer Onlinebekanntschaft Geld abgeknöpft zu haben. Durch Vortäuschen falscher Tatsachen soll sie sich so 20000 Euro erbeutet haben. Dieser Betrag soll nun laut Strafbefehl eingezogen werden. Ebenfalls sei für sie eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt worden, sagt Vietze. Deren Vollstreckung auch in ihrem Falle zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Entscheidung ist
nicht rechtskräftig

„Die beiden Angeklagten haben Einspruch eingelegt, sodass die Entscheidungen nicht rechtskräftig sind und der weitere Verlauf des Strafverfahrens abzuwarten bleibt“, schließt Oberstaatsanwalt Vietze.

Vonseiten des Hotels hieß es bereits im Februar, dass Renovierungsarbeiten stattfinden werden, um wieder einen touristischen Betrieb aufnehmen zu können. „Jetzt wohnen gerade noch 13 Geflüchtete im Hotel“, sagt Flüchtlingshelfer Sebastian Günther.

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