„Männer-Phänomen“ Sportwetten

von Redaktion

Interview Suchtberaterin Lena Lorenz warnt vor existenzbedrohenden Auswirkungen

Rosenheim – Bei der Fußball-EM fiebern Millionen mit. Für viele von ihnen sind Sportwetten ein Teil des Vergnügens. Doch immer wieder wird aus Spaß Ernst: Wenn das Wetten der Kontrolle entgleitet, laufen Spieler Gefahr, ihre Existenz zu ruinieren. Der Schaden, auch für Angehörige, ist oft immens. Lena Lorenz ist Suchtberaterin bei der Fachambulanz für Suchterkrankungen der Diakonie Rosenheim. Mit dem OVB sprach sie über die Folgen von Spielsucht.

Gerade ist Europameisterschaft in Deutschland. Stimmen Sie in die allgemeine Euphorie ein?

Die Euphorie ist nachvollziehbar, klar, es ist ein großes Ereignis. Und es ist etwas Positives. Es ist doch immer noch schön, dass so etwas nach der Pandemie wieder stattfindet. Aber solche großen sportlichen Ereignisse bringen auch Herausforderungen mit sich. Gerade so etwas wie eine EM. Da laufen einfach sehr viele Sportwetten und Glücksspiele. Und das häufig unmoderiert und eher im Hintergrund.

Wie gefährlich ist denn so was für Menschen, wenn so sportliche Großereignisse sich häufen und dann die Stimmung so richtig partymäßig ist?

Es gibt beim Spielen, wie bei jedem anderen Suchtverhalten, einen gewissen Verlauf. Und solche sozialen Ereignisse sind oft ein Einstieg in ein problematisches Spielverhalten. Viele Wettbüros oder Onlinebüros werben gerade jetzt oder setzen ihre Anker auf Social Media.

Wird dabei Dopamin ausgeschüttet?

Die Ausschüttung von positiven Botenstoffen wird durch das Spielverhalten angestoßen. Aber nicht in der Art, dass ein Stoff die Rezeptoren im Hirn besetzt, wie jetzt bei Drogen oder Kaffee oder Alkohol. Es ist das Spielen an sich, das dieses System auslöst. Und das nicht nur beim Gewinnen, sondern allein schon durch das Hoch, sich als Teil eines solchen Ereignisses zu fühlen. Und irgendwann will man das wieder und wieder.

Woran merke ich, dass es gefährlich wird?

Die meisten Menschen merken eine Art des Verrutschens. Sie fangen an, Wetten unabhängig von diesen vereinzelten sozialen Anlässen zu platzieren oder zu spielen.

Es geht dann weiter, bis man irgendwann wirklich nur noch von Spiel zu Spiel denkt. Oder dass man vielleicht überlegt, auf dem Heimweg von der Arbeit schnell noch bei einem Wettbüro vorbeizuschauen. So gewinnt das Spielen langsam seinen Platz im Alltag. Es beschleunigt sich dann, wenn man merkt, dass man zwar zunächst gewonnen, zuletzt aber immer wieder verloren hat.

Das will man dann kompensieren?

Genau, und das ist dann der Moment, in dem viele sagen, ich habe doch mal gewonnen, das werde ich schon wieder schaffen. Für viele wird es ab da problematisch, weil zum Beispiel der Partnerin oder einem Angehörigen auffällt, dass man sich nach der Arbeit ganz schön oft in einem Spielbüro aufhält oder viel am Handy hängt.

Und manchmal fehlt dann auch schon Geld vom Konto. Das müssen oft noch gar keine Riesenbeträge sein, da reichen oft schon die 500 Euro aus der Urlaubskasse.

Ärgerlich genug. Kennen Sie Leute, die sich ruiniert haben?

Das gibt es durchaus. Es gibt viele Menschen, die sehr hohe Schulden haben, im sechsstelligen Bereich, die vielleicht sogar Häuser verspielt haben, was dann Familien wieder unfassbar viele Probleme bereitet. Viele Menschen müssen wegen Spielens Privatinsolvenz anmelden. Es gibt auch Selbstständige, die ihre Firma mit hineingezogen haben. Das sind dann ganz tragische Verläufe. Es gibt in der Gruppe der Spieler eine höhere Prävalenz für Suizidgefahr.

Geht das auch mit Alkoholsucht einher?

Auch. Wir erleben viele Nebenerscheinungen, zum Beispiel, dass sich Menschen aus Scham zurückziehen. Andere rutschen in eine depressive Episode oder entwickeln noch eine andere stoffgebundene Sucht. Soziale Probleme kommen oft dazu. Viele bekommen dann auch noch Probleme mit der Justiz, weil sie vielleicht versucht haben, Geld auf anderen Wegen zu beschaffen, etwa durch Veruntreuung.

Hört sich an wie die Büchse der Pandora, die man mit einem harmlosen Tipp öffnen kann.

Das kann man so sagen, ja. Das passiert nicht zwingend bei jedem, der einmal irgendwie auf ein Fußballspiel wettet. Aber natürlich gibt es ein Risiko.

Am Grunde der Büchse der Pandora ruht die Hoffnung.

Tatsächlich spielen viele mit der Hoffnung auf das große Geld. Es gibt natürlich auch einige professionelle Spieler, die sehr viel Zeit investieren, die auch wirklich die Chancenwahrscheinlichkeiten bei verschiedenen Spielen sehr gut kennen und berechnen können. Der Durchschnittsspieler ist aber tatsächlich eher einer, der mal auf ein Fußballspiel wettet, gerne jetzt bei der EM, oder der mal so ein Onlinespielchen ausprobiert oder Online-Poker und dann durch erste Gewinne angetriggert wird. Am Ende gewinnt immer die Bank.

Sie sprechen von Spielern. Ist Spielen eine Männersucht?

91 Prozent der Spieler sind Männer, in der Tat. Also, das ist ein Männer-Phänomen. Vor allem für Männer zwischen 25 und 45. Und es gibt tatsächlich einen sehr hohen Anteil von deutschen Spielern. Spielen ist hier längst angekommen.

Sollte man die Werbung verbieten? Zumindest Fernsehwerbung?

Es ist durch den Staatsvertrag und einfach alles drumherum sehr viel geregelt worden. Auch Spielhallen und Wettbüros haben viele Auflagen, die sie erfüllen müssen. Man versucht schon, das irgendwie zu reglementieren. Wo ich eine ganz große Gefahr sehe, ist das Online-Segment, weil da auch oft Werbungen zwischendurch als Anker geschaltet werden. Dann ploppen Bilder von Gewinnern oder Ähnlichem als Werbung auf. Und der Online-Zugang ist sehr einfach.

Werbung, die einfach aufploppt?

Genau, und der Zugang ist hier weniger limitiert. In einem Wettbüro kann man immer noch hoffen, dass es vielleicht jemandem auffällt, wenn jemand sehr jung ist oder wenn sich jemand eine Sperre einrichten lassen hat. Aber wenn ich mit dem Handy da sitze, kann ich auch einen Ausweis von meiner Mama, von meinem Partner, von wem auch immer verwenden oder über eine ID von jemand anderem einsteigen. Und dann kann ich sofort spielen.

Ich muss nicht aus dem Sessel aufstehen, über die Straße gehen und mich dann unter zwielichtige Gestalten begeben. Ich mache das mit einem Wisch übers Display.

Richtig. Und dann ist es meistens auch direkt verlinkt mit einem Online-Zahlungsmittel. Da muss ich dieses Geld auch gar nicht bewusst ausgeben. Eine ganz große Hemmschwelle entfällt.

Wenn ich dabei bin, Haus und Hof zu verspielen, und ich auf Ihre Adresse stoße. Wie helfen Sie dann?

Wir bieten von einer unverbindlichen Beratung bis hin zur Therapie oder Vermittlung beispielsweise in stationäre Behandlungsmöglichkeiten eigentlich alles an. Wir starten immer mit einem unverbindlichen Gespräch. Es braucht nicht jeder das Gleiche. Bietet sich beispielsweise eine ambulante Therapie an, um vom Spielen wegzukommen? Geht es um eine stationäre Maßnahme oder geht es auch um die Vermittlung in weiterführende Maßnahmen, wie etwa eine Schuldnerberatung. Dafür sind wir da.Interview: Michael Weiser

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