Rosenheim – Samerberg, Kesselberg, Sudelfeld: Beliebte Motorradstrecken in der Region machen immer wieder Schlagzeilen. Allerdings negative. Denn wo viele Fahrer unterwegs sind, kommt es auch häufig zu Unfällen. Wie schwer die Verletzungen dabei ausfallen, hängt von vielen Faktoren ab, wie Dr. Christian Zeckey, Chefarzt der Unfallchirurgie und Orthopädie im Romed-Klinikum Rosenheim, erklärt.
Die Zahl der Motorradfahrer ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Wie sieht es mit der Zahl der Unfälle aus?
Hier in der Klinik liegen wir nach unseren Traumaregisterdaten etwas höher als der Bundesdurchschnitt. Die Daten für unseren Standort in Rosenheim zeigen, dass wir im bundesweiten Durchschnitt 0,7 Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt liegen. Wir haben in Deutschland circa fünf Millionen motorisierte Zweiräder und es gibt jährlich circa 9000 schwer verletzte Fahrer. Tödlich enden jährlich rund 500 Unfälle in Deutschland. Zum Vergleich: Wir haben knapp 50 Millionen zugelassene Pkw – da gibt es „nur“ 1000 tödliche Unfälle. Das Risiko, bei einem Unfall mit dem Motorrad tödlich zu verunfallen, ist – je nach Statistik – vier bis sechsmal so hoch wie beim Auto.
Gibt es also hier in der Region auch mehr tödliche Motorradunfälle?
Im Bereich des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd hatten wir 2022 insgesamt 30 tödliche Motorradunfälle. In Relation zu den 500 tödlich Verunglückten in ganz Deutschland sind das sechs Prozent alleine hier in unserem Raum. Das empfinde ich als relativ viel.
In welchem Alter sind die Verunfallten meist?
Die höchste Unfallrate liegt bei den jüngeren Fahrern bis zum Alter von 25 Jahren. Zudem verunfallen Männer häufiger als Frauen, was aber auch daran liegt, dass deutlich mehr Männer Motorrad fahren.
Welche Rolle spielt die Schutzkleidung?
Es gibt ja gewisse gesetzliche Vorgaben. In Deutschland ist nur der Helm Pflicht. Dieser reduziert um knapp 40 Prozent tödliche Verletzungen. Das ist enorm. Und das sind nur die tödlichen Verletzungen. Das bedeutet, der Prozentsatz an nicht tödlichen Schädelhirnverletzungen wird natürlich um ein Vielfaches mehr gesenkt.
Und wie ist es mit der übrigen Schutzkleidung? Also Jacke, Hose, Schuhe, Handschuhe – werden die auch getragen?
Nicht alle Biker fahren voll ausgerüstet. 90 Prozent tragen Handschuhe. 85 bis 90 Prozent tragen eine Schutzjacke. 70 Prozent tragen Motorradstiefel und nur 60 Prozent eine Motorradhose, beziehungsweise die Kombinationen. Besonders die Jacke und die Stiefel schützen enorm. Schwere Verletzungen können durch die Jacke um über 50 Prozent, insbesondere in der Kombination mit Handschuhen, reduziert werden. Motorradhosen reduzieren ebenfalls das Risiko – besonders für Weichteilverletzungen. Stiefel können sogar Frakturen reduzieren, nach publizierten Daten um bis zu 60 Prozent. Das ist eigentlich auch logisch, da man ja auf dem Motorrad keine Knautschzone hat. Durch die Schutzkleidung baut man sich diese quasi selbst auf. Daher ist Schutzausrüstung mit internen Verstärkungen noch wirksamer.
Was sind die typischen Verletzungsbilder bei Motorradunfällen?
Das kommt etwas auf die kinetische Energie und den Unfallmechanismus an. Die Verletzungen im Stadtverkehr beziehen sich meistens auf die Extremitäten. Ein Beispiel hierfür wäre ein Sturz im Stand an der Ampel. Die höheren energetischen Traumen hat man immer dann, wenn es zum abrupten Stopp durch ein Hindernis wie ein Auto oder einen Baum kommt. Bei all diesen Stopp-Unfällen sehen wir sehr häufig Verletzungen vom Becken. Denn die Motorradfahrer sitzen auf dem Motorrad und vor ihnen ist der Tank. Auch die Wirbelsäule ist häufig verletzt. Zusätzlich kommt es – je nach Unfallhergang – auch oft zu Handgelenksverletzungen, wenn der Fahrer es noch schafft, sich abzustützen.
Was raten Sie Ersthelfern: Helm abnehmen, oder nicht?
In Deutschland braucht jeder, der einen Führerschein macht, einen Erste-Hilfe-Kurs, und dort lernt man auch die Helmabnahme. Deswegen rate ich: Nehmen Sie bei lebensgefährlich verletzten Patienten den Helm ab. Es hilft am Ende überhaupt nichts, wenn der Mensch darunter Schwierigkeiten mit der Atmung hat oder gar bewusstlos ist und der Helm ist drauf. Erste Priorität ist es, die Atmung zu sichern.
Bei vielen ist der Erste-Hilfe-Kurs allerdings schon lange her. Viele haben Angst, gerade im Bereich der Halswirbelsäule einen Schaden anzurichten.
Das Leben steht vor allen anderen Dingen. Wenn jemand bewusstlos ist, dann kann man keine stabile Seitenlage machen, wenn der Helm noch getragen wird. Es besteht die Gefahr des Erstickens. Wenn man den Helm vorsichtig abnimmt und den Kopf gut stabilisiert, ist die Gefahr eines Schadens durch die Helmabnahme geringer als das potenzielle Risiko des Erstickens. Es geht in diesem Moment um das Überleben.
Ihr Tipp für Ersthelfer?
Trauen Sie sich. Wir brauchen keine Gaffer. Wir brauchen keine Zuschauer. Wir brauchen Leute, die Beistand leisten und helfen.
Interview Patricia Huber