Wasserburg – Andrea Rückl hat sich für ein ungewöhnliches Ehrenamt entschieden: Die Wasserburgerin ist Familienbegleiterin bei der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz Südostoberbayern (AKM) mit Sitz in Rosenheim. Eine Aufgabe, von der die 56-Jährige mit strahlendem Gesicht und leuchtenden Augen erzählt – obwohl die Familie, die sie einmal pro Woche besucht, vom Schicksal schwer gebeutelt ist: Die Mutter ist schwer krank, so sehr, dass sie in einem Pflegeheim lebt. Die Kinder, zwei Mädchen, eins im Grundschul-, eins im Teenageralter, haben viel mitgemacht. Ihr Alltag ist geprägt von der Sorge um ihre Mama. „Es sind zwei so süße Mädels“, berichtet Rückl. „Ich habe sie sehr ins Herz geschlossen.“
„Etwas Spaß in
den Alltag bringen“
Die Aufgabe der Familienbegleiterin: „Etwas Spaß in den Alltag der beiden bringen.“ Für etwa zwei bis vier Stunden pro Woche sollen die Mädchen mit Unterstützung von Rückl ihre Ängste und Sorgen vergessen. „Ablenkung vom schwierigen, durch die schwere Erkrankung der Mutter geprägten Alltag“, nennt die Familienbegleiterin als Ziel. Sie packt einmal pro Woche ihren Rucksack mit Spielen und Bastelmaterialien voll und besucht die Kinder. „Wir machen Brett- und Würfelspiele, werkeln, backen gemeinsam. Und wir unternehmen jetzt im Sommer viele Ausflüge: Mal geht es zum Spielplatz, mal zum Eisessen. Wir waren auch schon in der Kletterhalle und im Kino“, berichtet Rückl.
Ihr Ehrenamt begann im September vergangenen Jahres, mittlerweile haben die Familienbegleiterin und die Kinder eine so gute Beziehung zueinander aufgebaut, dass die Mädchen sie oft schon sehnsüchtig an der Haustür erwarten. „Wir drei freuen uns aufeinander“, sagt Rückl. „Ich habe das Gefühl, ich kann der Familie wirklich ein wenig auf meine Art helfen.“ Mal ist es die Ablenkung, die guttut, mal haben die Kinder auch Gesprächsbedarf, berichtet die Reitmehringerin.
Die Freizeit
sinnvoll nutzen
Die schwere Erkrankung der Mutter werde ebenso angesprochen wie typische Themen, die Mädchen in dem Alter beschäftigen würden: Ereignisse aus dem Schulleben oder Erlebnisse mit den Freundinnen. Auch die Angehörige, bei der die Kinder leben, schüttet Rückl manchmal ihr Herz aus. „Natürlich kann ich an der Situation der Familie nichts ändern. Aber ich kann zuhören und Zeit geben“, sagt die Familienbegleiterin.
Rückl hat zwei gesunde Kinder großgezogen, größere Komplikationen gab es in ihrer Familie bisher nicht. „Dafür bin ich sehr dankbar. Und auch deshalb engagiere ich mich für Menschen, die in ihrem Umfeld schwerste Erkrankungen erleben und verarbeiten müssen“, verdeutlicht sie ihre Motivation.
Die Familienbegleitung beim Kinderhospiz ist nicht Rückls einziges Ehrenamt: Sie engagiert sich unter anderem auch bei der Wasserburger Tafel und in der evangelischen Freikirche. Da ihre Kinder aus dem Haus sind und sie Teilzeit arbeiten kann, hat sie etwas freie Zeit übrig. Diese möchte sie „sinnvoll nutzen“.
Deshalb war sie 2023 auf der Suche nach einem passenden weiteren Ehrenamt. In der Wasserburger Zeitung las sie, dass das ambulante Kinderhospiz Schulungen zur Familienbegleitung anbietet. „Ich habe zwar sehr an mir gezweifelt und mich gefragt: Kann ich das? Schließlich hatte ich bisher wenig Berührung mit schwerer Krankheit, Behinderung oder dem Thema Tod. Doch dann habe ich beschlossen, ich probiere es und finde es raus.“
Rückl meldete sich zur Schulung an, die an vier Wochenenden jeweils von freitags bis sonntags im Rosenheimer Stiftungszentrum in der Landwehrstraße stattfand. „Es war sehr interessant. Ich habe viel gelernt über das Leben und seine Endlichkeit, über Familiensysteme und soziales Wirken“, berichtet sie. Auch die Arbeit in der Gruppe und die fachliche Begleitung durch die Hauptamtlichen der Stiftung hätten ihr viel gebracht. Die Schulung schloss sie mit einem Zertifikat ab und der Überzeugung: „Ich kann das.“ Im September begann dann der erste Einsatz.
Rückl unterstützt gesunde Kinder, weil ihre Mutter schwerstkrank ist. Familienhelfer der Stiftung begleiten jedoch auch Mädchen und Buben, die selber von schweren bis lebensverkürzenden Erkrankungen betroffen sind. Das Kinderhospiz betreut nach Angaben von Magdalena Mayer, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising, grundsätzlich Familien mit minderjährigen Kindern im Haushalt, bei denen ein Elternteil oder die Kinder von schweren chronischen oder lebensbedrohlichen Erkrankungen betroffen sind: ab der Diagnose. Denn das System Familie gerät nach der Erfahrungen von Mayer ins Wanken, wenn Krankheit, Pflege und schwere Behinderung den Alltag bestimmen. Vor allem Geschwisterkinder seien stark betroffen. Sie müssten oft zurückstecken, kämen automatisch zu kurz. „Sie bekommen durch unsere Ehrenamtlichen Zeit und Raum.“ Die Familienbegleitung verstehe sich als psychosoziale Begleitung: „Wir stabilisieren, helfen, vernetzen, beraten.“ Das könne wie im Fall von Rückl ein regelmäßiger Besuch mit Angeboten für die Freizeitgestaltung sein.
Doch die Hilfe braucht selber Hilfe, betont Mayer. Das ambulante Kinderhospiz suche dringend weitere Familienbegleiter. Der Bedarf sei groß. Das Ehrenamt eigne sich für Menschen, die regelmäßig (etwa zwei bis vier Stunden pro Woche) Zeit erübrigen könnten, gerne mit Kindern umgehen würden, keine Berührungsängste mit Themen wie Krankheit und Sterben hätten. Wichtig sei es, dass die Ehrenamtlichen selber in stabilen Verhältnissen leben würden, um auch den Kopf freizuhaben für die Sorgen anderer. Die Vielzahl an Aufgaben, angefangen von der Familien- bis zur Krisenbegleitung, von der Angehörigenberatung bis zur sozialmedizinischen Nachsorge, könne ohne Ehrenamtliche nicht gestemmt werden, weil die Stiftung nur wenige öffentliche Zuschüsse erhalte und sich vor allem durch Spenden finanziere, so Mayer.
Stiftung sucht
weitere Ehrenamtliche
Der Einzugsbereich des Zentrums Rosenheim ist Südostoberbayern. Doch Interessenten für diese Aufgabe werden wohnortnah eingesetzt, berichtet Mayer. Für Auslagen stehe außerdem ein Budget zur Verfügung. Ehrenamtliche Familienbegleiter werden intensiv geschult (nächster Seminarstart ist im Oktober), professionell begleitet und erhalten auch Supervisionen, um das Erlebte zu verarbeiten.
Stifterin Christine Bronner hat in den vergangenen 20 Jahren viel bewegt. Sie hat selber zwei Kinder verloren. Ihre Stiftung hat unter anderem das erste teilstationäre Kinderhospiz eröffnet. „Wir verstehen uns jedoch als Lebensbegleitung“, betont Mitarbeiterin Mayer. „Wir wollen nicht das Leben mit Tagen, sondern die Tage mit Leben erfüllen“, zitiert sie die Stifterin.