Bad Aibling – „In meinem Leben verlief nicht immer alles so einfach“, sagt Irene Durukan. Dass die 60-jährige Bad Aiblingerin damit maßlos untertreibt, passt ins Gesamtbild, passt zu ihrem bescheidenen Auftreten, zu ihrem Naturell.
Durukan, Familienmensch, Stadträtin und über die Stadtgrenzen hinaus bekannt für ihr soziales Engagement, nimmt sich selber nicht so wichtig. Dabei kann Durukan bereits jetzt auf ein unglaubliches Leben mit dramatischen Schicksalsschlägen, aber auch unvergesslichen Erlebnissen zurückblicken.
Für ihr Engagement wurde sie nun in München von Ministerpräsident Markus Söder mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet. „Als ich die Einladung aus dem Briefkasten geholt habe, musste ich weinen“, sagt Durukan, die die Auszeichnung als große Ehre, als „Geste des Wahrgenommenwerdens“ empfindet. Unter den Geehrten, die Söder kürzlich empfing, waren neben Durukan beispielsweise auch Sepp Maier, Patrick Lindner oder Wolfgang Fierek.
„Leben anderer positiv beeinflusst“
„Ich war extrem nervös“, berichtet Durukan dem OVB noch vor Ort von dem beeindruckenden Erlebnis in München. In der Laudatio wurde ihre Vereinsgründung von „Mut & Courage“ vor 15 Jahren hervorgehoben sowie ihr Engagement für die menschliche Gesellschaft. Auch Durukans „eigene furchtlose Intervention bei einem Verbrechen“ spielte bei der Verleihung eine Rolle. Sie sei ein „lebendiges Beispiel dafür, wie eine einzelne Person das Leben anderer positiv beeinflussen kann.“
Doch der Reihe nach. Der Mensch, den Durukan heute verkörpert, ist geprägt von einschneidenden Erlebnissen, sagt die Frau selbst, die ihre Worte mit Bedacht wählt, in einem Gespräch mit der Redaktion. Als vierte Tochter einer Deutschen und eines türkischen Studenten kam sie in Bad Aibling zur Welt. Ihren Vater, der noch vor Durukans Geburt in seine Heimat zurückkehrte, lernte sie nie wirklich gut kennen. „Meine Großeltern nahmen meine Mutter mit vier Kindern auf.“ Sie besaßen damals den Kramerladen Nagel in der Ellmosener Straße.
Als Jugendliche zog es sie aus der Kurstadt in die Ferne. „Mir war es hier zu eng, zu klein“, sagt Durukan, die anschließend mehrere Jahre in Frankfurt in der Reisebranche arbeitete. Als sie eigentlich auf dem Sprung nach New York war, starben ihre Großeltern innerhalb eines Jahres und sie landete ungeplant wieder in Bad Aibling. Wenig später kamen ihre beiden Kinder, eine Tochter und ein Sohn, auf die Welt.
Der Moment, als
ihre Welt stillstand
Diese musste sie ohne die Unterstützung der Väter großziehen – in der Kurstadt, die sie von nun an wieder als sicheren Rückzugsort erkannte. Eine Stadt, in der sie jedoch auch die dunkelsten Momente ihres Lebens verbrachte.
2016 nahm sich ihr Ehemann Otto Steffl völlig überraschend das Leben. „Die Welt stand still“, sagt sie rückblickend. Im Gespräch mit dem OVB erzählt sie von den bedrückenden Erlebnissen. Von dem Moment, als sie ihren Liebsten leblos im Wald vorfand. Von den quälenden Fragen nach dem Warum und der Unklarheit, wie sie es ihren Kindern erklären soll. Von den Augenblicken, in denen sie entschied, dass ihr eigenes Leben trotz des unglaublichen Schreckens und des Schmerzes weitergehen soll.
Durukan begibt
sich in Lebensgefahr
„Ich habe damals mit meinen Kindern einen Deal vereinbart: Wenn es bei mir ganz dunkel wird, dann rufe ich sie an, sie sollen keine Angst um mich haben. Suizid verändert das Leben der Hinterbliebenen dauerhaft. Meine Familie soll diese Erfahrung nicht noch einmal erleben müssen“, sagt sie mit belegter Stimme.
Und im Gespräch mit der Stadträtin wird schnell klar, welch unmenschliche Kraft sie aufbringen musste, um trotz der Brutalität, die das Leben für sie bereithielt, so viel Energie versprühen zu können. Denn der Verlust ihres Partners prägt sie auch noch viele Jahre danach. „Otto ist in meinem Herzen, für mich bedeutet Erinnern, ihn wertzuschätzen.“
Für die Aiblingerin gab es in ihrem Leben noch mehr einschneidende Erlebnisse. Auch die Knochenmarkspende für einen leukämieerkrankten Patienten, der trotz Durukans Bemühungen starb, oder der Tag im Jahr 2007, als sie sich in Lebensgefahr begab, um einen jungen Mann vor den Tritten und Schlägen anderer Jugendlicher zu retten, prägen sie bis heute. Der Fall einer brutalen Schlägerei, bei der sie brüllend, mutig und „auch ein Stück weit unvernünftig“ dazwischen ging, ging damals auch durch die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ durch die Medien. Für ihren damaligen Einsatz erhielt sie 2008 den XY-Preis „Gemeinsam gegen das Verbrechen“.
Selbst Opfer
eines Überfalls
Und die Liste dieser außergewöhnlichen Ereignisse ist in Irene Durukans Leben eine sichtlich lange. In Frankfurt wurde sie selbst Opfer eines Überfalls. Ein Erlebnis, das sie für die Not von Opfern sensibilisiert hat. „Sie brauchen unsere Hilfe – unsere ausgestreckte Hand, keine Diskussionen“, sagt sie und ergänzt: „Es ist schon so, dass ich diese Erlebnisse versucht habe, für etwas Positives zu nutzen.“ Wenngleich sie viele Tiefen und mentale Zusammenbrüche erst schmerzhaft durchleben musste. Die Erkenntnis, dass auch andere Menschen ähnliche dramatische Erfahrungen machten, führten letztlich zu Durukans großem Engagement. Dazu zählte etwa der Aufbau des Fokus-Familiennetzwerks im Jahre 1996 mit der Villa Familia, der Vorsitz im Landesverband alleinerziehender Mütter und Väter Bayern um die Jahrtausendwende, der Kampf für ein Jugendzentrum (Westendstraße) oder der durchgängige Einsatz für Familien mit Kindern und der Kampf gegen Armut.
Gründung des Vereins „Mut & Courage“
Ein besonders wichtiger Teil ihres Lebens ist bis heute der 2010 gegründete Verein „Mut & Courage“ in Bad Aibling, der mit Durukan als Vorsitzender viele Projekte für Zivilcourage, respektvollen Umgang „und ein starkes Wir“ vorantreibt. Neben zahlreichen Kunstprojekten, die sie ebenfalls unterstützte, initiierte die 60-Jährige 2014 auch den Kreis Migration, mit Begleitung bis zur Vereinsgründung, der sich unter anderem für Geflüchtete einsetzt. Sie ist zudem seit einigen Jahren im Sprecherrat des Bundesnetzwerk Zivilcourage.
Ob bei Lesungen, Demonstrationen oder im Stadtrat: Durukan ist für eine klare Haltung, für den Kampf gegen Ausgrenzung, Hass, Hetze und Diskriminierung und für das Miteinander bekannt.
Und auch wenn sie das Alter laut eigenen Angaben durchaus zu spüren bekommt, richtet sich ihr Blick immer weiter nach vorne. Die Kommunalpolitikerin will deshalb gar nicht nur zurückschauen. Zu groß seien die Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft. „Es macht mir wirklich große Sorgen“, bezieht sie etwa Stellung zu immer stärker aufkommenden rechtsextremen Strömungen.
„Meine Familie
ist mein Kraftort“
Hierbei will sie sich in Zukunft genauso stark einbringen, wie im Kampf gegen die geschlechtliche Ungleichbehandlung. So organisiert sie derzeit zahlreiche Aktionen zum internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. „Ich kann nicht weggucken“, beschreibt die gelernte Bürokauffrau ihren eigenen Antrieb ganz allgemein.
Durukans Einsatz für die Gesellschaft führte nun dazu, dass sie von Ministerpräsident Söder den Bayerischen Verdienstorden verliehen bekommen hat. Und spätestens beim Blick auf den bisherigen Lebenslauf der 60-Jährigen wird klar, dass sie über die Stadtgrenzen Bad Aiblings hinaus tiefe Spuren hinterlassen hat.
Auf die Frage, wie es bei ihrem breiten Aufgabenfeld eigentlich um ihr Privatleben bestellt ist, muss sie nicht lange überlegen: „Meine Familie ist mein Kraftort, sie steht an erster Stelle und gibt mir Kraft. Und in der dunkelsten Zeit meines Lebens durfte ich durch sie das Licht der Liebe erleben. Dieses Licht möchte ich gerne weitergeben.“