Sind die Roboter die Lösung?

von Redaktion

In Deutschland fehlen aktuell etwa 100000 Pflegekräfte. Jedes fünfte Krankenhausbett kann aufgrund von Fachkräftemangel nicht betrieben werden – und das Pflegepersonal wird zunehmend älter. Im Romed-Klinikverbund hat man sich deshalb für einen innovativen Schritt entschieden – als bayernweiter Vorreiter.

Rosenheim – Die Situation ist ernst. Daraus macht Judith Hantl-Merget kein Geheimnis. „Es muss uns allen klar sein, dass die Babyboomer in den nächsten vier bis acht Jahren in Rente gehen“, sagt die Pflegedirektorin der Romed-Kliniken. Heißt übersetzt: Zehntausende Ärzte und Pflegekräfte ziehen sich aus dem Berufsleben zurück und werden – früher oder später – selbst zu Menschen, die gepflegt werden müssen.

Roboteranzüge, die Pfleger unterstützen

Neu ist diese Erkenntnis nicht. „Es ist bekannt, dass Deutschland auf eine Versorgungskatastrophe zusteuert“, sagt Hantl-Merget. Die Ideen, Pflegekräfte aus dem Ausland zu holen oder die Ausbildung attraktiver zu machen, seien gut, würden aber die Lücke, die die Babyboomer hinterlassen, nicht füllen. „Es werden in einem Jahrzehnt deutlich weniger Menschen im Gesundheitswesen arbeiten“, unterstreicht die Pflegedirektorin. Und das bei einem gleichbleibenden Versorgungsauftrag.

Nun ist Judith Hantl-Merget keine, die den Kopf in den Sand steckt. Und Lust, auf einen „Krankenhaus-Messias“ zu warten, hat sie auch nicht. Stattdessen hat sie über Lösungen nachgedacht und überlegt, wie es gelingen könnte, die Arbeitsbedingungen im Pflegeberuf sicherer, gesünder und nachhaltiger zu gestalten.

Fündig wurde die Pflegedirektorin in Berlin, genauer bei dem Robotik-Unternehmen „German Bionic“. Schon vor einiger Zeit hat die Firma Roboteranzüge entwickelt, die Pflegende im Arbeitsalltag unterstützen sollen.

„Wir stehen vor der simplen Herausforderung, dass Tätigkeiten an Patienten, wie zum Beispiel Mobilisation und Lagerung, nicht mehr von zwei oder mehr Personen durchgeführt werden können“, sagt Judith Hantl-Merget. Eben deshalb, weil nicht genügend Personal vorhanden sein wird. Ein Rückenexoskelett – also eine Art Roboteranzug – soll jetzt helfen.

„Das Skelett kann den Rücken um bis zu 36 Kilogramm entlasten“, sagt Armin Schmidt vom Unternehmen „German Bionic“. Der Anzug wird umgeschnallt, das Gewicht liegt dann ähnlich wie bei einem Wanderrucksack auf den Beckenknochen. Zwei Motoren links und rechts unterstützen die Pflegekraft zusätzlich beim Hochheben des Patienten. Jeder Mitarbeiter erhält einen persönlichen Code. Damit erkennt das Skelett den Mitarbeiter und merkt sich die persönlichen Bewegungsabläufe.

Wie sehr der Anzug schon jetzt bei der Arbeit entlastet, weiß der 25-jährige Pflegefachmann Nikolai Nolf. „Wir haben das Gerät bereits seit einem Monat bei uns auf der Station“, sagt er. Er nutzt das Exoskelett unter anderem, um Patienten vom Bett in den Rollstuhl zu heben, beim Umlagern oder bei der Körperpflege. Die Entlastung im Rücken sei bereits nach den ersten Nutzungen spürbar gewesen. Statt Muskelkater und einem Zwicken im Rücken habe er nach dem Feierabend nahezu keine Beschwerden mehr.

Und auch die Patienten seien von dem Roboteranzug „total begeistert“ – denn auch für sie ist das Hochheben durch das Hilfsmittel deutlich angenehmer.

Zehn Skelette im Wert von 150000 Euro

Froh über diese Rückmeldungen dürfte auch Pflegedirektorin Judith Hantl-Merget sein. Wobei auch die Zahlen eine eindeutige Sprache sprechen. „Mit unseren zehn Exoskeletten – im Wert von 150000 Euro – haben wir den Pflegekräften in einem Monat fast 60 Tonnen genommen. Diese 60 Tonnen hätten die Pflegekräfte mit ihrem Rücken kompensieren müssen“, sagt sie. Für die Pflegedirektorin Grund genug, sich dafür einzusetzen, weitere Skelette anzuschaffen. Doch das Geld fehlt.

„Krankenhäuser sind aufgrund historischer Defizite nicht in der Lage, in solchen Größenordnungen Investitionen zu tätigen, da sie vor allen Dingen die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in der Gegenwart sicherstellen müssen“, sagt Hantl-Merget. Aus diesem Grund hoffen sie und ihre Kollegen auf Unterstützung aus der Bevölkerung. Ziel sei es, für jeden Standort zehn Exoskelette anzuschaffen. Das sind Kosten in Höhe von 600000 Euro.

„In fünf Jahren müssen wir unseren Mitarbeitern und der Bevölkerung ins Gesicht schauen. Dann können wir entweder sagen, dass wir es verschlafen haben, etwas zu tun, oder wir können ihnen sagen, dass wir vorbereitet sind“, sagt Judith Hantl-Merget. Die Pflegedirektorin und ihre Kollegen jedenfalls wollen vorbereitet sein.

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