Laufen – „Hallo, Frau Raguse“, hallt es fröhlich durch den Flur. Es ist kurz nach elf Uhr morgens. Durch das Gebäude zieht der Geruch von angebratenen Zwiebeln. „Gibt es Nudeln?“, fragt Petra Raguse den jungen Mann, der im Gang wartet. „Nein, leider nicht“, sagt er. „Gemüseeintopf. Aber auch lecker.“ Es klingt wie eine Unterhaltung zwischen Lehrerin und Schüler in einem Schullandheim. Doch von Klassenausflug ist dieser Ort weit entfernt. Wir befinden uns in der Justizvollzugsanstalt Laufen-Lebenau. Und Petra Raguse ist dort Lehrerin.
Einblick in
eine Zelle
Das Gefängnis, das recht abgeschieden in den bayerischen Staatsforsten im Berchtesgadener Land liegt, kann 191 Gefangene im Alter zwischen 14 und 21 Jahren aufnehmen. „Mindestens zehn Quadratmeter haben die Inhaftierten in ihrer Zelle“, sagt der Leitende Justizvollzugsbeamte Stefan Schwankner beim Rundgang durch die Anstalt. Bett, Tisch, Waschbecken, Toilette, Fernseher – und ein kleines Fenster.
Man könnte es glatt für ein kleines WG-Zimmer in einer Studentenbude halten, wären da nicht die grauen Gitterstäbe, die den Ausblick nach draußen blockieren. Duschen gibt es im Keller. Ein gefliester Raum, zwei lange Reihen mit je acht Duschköpfen. Wenn Duschzeit ist, bringt ein Beamter die Inhaftierten nach unten und lässt sie auch während des Duschens nicht aus den Augen.
Schwieriger
Unterricht
Raguse unterrichtet die Jugendlichen, die teils sogar noch schulpflichtig sind. Im Schnitt hat sie sechs bis zehn Schüler vor sich. Doch einfach ist das nicht. „Die Jungs sind es aus der Schule noch gewohnt, dass sie so lange stören, bis sie rausfliegen“, erzählt die Lehrerin. „Aber das funktioniert hier nun mal nicht“, sagt Raguse mit einem Schmunzeln.
Wenn es um Schule und Ausbildung geht, ist Durchhaltevermögen gefragt. Doch genau das fehlt vielen Inhaftierten. „Sobald es schwieriger wird, brechen die Inhaftierten den Kurs oder die Ausbildung lieber ab, statt sich dem zu stellen“, sagt Anstaltsleiter Florian Zecha. „Dabei ist es mehr ein Nicht-Wollen als ein Nicht-Können.“ Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten gibt es in der JVA Laufen-Lebenau allerdings mehr als genug. Sieben Ausbildungsberufe werden angeboten: Anlagenmechatroniker, Kfz-Mechatroniker, Elektroniker, Maler und Lackierer, Metallbauer, Maurer und Schreiner.
Im Durchschnitt sitzen die Jugendlichen zehn Monate ein. Mindestens aber sechs Monate, maximal zehn Jahre. Für eine vollwertige Berufsausbildung ist die Dauer von zehn Monaten allerdings zu kurz. Dank enger Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer können die in Haft begonnenen Ausbildungen auch draußen vollendet werden. Wer allerdings erst einmal einen Einblick in einen bestimmten Beruf möchte, kann auch einen der sieben Grundlehrgänge besuchen. Hier können die Gefangenen bereits Grundlagen erlernen und schon nach wenigen Monaten einen anerkannten Abschluss erzielen.
Vandalismus in
der Schreinerei
In der Schreinerei der JVA stehen Schränke, Tische und Stühle auf den Werkbänken. „Die Schreinerei behebt überwiegend Vandalismusschäden“, erklärt Joachim Augenstein, Leiter der Werkdienste. „Sämtliche beweglichen Teile werden kaputtgemacht.“ Die Arbeit der Ausbilder ist nicht leicht. Seit Jahren könne Raguse beobachten, dass die Frust-Toleranz bei den Jugendlichen sinke. Hinzu komme die Pubertät. „Die Kollegen brauchen starke Nerven“, sagt sie und lacht. Ein großes Problem sei außerdem, dass die meisten Inhaftierten bereits in Kontakt mit Drogen gekommen sind. Das Rauschgift beeinträchtigt Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit.
Selbst Tier-Liebhaber kommen in der JVA auf ihre Kosten. Auch ein landwirtschaftlicher Betrieb ist Teil der Anstalt. Etwa 45 Kühe, zahlreiche Hühner und einige Waldschafe müssen dort versorgt werden. „Im Sommer ist dieser Betrieb natürlich beliebt“, sagt Augenstein. „Im Winter will dann wieder niemand raus in den Stall.“ Wie auch die Kfz-Werkstatt ist die Landwirtschaft ein Außenbetrieb – und damit eines der „Sorgenkinder“ der Anstalt, wie der Leiter der Werkdienste erklärt. „Die Vorgaben sind sehr, sehr streng.“ Um im Außendienst tätig sein zu dürfen, müssen die Inhaftierten geeignet sein.
Die Betriebe der JVA Laufen sind bei Weitem nicht ausgelastet. Klingt ungünstig, ist aber eher positiv. Denn auch das Gefängnis ist nicht an seiner Kapazitätsgrenze. „Wenn die Bude voll ist, geht es schon rund“, erzählt Augenstein.
Allerdings: Probleme mit Gewalt gibt es bisher kaum. „Man kann es nicht ausschließen, aber es ist selten“, sagt Zecha. Etwa zwei Angriffe pro Jahr verzeichnet die Anstalt. Andere Delikte wie Handy-Schmuggel sind in Laufen auch kein Thema. „Da wir hier mitten in den bayerischen Staatsforsten sind, haben wir das Glück, dass es hier überhaupt kein Netz gibt.“
Ohnehin sei das Verhältnis zwischen Inhaftierten und Justizvollzugsbeamten in Laufen etwas Besonderes. „Die Kollegen sind sehr nah dran, und es ist deutlich weniger anonym als in anderen Gefängnissen“, sagt Zecha. Die Nähe entsteht auch durch die Wohngruppen der JVA. Insgesamt acht dieser Gruppen gibt es. Sie dienen als Art „soziales Trainingsfeld“.
Wie in einer
Studenten-WG
Beim Eintritt in eine dieser Gruppen fühlt man sich ein wenig, als würde man eine Studenten-WG betreten – eine überraschend aufgeräumte. Die Zellen sind ähnlich wie im normalen Vollzug. Allerdings fehlt hier die Toilette im Raum. Das liegt daran, dass die Inhaftierten ihre Zelle jederzeit verlassen dürfen. WC und Duschen befinden sich in zwei separaten Räumen, vom Flur ausgehend. Einer der Inhaftierten gewährt einen Blick in seine Zelle. Private Fotos hängen an der Wand über dem Bett. Es sind die wenigen Dinge von zu Hause, die die Zellen wie ein WG-Zimmer wirken lassen. In einem kleinen Regal im Flur stehen Brettspiele: Monopoly, die Siedler von Catan.
Im kleinen Eingangsbereich steht ein Sofa und ein großer Fernseher hängt an der Wand – einem geselligen Sozialleben steht hier also kaum etwas im Weg. Aber: „Freunde gibt es hier nicht.“ Die Insassen seien Einzelkämpfer, sagt Zecha. „Es sind mehr Zweckgemeinschaften.“
Schwankner ist vom Konzept des Wohngruppenvollzugs überzeugt. Das merkt man ihm besonders dann an, wenn er voller Begeisterung von den gemeinsamen Ausflügen mit den Inhaftierten erzählt. Diese seien für ihn jedes Mal ein absoluter Höhepunkt. „Am schönsten sind für mich immer die Ausflüge zur Hütte, die wir pachten.“
Zwei Beamte und sechs Inhaftierte gehen dann auf Wanderausflug. „Man kann den Jungs bei solchen Ausflügen mitgeben, dass man sich auch anders den Kick holen kann, als zum Beispiel mit Drogen.“ Vorgefallen sei bei diesen Ausflügen noch nie etwas.
Rückmeldungen
von Ehemaligen
Augenstein freut sich über Rückmeldungen von ehemaligen Inhaftierten. „Einer hat mir mal einen Brief geschrieben, dass es ja doch nicht so schlimm hier war und er etwas fürs Leben gelernt hat.“ Ein anderer habe bei ihm den Schweißerkurs gemacht – inzwischen arbeitet er in Dubai. „Das tut der Seele gut, wenn man jemanden auf den richtigen Weg gebracht hat“, sagt der Werkdienstleiter.
Auch Zecha ist überzeugt von der Arbeit, die seine Mitarbeiter in Laufen leisten. „Ich erinnere mich gut an einen ehemaligen Insassen, der hier seinen Quali mit 1,0 gemacht hat“, erzählt er. „Die Jungs reifen nach, man muss ihnen nur die Leitplanken für das Leben setzen“, ist sich der Anstaltsleiter sicher. Und: „Wenn es gut läuft, hört man in der Regel nichts mehr von ihnen.“