Grabenstätt – Der Ort ist wohl gewählt: die Hirschauer Bucht. Bayerns Umweltminister ist gekommen, um sich ein Bild von der Mückenplage zu machen. „Das wirst du brauchen“, sagt Martin Brunnhuber (Freie Wähler), Landtagsabgeordneter für Traunstein, und überreicht seinem Parteikollegen Thorsten Glauber eine Flasche Mückenschutzmittel. Brunnhuber hat zum Fachgespräch „Stechmückensituation am Chiemsee“ geladen. Gekommen sind „Entscheidungsträger“, wie er sagt: die Bürgermeister der Chiemsee-Gemeinden, Vertreter aus lokaler Wirtschaft und Tourismus, der Naturschutzbehörden und des Abwasser- und Umweltverbandes (AUV) Chiemsee.
Am Chiemsee kann gegen die Überschwemmungsmücke mit dem Wirkstoff des Bakteriums B.t.i. vorgegangen werden. Tritt der Chiemsee über seine Ufer, werden die umliegenden Wiesen geflutet und Mückenlarven schlüpfen aus den dort lauernden Eiern. Die Lebenserwartung der blutsaugenden Weibchen ist auf etwa sechs bis acht Wochen beschränkt. Von der Überflutung bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Larven die Wasseroberfläche als Mücke verlassen, dauert es nur wenige Tage.
Das Eiweiß B.t.i., das gegen die Überschwemmungsmücke ausgebracht werden kann, wird nur von den Larven der Mücke aufgenommen. Durch das Protein sterben sie – so wie alle anderen Mückenlarven, die das Insektizid fressen. Der Einsatz von B.t.i. unterliegt deshalb Auflagen von Naturschutzbehörden.
„Können wir irgendetwas machen, um die Lage für die Zukunft zu verbessern?“ Mit dieser Frage leitet Martin Brunnhuber das Gespräch ein. „Wir haben B.t.i. bei Euch in der Region eingesetzt“, führt Glauber mit einem Seitenblick auf die Bürgermeister aus, „und letztendlich werden wir es auch wieder einsetzen, wenn wir es hätten – aber wir haben es nicht.“ Der Markt sei nach dem Hochwasser im Juni schnell leer gekauft worden, „deshalb können wir Euch momentan auch keine Hilfe bieten“, sagt der Umweltminister. „Die Produktion dauert mehrere Monate und damit ist im Prinzip das Jahr eigentlich schon Geschichte.“
Glauber spricht nach unten zu seinen Füßen, ein ausgeschaltetes Tablet fest umklammert. Laut überlegt er, wie eine Lagerung von B.t.i. aussehen könnte, und stellt diese im Nebensatz selbst infrage, da es aufgrund der kurzen Haltbarkeit nicht möglich sei. „Wir haben auch noch nicht den –“, verliert Glauber den Satz, „Königsweg“, souffliert Brunnhuber. An den Auflagen für den Einsatz möchte der Minister festhalten, aber er stehe zu dem Einsatz. „Das ist für mich die Botschaft an Sie: Sie können sich darauf verlassen, dass die Regierungsseite da steht.“
„Es ist nicht so, dass wir das Rad neu erfinden, wir haben das über Jahre hin entwickelt – zusammen mit dem Ministerium“, sagt AUV-Geschäftsführer Quirin Schwaiger. Der Weg, der aktuell gegangen werde, sei ein sehr schmaler Grat zwischen Naturschutz, Wirtschaft und Zustimmung der Bevölkerung. „Was man am Chiemsee nicht unterschätzen darf, ist der schützenswerte Raum. Unser Tourismus ist deshalb so stark, weil wir eine wahnsinnig schöne Natur haben“, sagt er.
Christina Pfaffinger, Geschäftsführerin vom Chiemsee-Alpenland Tourismus, geht auf den Image-Schaden durch die Medienberichte und den wirtschaftlichen Schaden ein. Das Jahr sei vergleichbar zum Hochwasserjahr 2013. Durch fehlende Übernachtungen während der Mückenplage seien der Region damals 37 Millionen Euro verloren gegangen. „Wir leiden darunter, wir brauchen Taten. Ich danke Ihnen ganz herzlich, wenn Sie uns da nicht im Stich lassen“, sagt sie an den Minister gerichtet. Die Antwort des Ministers beginnt bei der Berichterstattung nach dem Hochwasser, geht über zu den Nachrichten zur Mückenplage und redet sich bei der Fußball-Europameisterschaft in Rage. Schließlich kommt er beim Einfluss von negativen Nachrichten im Fernsehen auf die Kinder an und schließt mit einem philosophischen Exkurs über „Aufbruchstimmung“ und eine „positive Gesellschaft“. Wie er die Tourismusbranche unterstützen will, beantwortet er nicht. Michael Bartel