München/Bernau – Weil sie ihrem Bruder im Gefängnis in Bernau helfen wollte, versuchte eine Frau vor fünf Jahren zwei Substitutions-Tabletten in die Justiz-Vollzugs-Anstalt (JVA) zu schmuggeln. Sie wurde vom Personal erwischt und angezeigt. Das Landgericht in Traunstein verurteilte sie heuer im Januar wegen fahrlässiger Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 4050 Euro (45 Tagessätze). Dagegen legte sie wie die Staatsanwaltschaft Revision ein. Jetzt verhandelte das Oberlandesgericht (OLG) in München den Fall.
Der Verteidiger der Angeklagten hatte eine Notstandshandlung geltend gemacht. Demnach sei der legale Weg einer Substitution nicht möglich gewesen. Natürlich sei seiner Mandantin klar gewesen, dass Drogen nicht ohne Genehmigung ins Gefängnis gebracht werden dürfen. Doch der Bruder sei in seiner körperlichen Unversehrtheit bedroht gewesen. Ihm, einem Drogenabhängigen, sei die Substitution verwehrt worden. „Meine Mandantin nahm an, dass sich der Bruder in einer Notstandslage befand, weil es von der Obrigkeit keine Hilfe gab“, erklärte der Verteidiger die Situation aus juristischer Sicht. Doch die Staatsanwältin vertrat da eine ganz andere Meinung. Ihr zufolge hatte der Bruder keinerlei Entzugserscheinungen gezeigt, als er ins Gefängnis kam und auf Drogen verzichten musste. Er ließ sich sogar vorzeitig von der Krankenstation entlassen und auf eine normale Station verlegen – vermutlich, weil er sich dort größere Chancen ausrechnete, mit Substitutions-Tabletten zu handeln, mutmaßte später der Vorsitzende Richter Peter Noll.
Zusammen mit seinen Beisitzern entschied er nämlich, das Urteil des Landgerichts Traunstein aufzuheben und zur Wiederverhandlung an eine dortige andere Kammer zu verweisen. Allerdings nicht, weil auch er und seine Richterkollegen irgendeine Notlage gegeben sahen, sondern weil das Landgericht die Zustände einer Notlage nicht ausreichend überprüft hatte.
„Wir sind nicht dafür da, zu prüfen, ob die Zustände eine Notlage zulassen“, erklärte er. Ein Revisionsgericht überprüfe lediglich das Urteil. Und deshalb könne auch nicht der von der Verteidigung geforderte Freispruch erteilt werden. Doch mit der Entscheidung, dass der Fall noch einmal verhandelt werden muss, habe auch die Angeklagte mit ihrer Revision Erfolg gehabt. Die Frau hatte in ihrem Letzten Wort massiv über die Zustände im Gefängnis in Bernau geklagt und die Haftanstalt als „grüne Hölle“ bezeichnet. „Häftlinge werden einfach nicht ernst genommen. Sie sind nur Knackis“, schimpfte sie und warf den Anstalts-Ärzten Verletzung der Fürsorge-Pflicht vor, bis ihr Anwalt sie schließlich bremste.
Richter Noll versuchte die Frau abschließend zu beruhigen, dass der Abgabe-Versuch mittlerweile fünf Jahre zurückliege und dies beim Landgericht sicher Beachtung finden werde. Allerdings gab er auch zu bedenken, dass die Strafe mit 45 Tagessätzen schon am unteren Rand der Möglichkeiten liege, denn: „Abgabe wird streng geahndet. Die Gerichte werden überschwemmt mit vergleichbaren Verfahren, die sich innerhalb der Haftanstalten abspielen“, sagt er und prophezeite der Angeklagten, dass das neue Urteil nicht „viel anders ausgehen werde“, als die aufgehobene Traunsteiner Entscheidung. Angela Walser