Irschenberg/Nürnberg – An diesem Nachmittag scheint die Sonne mit einer solchen Wucht auf das kleine Waldstück bei Irschenberg, dass man beim Spazierengehen sofort ins Schwitzen gerät. Schutz vor den grellen Sonnenstrahlen bieten da die dichten Baumkronen, die eng aneinandergereiht jede Menge Schatten spenden. Es ist ein ruhiger, ein friedlicher Ort – nur wenige Minuten entfernt von der Autobahnausfahrt Irschenberg. Dass sich hier vor eineinhalb Jahren ein schreckliches Gewaltverbrechen ereignet haben könnte oder hier womöglich eine Leiche vergraben wurde, ist auf den ersten Blick nur schwer vorstellbar.
Gebiet am Irschenberg
im Fokus der Ermittler
Dennoch geriet jenes Gebiet von Irschenberg in den Fokus der Ermittler, die während des Mordprozesses um die verschwundene Alexandra R. zu Wort kamen. Hier hatten Spürhunde, Monate nach dem Verschwinden der schwangeren Nürnbergerin, Spuren der Vermissten sowie deren vermeintlichen Mörder entdeckt. Gefunden wurde jedoch bis heute keine Leiche. Das Landgericht Nürnberg-Fürth sah es dennoch als erwiesen an, dass Alexandra R. ihrem Ex-Freund Dejan B. (51) sowie dessen Geschäftspartner Ugur T. (49) zum Opfer gefallen war. Sie wurden Ende Juli zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt – und legten nun Revision ein, wie eine Justizsprecherin auf OVB-Nachfrage kürzlich mitgeteilt hatte.
Im Urteil, in dem auch die besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde, geht das Gericht davon aus, dass die Nürnbergerin in einer Lagerhalle in Sindersdorf im Landkreis Roth umgebracht wurde. Damit teilte das Landgericht Nürnberg-Fürth nicht die anfängliche Auffassung der Staatsanwaltschaft, wonach die Frau möglicherweise im Waldstück bei Irschenberg umgebracht worden sein könnte.
Logisch also, dass um einen Mordfall ohne Leiche weiter reichlich Spekulationen kreisen. Und nur wenige Tage, nachdem das Urteil bundesweit durch die Presse gegangen war, meldete sich nun auch ein selbst ernannter Hellseher aus Siegburg in Nordrhein-Westfalen zu Wort, der angeblich Informationen zum möglichen Leichenfundort hat. Michael Schneider, der in der Region bereits im Fall Hanna aus Aschau im Chiemgau in Erscheinung getreten war, behauptet, er kenne die genauen Koordinaten, die er unter anderem auch dem OVB mitteilte. Und diese Koordinaten lägen genau in besagtem Gebiet, in einem Waldstück bei Irschenberg. Ob die Polizei mit ihren Spürhunden genau dort damals auch gesucht hatte, oder ob die Stelle nur in der Nähe des abgesuchten Gebietes liegt, ist nicht klar.
Erkenntnis durch
eine „Eingebung“?
„Ich lasse meine Augen und meine Finger über eine Karte kreisen, bis sie irgendwann an einer bestimmten Stelle stehen bleiben“, erklärt Schneider sein Vorgehen, für das er zuvor durchaus auch mal Hinweise, etwa aus Aktenzeichen-XY-Sendungen, in Anspruch nimmt. Seit seiner Kindheit besitze er diese Gabe, die ihm laut eigener Aussage schon in anderen Vermisstenfällen zu den richtigen Fundorten geführt hätten. Davon berichtet dem OVB etwa ein Betroffener aus dem Saarland, der selbst mit Leichenspürhunden arbeitet und der mehrere Fälle erlebt habe, bei denen Schneider ihm zufolge die entscheidenden Koordinaten von vermissten Menschen geliefert habe.
Als „Seher“, sagt Schneider selbst, habe er in zahlreichen Fällen – beispielsweise bei der Suche nach Nikola D. aus Schleswig-Holstein – richtiggelegen. Dort habe die Polizei im Jahr 2020 eine Woche lang nach der Frau gesucht. Als Schneider dann ein Waldgebiet genannt habe, sei die Frau Stunden später im genannten Bereich tot aufgefunden worden. Wie nah die genannten Schneider-Koordinaten tatsächlich am Leichenfundort lagen, hatte die Polizei nicht mitgeteilt. Generell fehlen in der Regel klare Aussagen von Polizeibehörden, die den tatsächlichen Erfolg Schneiders in Vermisstenfällen belegen.
Stelle im Wald als
„ideal“ eingeschätzt
Und auch wenn Schneider selbst von seiner Erfolgsquote überzeugt ist, räumt er ebenso Misserfolge ein. Wie eben auch im Fall Hanna. Allerdings erklärt dies Schneider mit der Tatsache, dass er sich in dem Fall dazu hat hinreißen lassen, nach einem Täter und nicht wie sonst üblich nach einem Opfer zu suchen. Er betont deshalb: „Ich äußere mich grundsätzlich nicht zu Tätern“ – er suche nach vermissten Menschen und Tieren.
Schneiders Irschenberg-Koordinaten, die er aus der Ferne über seine „Eingebung“ herausgefunden haben will, hat er unter anderem auch einer Anwaltskanzlei, die am Mordprozess beteiligt war, weitergegeben. Er bat die Rechtsanwälte, die Informationen auch an die Behörden weiterzuleiten. Schneider selbst schickte zudem Freunde aus Feldkirchen-Westerham zu seinen Koordinaten, die die Stelle begutachtet und als „ideal“ eingeschätzt hätten, um dort unbemerkt jemanden verschwinden zu lassen, so Schneider. Doch was sagen die Ermittler zu einem solchen Hinweis?
Auf OVB-Anfrage äußert sich das zuständige Polizeipräsidium Mittelfranken recht verhalten zu Schneider, der den Behörden bekannt sei. „Aus polizeilicher Sicht sind die Ermittlungen zu diesem Fall faktisch abgeschlossen“, erklärt ein Polizeisprecher. Man habe alle polizeilichen Schritte abgearbeitet und letztlich auch die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft übergeben. „Natürlich fehlt in diesem Fall das letzte entscheidende Puzzlestück, die Leiche“, sagt der Polizeisprecher.
Sollte es neue Ansätze oder Hinweise geben, die tatsächlich auf neue Erkenntnisse hindeuten, gehe man diesen deshalb natürlich nach, erklärt der Sprecher. Tauchen also Hinweise auf, die konkrete belastbare Anhaltspunkte liefern, würden diese, nachdem sie von den Polizeibeamten entsprechend bewertet und eingeordnet wurden, von den Behörden weiterverfolgt.
Polizei schätzt
„Sinnhaftigkeit“
Dass sich vergleichbare „Seher“ mit Hinweisen bei der Polizei melden, sei nicht die Regel. Laut der mittelfränkischen Polizei hänge dies meist mit der Tragweite von großen, bundesweit aufsehenerregenden Fällen zusammen. „Und natürlich nehmen wir jeden Hinweis sehr ernst“, betont der Polizeisprecher. Wichtig sei für die Ermittler jedoch immer auch eine „logische Sinnhaftigkeit“.
Während Michael Schneider also weiterhin aus der Ferne davon ausgeht, den Ort der Leiche am Irschenberg zu kennen, äußert sich auch das Landgericht Nürnberg-Fürth noch einmal zur Örtlichkeit in der Region. Die klare Aussage einer Justizsprecherin auf OVB-Anfrage: „Für die mündliche Urteilsbegründung hat das Waldstück in Irschenberg keine Rolle gespielt.“ Die Kammer habe es als erwiesen angesehen, dass der Tatort in dem fränkischen Bezirk liegt.
Ob die Leiche dennoch woanders versteckt wurde, bleibt weiter unklar und somit fehlt nach wie vor das letzte Puzzlestück in diesem Mordfall.