Rosenheim – Belegte Turnhallen, steigende Mieten und zu wenig Platz für Sammelunterkünfte: Der Andrang geflüchteter Menschen stellt die Region Rosenheim weiterhin vor Herausforderungen. Wo der Bund nach seiner Meinung versagt, wie sehr er sich im Stich gelassen fühlt, und warum er Klagen von Bürgermeistern als Signal an Berlin versteht, berichtet er im exklusiven OVB-Sommerinterview.
Vor einem Jahr stand Ihren Mitarbeitern, die sich um Unterkünfte für Geflüchtete kümmern sollten, das Wasser bis zum Hals. Wo steht das Wasser heute?
Manchmal kommt mir diese zynische Redewendung in den Sinn: „Gestern standen wir vor dem Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter.“ Tatsache ist, dass sich die Situation nochmals verschärft hat. Es ist noch schwieriger geworden, auf dem freien Wohnungsmarkt passende Immobilien und Wohnungen zu finden, in denen wir Menschen dezentral unterbringen können. Das ist auch der Grund, weshalb wir seit geraumer Zeit verstärkt versuchen, Flächen anzumieten, um dort dann Container oder Ähnliches zu errichten. Nicht weil wir glauben, dass das für die Integration besser ist, sondern weil auf dem Wohnungsmarkt kaum mehr etwas anderes zu finden ist. Das macht es für uns deutlich schwieriger.
Man hat den Eindruck, dass manchmal die Leute aus ihren ersten Sammelunterkünften gar nicht mehr rauskommen. Es gibt Fehlbelegungen, Menschen wohnen in der Turnhalle. Wie lange kann man es den Menschen einer Gemeinde eigentlich zumuten, dass ihre Sporthallen besetzt sind?
Ganz klar, jeder Tag ist einer zu viel. Allerdings fehlen uns, wie gesagt, die Alternativen. Unser Ziel ist es, dass die Menschen schnellstmöglich die Hallen verlassen können und nicht länger als zwei oder gar drei Monate dort untergebracht sind. Vergangenes Jahr haben wir dazu eine Erhebung gemacht. Damals lag die durchschnittliche Verweildauer in den Hallen bei 50 bis 60 Tagen. Wir müssen uns bemühen, dass diese Zeitspanne nicht zunimmt. Stattdessen möchten wir die Menschen möglichst zügig in Anschlussunterkünften unterbringen und bei der Integration unterstützen.
Situationen wie in Rott, wo die Anwohner auf die Barrikaden gehen, machen es Ihnen auch nicht leichter. Haben Sie Verständnis für den Unmut vor Ort?
Ja, dafür habe ich Verständnis. Wobei ich ergänzen möchte, dass ich diesen Unmut auch bei kleineren Objekten wahrnehme, beispielsweise, wenn wir eine Doppelhaushälfte anmieten. Auch da bekomme ich Schreiben aus der Nachbarschaft, die unglücklich darüber ist, dass in der Einrichtung zehn unbekannte Menschen untergebracht werden. Diesen Unmut haben wir also immer. Gleichzeitig muss man unterscheiden zwischen einer Ankunftseinrichtung, wie zum Beispiel einer Turnhalle, oder sogenannten Anschlusseinrichtungen.
Was ist der große Unterschied zwischen diesen Einrichtungen?
In den Ankunftseinrichtungen können die Menschen, die zu uns gekommen sind, erst einmal durchschnaufen. Gleichzeitig schauen wir, wer überhaupt angekommen ist, und versuchen im Anschluss, den Menschen eine Unterkunft zu geben, in der sie länger bleiben können. Dort versuchen wir, die Belegung so zu gestalten, dass ein möglichst harmonisches Zusammenleben in der Unterkunft möglich ist. Da geht es beispielsweise darum, nicht gegnerische Parteien von Kriegsflüchtlingen gemeinsam in einer Einrichtung unterzubringen.
Wieso kann man die Menschen nicht von Anfang an entsprechend verteilen?
Die Informationen, woher die Menschen kommen, erreichen uns spät, in der Regel ein bis zwei Tage vor ihrer Ankunft. Da kann man nicht lange planen. Deshalb die Erstunterbringung in einer Ankunftseinrichtung. Leider sind das im Augenblick noch die Turnhallen. Von dort sollten die Menschen möglichst dezentral auf die Kommunen im Landkreis gleichmäßig verteilt werden. Das wäre mein Wunsch. Gleichzeitig wäre das auch meine Bitte an die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, das Ganze gemeinsam so zu gestalten und zu unterstützen, dass eine gleichmäßige Verteilung im Landkreis gelingt. Leider sind wir davon ein Stück weit entfernt.
Bei vielen Bürgermeistern ist die Stimmung in Bezug auf dieses Thema ohnehin nicht gut. Viele beklagen, dass die Suche nach Unterkünften viel zu lange ohne Einbeziehung der Kommunen stattfindet. Bringt das nicht eine Spaltung zwischen Gemeinden und Landkreis?
Ja, das ist tatsächlich nicht optimal. Unsere Erfahrung war aber leider, dass sich immer dann das Interesse des Vermieters auf null reduziert hat, wenn wir Dritte miteingebunden haben. Das hat uns stutzig gemacht. Eine solche Situation kann man auch nicht auf Dauer hinnehmen. Im Endeffekt würde das bedeuten, dass die Turnhallen noch viel länger belegt sind. Das kann nicht unser Ziel sein. Deswegen werden die Kommunen jetzt später eingebunden. Wir haben das aber auch ganz offen mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern kommuniziert, dass wir aufgrund unserer Erfahrungen diesen Weg leider gehen müssen.
Aber jetzt wollen Gemeinden klagen. Wie kann man den Konflikt beilegen?
Da ist die Erfahrung sehr unterschiedlich. Es gibt Gemeinden, die klagen, weil sie ein Zeichen Richtung Berlin setzen möchten. Die Gemeinden wollen signalisieren, dass sie mittlerweile ein Stück weit überfordert werden. Ein Mitglied eines Gemeinderats hat mir zum Beispiel einmal gesagt, ich solle das bitte nicht persönlich nehmen. Es gibt also Fälle, in denen eine Klage nichts mit mangelnder Unterstützung für den Landrat zu tun hat. Ob diese Vorgehensweise immer die sinnvollste Möglichkeit ist, sei jetzt mal dahingestellt. Aus meiner Sicht müsste es in einer Demokratie eigentlich funktionieren, die Probleme von kommunaler Ebene aus Richtung Bund zu transportieren. Aber meine Erfahrung ist leider auch, dass das bei dieser Bundesregierung sehr, sehr schwierig ist.
Fühlen Sie sich im Stich gelassen?
Ja, massiv. Und zwar nicht nur ich. Das haben wir auch vom Bayerischen Landkreistag intensiv nach Berlin kommuniziert, im Übrigen parteiübergreifend. Und trotzdem werden in dem Bereich nur minimale Schritte unternommen.
Was die Verteilung angeht: Markus Söder hat kürzlich gesagt, man könne etwas Druck von den Kommunen wegnehmen, indem man die kreisfreien Städte stärker belastet. Tut Rosenheim zu wenig?
Nein, meines Wissens nicht. Rosenheim gehört bei uns in Oberbayern durchaus zu den Kommunen, die ihr Soll erfüllt haben, während der Landkreis Rosenheim hier tatsächlich unter dem Durchschnitt ist. Nicht, weil wir nicht wollen, sondern weil bei uns die Möglichkeiten besonders in Bezug auf den Wohnraum begrenzt sind. Kreisfreie Städte haben den „Vorteil“, dass sie gleichzeitig auch Planungsbehörde sind. Das heißt, wenn sie ein eigenes Grundstück haben, können sie dafür einen Bebauungsplan aufstellen. Wir als Landkreis haben diese Möglichkeiten nicht. Wir sind auf die Kommunen angewiesen. Es ist zwar gesetzlich geregelt, dass Kommunen die Landkreise unterstützen sollen, Unterbringungsmöglichkeiten zu generieren. Na ja, dass das nicht überall gleich fruchtet, habe ich ja bereits erwähnt.
Wird bei der Zuweisung an den Landkreis Rosenheim berücksichtigt, dass die Lage auf dem Wohnungsmarkt sehr schwierig ist?
Es geht bei dieser Weiterverteilung vonseiten der Regierung von Oberbayern rein nach Einwohnerzahlen. Das ist der Grund, warum wir weiterhin alle 14 Tage in etwa 50 Geflüchtete zugewiesen bekommen.
Wie sieht das eigentlich mit den Kosten aus? In Halfing gibt es eine Unterkunft mit ausreisepflichtigen Geflüchteten, die straffällig geworden sind und ihre Strafe abgesessen haben. Dort ist Security beschäftigt. Wer bezahlt dieses Personal?
In der Regel ist es so, dass der Freistaat die Kosten für die Unterbringung übernimmt. Da gehört bei größeren Einrichtungen auch die Security dazu.
Es gibt auch Migranten, die straffällig werden. Oder die schlicht und ergreifend keinen Aufenthaltstitel erreichen. Da hat der Landtagsabgeordnete Daniel Artmann einigermaßen drastische Maßnahmen gefordert. Wie stehen Sie denn dazu?
Grundsätzlich bin ich auch der Meinung, dass man das Land wieder verlassen muss, wenn man am Ende eines Asylverfahrens keinen Aufenthaltstitel in Deutschland erhalten hat. Davon bin ich fest überzeugt. Ein solches Verfahren und der ganze Aufwand machen ja nur Sinn, wenn es am Ende auch Konsequenzen gibt.
Wie viele ausreisepflichtige Menschen haben wir denn im Landkreis im Moment?
377. Ein Großteil dieser Personen ist geduldet, beispielsweise aus familiären oder humanitären Gründen oder weil Heimreisedokumente fehlen. In Abschiebehaft befindet sich aktuell niemand.
Würde es denn etwas bringen, Sammelunterkünfte für Auszuweisende einzurichten, wie es Herr Artmann gefordert hat?
Da muss man sich die Einzelfälle sehr, sehr genau anschauen. Von diesen 377 nutzt der Großteil schon jetzt die Möglichkeiten des Chancenaufenthaltsgesetzes. Das heißt, langjährig geduldete Ausländerinnen und Ausländer bekommen unter bestimmten Voraussetzungen die Chance zum Erhalt eines Bleiberechts in Deutschland. Diese Regelung hat die Bundesregierung Ende Dezember 2022 neu eingeführt. Das heißt, für sehr viele von den 377 ausreisepflichtigen Personen im Landkreis gilt diese Regelung, die der Gesetzgeber bewusst geschaffen hat. Diese Menschen müssen also in nächster Zeit überhaupt nicht ausreisen und haben hier viele Monate Zeit, sich zu bewähren. Am Ende wird noch einmal überprüft, ob eine weitere Verlängerung über das Chancenaufenthaltsgesetz möglich ist oder nicht. Hier wurde also etwas geschaffen, das den Prozess des Wiederrückführens verzögert. Das ist manchmal schwer zu verstehen, vor allem wenn man bedenkt, dass oftmals kein Platz ist für Neuankommende, die wirklich Schutz suchen und möglicherweise ein Recht haben, dauerhaft zu bleiben.
Das klingt, als würden Sie nicht so viel von diesem Vorgehen halten.
Ich halte grundsätzlich von vielen Dingen, die die Bundesregierung im Bereich Asyl und Flüchtlinge macht, nicht besonders viel, weil sie in die völlig falsche Richtung gehen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft durchaus bereit ist, Menschen, die Hilfe brauchen, diese Hilfe zu gewähren. Aber wenn wir sie quantitativ überfordern, dann wird man weder der hiesigen Bevölkerung gerecht, noch den Erwartungen und Hoffnungen der Flüchtlinge, weil wir sie gar nicht mehr vernünftig unterbringen und integrieren können.
Deswegen muss es eine Begrenzung geben. Und es muss vonseiten der Bundesregierung gehandelt werden. Ansonsten läuft man tatsächlich Gefahr, die Unterstützung in der Bevölkerung noch mehr zu verlieren, als das derzeit der Fall ist. Und darunter leiden dann alle: sowohl die hiesige Bevölkerung als auch diejenigen, die zu uns kommen.
Interview: Rosi Gantner,
Patricia Huber und Michael Weiser,