Altenbeuern/Landkreis – Die Omas und Opas der heutigen Vor- und Grundschulkinder kennen es noch: In den Ferien war man frei! Nach dem Frühstück verließ man ohne Handy oder sonstigen Ortungsmöglichkeiten das Haus, traf sich mit Freundinnen und Freunden und eroberte die Welt. Da wurden Waldlager gebaut, Geheimverstecke aufgesucht oder Dämme am Bach gebaut. Dann ließ man die Füße im eiskalten Wasser baumeln und beobachtete, was am Damm alles passierte.
Auch der Wald bot einiges an Möglichkeiten: Man musste Löcher inspizieren, begab sich auf Spurensuche, spielte Verstecken oder Räuber und Gendarm oder legte sich unter eine Baumkrone und träumte vor sich hin. Beim „Gebetläuten“ hatte man wieder daheim zu sein und keiner fragte, was man so getrieben habe den ganzen Tag. Hauptsache man war da, und das meistens sehr müde und hungrig.
Ameisenbahn
und ein Rap
Es war eine natürliche Art, Wald und Welt zu entdecken und dabei zu begreifen. Heute ist jeder Kindertag durchgetaktet, die Eltern arbeiten, da bleibt oft keine Zeit für kleine Entdeckungsreisen in den Wald oder an den Bach, bestenfalls schauen sich die Kinder Sendungen wie „Checker Tobi“ oder die „Sendung mit der Maus“ an, wo sehr viel Naturwissen vermittelt wird.
In der Gemeinde Neubeuern haben sich zwei pädagogik-erfahrene Mütter aufgemacht, dies zu ändern. Sabrina Schmid und Franziska Hemberger von „Glückskinder Familienprogramme“ haben zusammen mit einer Erzieherin und einer Biologin ein Walderlebnisprogramm konzipiert, bei dem Vor- und Grundschulkinder eine intensive aber doch spielerische Begegnung mit dem Ökosystem Wald haben können. Dabei begleitet sie der Waldwichtel Willi und gibt ihnen Aufgaben.
Treffpunkt ist der Parkplatz am Friedhof Altenbeuern, da wird erst einmal der Waldwichtel-Rap gesungen und geklatscht. „Entdecken, spielen und auch schnitzen, durch die grünen Wälder flitzen“ lautet eine Strophe, die den Inhalt der zwei bevorstehenden Stunden recht gut trifft. Noch kurz ein Sprühstoß Mückenschutz, den Rucksack mit Brotzeit und Getränk geschultert und schon geht’s hinüber ins Bürgl, einem kleinen Waldstück in Altenbeuern, bekannt von Waldfesten und Theater-Aufführungen. Da wissen die Kinder schon, was als Nächstes kommt, sie müssen zum Waldwichtel-Baum, an dem eine Eingangstüre und ein Briefkasten zeigen, dass Willi hier wohnt. Immer hat er einen Brief vorbereitet, den eines der Kinder vorlesen darf. Diesmal stehen Schnitzen und „Walddetektive“ auf dem Programm. Erzieherin Irmi Mayer-Schwitteck teilt die Kinder in zwei Gruppen auf.
Suche nach
der Ameisenspur
Die eine startet mit dem „Schnitz-Führerschein“, die Walddetektive gehen auf Spurensuche. „Jedes Kind schnitzt gern, herabgefallene Äste oder Holzstücke bieten sich geradezu an. Aber beim Umgang mit einem Messer muss man einiges beachten, damit nichts passiert. Das lernen sie hier“, so Erzieherin Irmi Mayer-Schwitteck. Sie hat Schnitzstöcke und Messer mitgebracht und erklärt die wichtigsten Regeln. Mit Eifer fangen die Kinder an, ihre Stöcke mit dem Schnitzmesser zu bearbeiten und bekommen anschließend ihren „Schnitz-Führerschein“.
Die andere Gruppe geht mit der Erlebnis-Biologin auf Spurensuche. „Der Wald ist voller kleiner und großer Tiere, die Spuren hinterlassen, dafür muss man sehr genau hinschauen,“ so die Biologin und zieht mit ihrer Gruppe los. Schon an der ersten Buche finden sie einen grünen Pickel auf einem Buchenblatt, was könnte das sein? Unter der Lupe schauen sich die Kinder das Blatt genauer an. Es ist das Gehäuse für die Larve der Buchengallmücke, die in unseren Wäldern beheimatet ist. Die Buchengallmücke legt ihre Eier einzeln auf ein junges Buchenblatt, das daraufhin einen kleinen „Behälter“ für die Entwicklung der Larve ausbildet. Weiter oben im Wald entdecken sie eine „Ameisenautobahn“, einen Zentimeter-tiefen und breiten Mini-Trampelpfad im weichen Moos, geschaffen von Tausenden von Ameisen in Team-Arbeit, die hier tagein und tagaus hin- und herlaufen. Die eine oder andere Ameise kommt vorübergehend in eine Becherlupe und wird genau inspiziert. „Die Fühler sind ja genauso lang wie der Körper“, beobachtet Lena und stellt sich Martina mit so langen Fühlern vor. Bei der Vorstellung müssen alle lachen!
Zwischendurch ist auch noch Zeit für Brotzeit und Austausch. Erzieherin Irmi hat kleine Fliegenpilz-Muffins gebacken, die die Kinder suchen und essen dürfen. Nebenbei erfahren sie, wie giftig ein Fliegenpilz ist und was passiert, wenn man einen isst. Auch die verschiedenen Entwicklungsstadien einer Tollkirsche können sie beobachten, von der Blüte bis zur reifen Frucht. Fanny bekommt richtig Angst und wird in Zukunft einen weiten Bogen um diese Pflanze machen. Doch schließlich wissen die Waldwichtel-Kinder Bescheid: Niemals etwas in den Mund stecken, auch wenn es noch so schön ist, lautet eine der wichtigsten Wald-Regeln.
Lukas, der im Herbst in die dritte Klasse kommt, verblüfft immer wieder mit seinem Wissen und fragt genau nach. Ihm sind die zwei Stunden im Wald viel zu kurz. Und er ist ein bisschen traurig, dass der Schnupperkurs schon fast zu Ende ist.
Man könnte es fast als eine Wald-Akademie für Kinder bezeichnen. „Mensch und Holz, Mensch und Baum: Das ist eine ganz enge Verwebung,“ erklärt Peter Wohlleben, Deutschlands bekanntester Förster und Bestsellerautor in einem Interview. „Da erden wir uns quasi, wenn wir mal genug von Computern und Schreibtischen haben.“ Das gilt auch für Kinder. Hier können sie spielerisch Kontakt mit der Natur aufnehmen und Teil dieses natürlichen Öko-Systems werden.
Ab dem neuen Schuljahr gibt es einen neuen Kurs, über alle Jahreszeiten. Sabrina Schmid und Franziska Hemberger wollen mit ihrem Walderlebnis-Programm die Lust am gemeinsamen Erleben unter den Kindern fördern und bedeutungsvolle soziale Kontakte schaffen. Mit Aktionen wie dem „Glühwürmchen-Spiel“ lernen sie gegenseitiges Vertrauen. Ein Kind wird mit verbundenen Augen von den Glühwürmchen-Kindern durch den Wald begleitet. Tatsächlich, so Erzieherin Irmi Mayer-Schwitteck, ist nach sechs Schnupper-Kurs-Stunden eine kleine Wald-Gemeinschaft zusammengewachsen. Die Kinder haben sich kennengelernt, teilen ihre Brotzeit und erzählen frei, was ihnen besonders gut gefallen hat.
Polonaise
durch die Bäume
Am Ende wird eine Polonaise durch die Bäume gemacht. So wird der Wald zum Lern- und Spielort, die Kinder können sich austoben. Immer ist die Zeit zu kurz, die Kinder hätten gerne länger geschnitzt, wären gerne weiter durch den Wald gestreunt, aber am Parkplatz warten schon die Eltern zum Abholen. Infos gibt es unter www.glueckskinder- online.de.