„Schallende Ohrfeige für die Ampel“

von Redaktion

Starke Ränder, schwache Mitte: Nach der Landtagswahl in Thüringen und in Sachsen herrscht Ratlosigkeit. Die OVB-Heimatzeitungen haben bei Politikern aus der Region nachgefragt, wie sie das Ergebnis beurteilen, und zeigen, wer Neuwahlen möchte und wer sich – einigermaßen überraschend – freut.

Rosenheim – Gegen halb sieben Uhr abends, kurz nachdem die Ergebnisse erster Hochrechnungen zu den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen gemeldet worden waren, bildeten Demonstranten im Rosenheimer Salingarten eine „Mahnwache gegen den Faschismus“. Die Menschen zogen anschließend zum Ludwigsplatz, um vor einer Regierungsbeteiligung der AfD etwa in Thüringen zu warnen. Die Polizei zählte rund 40 Demonstranten. Der Protest sei friedlich verlaufen, es habe keine besonderen Vorfälle gegeben, sagte Polizeihauptkommissar Robert Maurer.

Mit Bestürzung und Besorgnis reagieren auch viele Politiker aus der Region auf die Wahlergebnisse aus Thüringen und Sachsen. Verloren hat die Mitte insgesamt, gestärkt wurden die Ränder. Vor allem die Parteien der Ampelkoalition wurden abgestraft. Die AfD dagegen legte massiv zu, das Bündnis Sahra Wagenknecht kam aus dem Stand auf zweistellige Ergebnisse.

Für Daniela Ludwig
ein „Wendepunkt“

Als „Wendepunkt“ bezeichnet die Rosenheimer Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig (CSU) die Wahlen. Wer die Ergebnisse abtue, etwa als Ost-Phänomen, mache es sich zu leicht. Vielmehr sei es nicht gelungen, den Menschen eine politische Perspektive im bestehenden Parteiensystem zu bieten. Vor allem aber seien die Ergebnisse eine „schallende Ohrfeige“ für die Ampel. Entscheidungen wie das Heizungsgesetz hätten den Eindruck verfestigt, „dass sich die Bundesregierung nicht um die Themen kümmert, die in der Lebenswirklichkeit der Sachsen und Thüringer eine Rolle spielen“.

Klar sei, dass die Migration die größte Herausforderung darstelle. „Nicht erst seit Mannheim und Solingen kann und will niemand mehr die Betroffenheitsbekundungen und die immer wiederholten Ankündigungen hören, dass sich jetzt endlich etwas ändern wird.“ Gerhard Schröder habe 2005 nach 37,1 Prozent in Nordrhein-Westfalen die Vertrauensfrage gestellt. Am Sonntag sei die SPD auf 7,3 Prozent in Sachsen und 6,1 Prozent in Thüringen abgestürzt. „Wenn Olaf Scholz nicht die Kraft für Neuwahlen hat, muss er wenigstens die Widerstände innerhalb seiner eigenen Regierung in der Migrationsfrage überwinden.“

Die Bayern-Chefin der Grünen empfindet nach den Wahlen auch Freude – trotz des Rausflugs aus dem Thüringer Landtag. „Vor allem freuen wir uns sehr, dass wir im sächsischen Landtag weiterhin vertreten sind“, sagt Gisela Sengl aus Nußdorf im Landkreis Traunstein. Jetzt gehe es um die „Riesenaufgabe, die Menschen, die so extreme Parteien wie die AfD und die BSW wählen, wieder für die politische Mitte zurückzugewinnen“. Diesen langen Weg müssten die demokratischen Parteien der Mitte gemeinsam gehen. Und, ja, so sei der Vormarsch der AfD zu stoppen: „mit einer glaubwürdigen, transparenten und wertschätzenden Politik“. Wer die Grünen so ausgrenze und behandle, wie das die Söder-CSU tue, „der stärkt damit genau diese extremen Ränder“.

„Die Probleme
anpacken“

Dass eine vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei in zwei Bundesländern 30 Prozent erzielte, beschäftigt die FDP-Bundestagsabgeordnete Sandra Bubendorfer-Licht aus Mühldorf. „Ich kann nachvollziehen, dass Menschen in diesen Zeiten nach klaren und einfachen Antworten suchen“, sagt sie dem OVB. „Diese Parteien bieten jedoch keine realistischen und möglichen Lösungen.“ Es gelte, die Probleme anzupacken, die die Menschen wirklich bewegten. „Das ist eine konsequente Realpolitik in der Migrationsfrage und eine weitergehende Konsolidierung unserer Wirtschaft.“ Nur mit Lösungen „von faktischen Problemen in unserem Land werden wir die Feinde der Demokratie von AfD und die Putin-Versteher vom BSW wieder kleiner machen“.

Die gedrückte Stimmung ist auch Bärbel Kofler am Tag nach der Wahl anzumerken. „Das eigene Ergebnis bei der gestrigen Landtagswahl in Sachsen und Thüringen ist sehr enttäuschend“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete für den Landkreis Traunstein. „Genauso enttäuschend ist aber auch, dass so viele Menschen eine vom Verfassungsschutz überwachte Partei gewählt haben.“ Intensiver beraten wolle man sich über das Thema bei der nächsten Klausurtagung.

„Ein hochgefährliches
Ergebnis“

Ates Gürpinar wirkt im Gespräch mit dem OVB bestürzt. Am 1. September 2024, genau 85 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen, sei eine „faschistische Partei“ stärkste Kraft geworden. „Das ist unglaublich“, sagt der Rosenheimer Bundestagsabgeordnete der Linken. „Und es ist hochgefährlich.“ Die Niederlage vor allem in Thüringen, wo Bodo Ramelow von der Linken abgewählt wurde, sei ein „krasses, schwieriges Ergebnis“. Der Triumph der AfD sei seiner Meinung nach auch auf einen „Überbietungswettbewerb“ in der Migrationsfrage zurückzuführen. „Nun haben auch SPD und Grüne Massenabschiebungen versprochen. Man hält das rechte Lager nicht im Zaum, indem man seine Forderungen umsetzt.“ Umso wichtiger sei es für die Linke, Haltung zu zeigen – „auch als Zeichen an die Zivilgesellschaft“. Kopfschütteln löst bei ihm der Erfolg des BSW aus. „Sahra Wagenknecht trifft in irgendeiner Form einen Nerv, aber nicht den, den sie zu treffen versprochen hatte. Und so hat sie nicht der AfD, sondern allen anderen Parteien Stimmen genommen und so die Rechten gestärkt.“

Genugtuung bei
Andreas Winhart

Genugtuung äußert dagegen Andreas Winhart, Landtagsabgeordneter der AfD aus Bad Aibling. „Die Wähler in Sachsen und Thüringen haben sich in beiden Ländern zu über 30 Prozent für die AfD entschieden.“ Die AfD sehe dies als „klaren Regierungsauftrag und eine klare Absage an Brandmauer-Taktiererei“. Er fordere in der Region alle politischen Kräfte auf, zur Sachpolitik zurückzukehren. Sie sollten in Kreistag und Stadtrat zusammen mit der AfD bürgerorientierte Kommunalpolitik betreiben. „Die politische Brandmauer ist seit Sonntagabend Geschichte.“

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