Seeon – Die Politik in Berlin vernachlässigt zu oft die Bedürfnisse der ländlichen Räume: Auf diesen Nenner lässt sich wohl der Hilferuf der Landräte am Ende des zweitägigen Deutschen Landkreistags bringen, der gestern in Seeon zu Ende ging. Reinhard Sager, der Präsident des Landkreistags, sagte mit Blick auf die sinkenden Zustimmungswerte der Bundesregierung, es sei kein Wunder, dass die Menschen das Vertrauen in die Regierung verlieren.
„Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist gering und sie sinkt weiter. Neben schnelleren Asylverfahren brauchen wir dringend geringere Zuzugszahlen, dauerhafte Grenzkontrollen und mehr Rückführungsabkommen mit Drittstaaten.“ Die finanzielle Belastung durch die Unterbringung von Flüchtlingen sei für viele Kommunen erdrückend, da der Bund seit Anfang 2022 keinen Vollausgleich mehr leiste. „Wir reden hier über mehr als sieben Milliarden Euro.“
Menschen fühlen
sich abgehängt
Deutschland sei dezentral geprägt – die meisten Menschen leben auf dem Land. „Und für diese muss zuallererst Politik gemacht werden“, forderte er. Spätestens die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hätten gezeigt, dass sich viele Menschen im ländlichen Raum abgehängt fühlen.
„Die Politik muss mehr liefern, besser kommunizieren und darf sich nicht ständig im Klein-Klein verheddern“, betonte Sager. Es gelte, das Vertrauen der Menschen in staatliche Strukturen zu stärken.
Auch Ministerpräsident Markus Söder hatte bei seiner Rede am Montag gesagt, dass Deutschland „überfordert“ sei. Söder betonte, dass der Freistaat Bayern 100 Prozent der Kosten für die Asylherausforderungen übernehme, um die Kommunen zu entlasten. „Wir müssen die Zuwanderung massiv reduzieren. Es braucht dauerhafte Grenzkontrollen und eine starke Grenzpolizei“, forderte er. Mit einem klaren Appell an den Bund sagte er: „Was in Dänemark geht, muss bei uns am Ende auch gehen.“
Söder kritisierte auch scharf die Krankenhaus-Reformpläne der Bundesregierung, die vor allem kleine Krankenhäuser in ländlichen Regionen gefährden könnten. „Spitzenmedizin erster Klasse in den Städten und Medizin zweiter Klasse im ländlichen Raum – das darf nicht sein“, betonte er. Während große Kliniken wie die Charité in Berlin weiter ausgebaut würden, sei es für Menschen auf dem Land oft schwierig, eine adäquate Notfallversorgung in ihrer Nähe zu finden. „Was nützt es jemandem, der in einem kleinen Ort auf dem Land einen Herzinfarkt hat, wenn München eine super Klinik hat? Die Menschen brauchen eine gute Notfallversorgung vor Ort“, sagte Söder.
Söder forderte daher ein Soforthilfeprogramm für die Krankenhäuser, um die gestiegenen Kosten durch Inflation und höhere Tarifbindungen abzufedern. „Krankenhäuser dürfen nicht mit zusätzlichen Fesseln durch Reformen belastet werden, die ihnen jegliche Perspektive nehmen“, erklärte er. Bayern sei nicht bereit, eine Situation zu akzeptieren, in der ganze Regionen keine Krankenhäuser mehr hätten oder nur mit einer minimalen Notfallversorgung ausgestattet würden.
Habeck per Video zugeschaltet
Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck war nach Seeon eingeladen worden. Da er sich aber derzeit wegen der Haushaltwoche in Berlin aufhält, wurde er per Video zugeschaltet. Er sprach sich für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen politischen Ebenen aus. „Den Herausforderungen unserer Zeit müssen wir uns gemeinsam stellen“, betonte er. Es sei wichtig, die ländlichen Regionen nicht gegen die Städte auszuspielen. „Landkreise sind eine entscheidende Stimme und ein zentraler Partner vor Ort“, so Habeck. Nur gemeinsam könne man die großen Herausforderungen wie den Klimawandel und den gesellschaftlichen Zusammenhalt bewältigen.
Joachim Schwind vom Niedersächsischen Landkreistag stellte am Ende der Rede von Habeck eine Frage, die vielen anderen auf der Seele lag: „Warum wird bei Dingen, die nicht zwischen Krieg und Frieden, zwischen Corona-Pandemie und Katastrophenschutz zu lösen sind, die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene mehr als stiefmütterlich von dieser Bundesregierung behandelt?“
Habeck räumte hier Fehler ein, die sich in den letzten Jahren eingeschlichen hätten. „In den Jahren 2022 und 2023 haben wir in den Abgrund geschaut“, sagte Habeck. „Ich hatte regelrecht Angst, dass in Deutschland die Lichter ausgehen – Gas-Mangellage, Stabilität der Systeme und so weiter. Wir haben da wirklich Gesetze kaum mit Fristen durchgedrückt. Das kann sein, dass dort ein Schlendrian eingezogen ist, das wäre nicht gut.“
Einen weiteren Grund sieht Habeck in der Arbeitsweise der aktuellen Bundesregierung: „Es dauert manchmal in der Abstimmung in der Regierung sehr lange, viel zu lange“, sagte er. Dann wolle man aber unbedingt zu irgendeiner Frist noch etwas erreichen und dann seien die Dritten, Landkreistag oder Wirtschaftsverbände, die Leidtragenden. „Das ist überhaupt keine Entschuldigung, das ist eher ein Zeichen von: So geht es eigentlich nicht.“
Klarer Appell an
die Bundesregierung
Zum Abschluss der Tagung appellierte Reinhard Sager an die Bundesregierung, die ländlichen Räume stärker in den Fokus zu rücken. Ohne eine ordentliche finanzielle Ausstattung der Kommunen sei „kein Staat zu machen“. Die Landkreise hätten in den letzten Jahren zunehmend Schwierigkeiten, ihre Haushalte auszugleichen. „Von den 294 Landkreisen haben im letzten Jahr 189 ihren Haushalt nicht oder nur durch Rückgriff auf Rücklagen ausgleichen können“, erklärte er. Für 2024 rechne man damit, dass fast alle Landkreise ihre Rücklagen vollständig aufgebraucht hätten. „Es muss dringend eine angemessene Finanzausstattung durch den Bund und die Länder erfolgen“, forderte Sager, der in Seeon sein Amt als Präsident des Deutschen Landkreistags abgab. Zum Nachfolger wurde Achim Brötel, Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises in Baden-Württemberg, gewählt.