Rosenheim – Der Landkreis Rosenheim muss auch künftig den Kreistag und die betroffenen Gemeinden nicht zum „frühestmöglichen Zeitpunkt“ über die geplante Errichtung von Flüchtlingsunterkünften auf deren Territorium unterrichten. Die AfD scheiterte mit einem entsprechenden Vorstoß im Kreistag, es kam zu einer hitzigen Debatte.
AfD-Kreisrat Andreas Winhart, der seine Partei auch im Landtag vertritt, sieht den Kreistag als Organ des Landkreises Rosenheim „durch die Asyl- und Flüchtlingspolitik des Landrats negativ betroffen“. Um Geflüchtete unterzubringen, würden immer wieder landkreiseigene Liegenschaften „zweckentfremdet“, was den Schulunterricht und das Vereinsleben in den betroffenen Gemeinden stark beeinträchtige, kritisierte er. Im Sinne der Bürger sowie der Interessen des Landkreises sei deshalb ein Einschreiten des Gremiums „überfällig.“
Forderung nach
Schadensbericht
Winhart spielte mit diesem Vorwurf insbesondere auf die Belegung von Schulturnhallen mit Flüchtlingen an. Seine Sichtweise und die Forderung nach einem „umfassenden Schadensbericht aufgrund der Zweckentfremdung“ trugen letztlich nur drei weitere Kreisräte mit. In der Debatte vor der Abstimmung prallten die gegenteiligen Meinungen zum Teil sehr heftig aufeinander.
„Die AfD sucht nur einen kleinen Anknüpfungspunkt, um die Asyldebatte auch da zu führen, wo sie nicht hingehört“, warf ihr beispielsweise Dieter Kannengießer als Fraktionssprecher der Parteiunabhängigen/ÜWG vor. Würde der Landkreis vor dem Abschluss eines Mietvertrages über Objekte berichten, die er für die Unterbringung von Flüchtlingen für geeignet erachte, dann würde die AfD dies im Vorfeld nur nutzen und die Leute noch mehr verunsichern, zeigte er sich überzeugt.
Sepp Hofer (Freie Wähler) hält die Flüchtlingspolitik in Deutschland zwar für „unbefriedigend“, aber: „Der Kreistag ist die falsche Adresse für solche Diskussionen. Die richtige ist Berlin.“ Winhart sieht dennoch auch im Landkreis Handlungsbedarf. „Die Zweckentfremdung von Immobilien und die Art und Weise des Vorgehens sind so nicht mehr hinnehmbar. Das ist ein Dauerzustand seit 2015“, sagte er und warf dem Landkreis mangelnde Transparenz bei der Anmietung von Unterkünften für Asylbewerber vor.
Ein Vorwurf, den Landrat Otto Lederer (CSU) nicht im Raum stehen lassen wollte. „Wir vollziehen hier Gesetze, in diesem Fall Landesrecht“, konterte er. Freilich ließ auch er deutliche Kritik an der aktuellen Flüchtlingspolitik der Bundesregierung erkennen. „Ich bin der Meinung, dass die Grenze dessen, was im Bereich Integration machbar ist, schon längst erreicht und zum Teil überschritten ist. Bei unserem Handeln geht es vor allem darum, Obdachlosigkeit zu vermeiden“, sagte Lederer.
Derzeit habe der Landkreis über 270 Liegenschaften für Geflüchtete angemietet. Aktuell seien 3337 Asylbewerber dort untergebracht. Etwa 100 weitere pro Monat würden ihm zugewiesen. Da er die von der Regierung von Oberbayern vorgegebene Quote bei der Unterbringung Geflüchteter deutlich verfehle, sei davon auszugehen, „dass perspektivisch sogar noch weitere Plätze im Landkreis geschaffen werden müssen“, heißt es in einer Stellungnahme der Verwaltung. Der Landrat verhehlte nicht, dass die Zweckentfremdung von Turnhallen mit „schmerzlichen Einschränkungen“ für das Schul- und Vereinsleben vor Ort verbunden sei, dennoch verteidigte er sie zusammen mit der Kreisverwaltung.
Die Duldung einer solchen Maßnahme durch den Landkreis stelle „unter Würdigung der Gesamtumstände das mildeste zur Verfügung stehende Mittel“ und damit die gebotene Entscheidung dar.
Verwaltungspanne
wird offenkundig
Lederer erläuterte auch, warum der Kreis erst nach Abschluss von Mietverträgen die Öffentlichkeit über die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften informiert und diese Praxis beibehalten will. „Im Bereich der Asylunterbringung musste das Landratsamt jedoch bereits in mehreren Fällen feststellen, dass fest in Aussicht stehende Vertragspartner nach erfolgter Vorabinformation Dritter aus nicht nachvollziehbaren Gründen ihr Interesse am Abschluss eines Vertrages verloren haben“, heißt es in einer Stellungnahme der Verwaltung dazu.
Was die Auskunft über den Mehraufwand betrifft, der mit der Nutzung von Schulturnhallen als Asylunterkünfte verbunden ist, wurde in der Kreistagsdebatte eine Verwaltungspanne offenkundig. In der Sitzungsvorlage wurden auf AfD-Nachfrage die Kosten für das Jahr 2023 mit 79955,95 Euro für das Gymnasium Raubling, 21868,29 Euro für das Gymnasium Bruckmühl und 31321,32 Euro für das Gymnasium Prien beziffert.
Abteilungsleiterin Roxanne Scheurl, die die finanziellen Auswirkungen auf den Landkreis vor dem Gremium näher erläutern sollte, wartete jedoch mit anderen Zahlen auf. „Da fragt man sich schon“, meinte Winhart. Ein Moment, in dem der Landrat sofort eingriff, um dem Vorwurf mangelnder Transparenz nicht noch weitere Nahrung zu geben. „Die Zahlen sind mit heißer Nadel gestrickt. Wir liefern die richtigen nach.“
Dass der Landkreis bei der Unterbringung von Geflüchteten und der Formulierung seiner Forderungen zur Asylpolitik ein Problem in der Außendarstellung habe, sieht der Landrat indes nicht. „Der Deutsche Landkreistag hat doch erst jüngst bei seiner Tagung in Kloster Seeon unsere Position wieder deutlich gemacht. Da gibt es kein Kommunikationsproblem, wir haben ein Problem des politischen Handelns“, formulierte er deutliche Kritik in Richtung Bundesregierung.
Schützenhilfe bekam Lederer von CSU-Fraktionssprecher Felix Schwaller. Die Flüchtlingspolitik sei ein sehr „komplexes Thema“. Schwaller wörtlich: „Ich möchte nicht in der Haut des Landrats stecken. Eine Diskussion im Kreistag bringt uns da keinen Schritt weiter.“ Christian Demmel (AfD) sah das anders. „Mehr Druck vom Landkreis kann nicht schaden, damit endlich die jetzt notwendigen Gesetze entstehen.“
Kannengießer
attackiert Winhart
Dass Schwaller auch behauptet hatte, der Freistaat übernehme mit Ausnahme des Personalaufwands alle Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen im Landkreis, und die von der Verwaltung vorgelegten Zahlen über den durch die Belegung von Turnhallen entstehenden Mehraufwand nicht angezweifelt hatte, brachte Andreas Winhart auf die Palme. „Ich verstehe nicht, wie der Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses des Landkreises so etwas sagen kann.“
Einmal in Rage geredet, übte er auch noch heftige Kritik an Dieter Kannengießer. „Ihm geht es doch nur um Hetze und darum, dass die AfD wieder eins auf die Mütze bekommt.“ Der Kolbermoorer Vize-Bürgermeister sah sich deshalb nochmals zu einem Konter herausgefordert. „Ich kann mich noch gut erinnern, wie Sie im Zusammenhang mit einer geplanten Unterkunft für Asylbewerber den Kolbermoorer Bürgermeister vor der Landtagswahl im Vorjahr einen ‚Bürgerverräter‘ genannt haben. Das braucht kein Mensch, das ist Hetze.“
Michaela Eglseer (früher AfD, jetzt Werteunion) kommentierte den Streit mit Kopfschütteln. „Das Boot ist nicht nur voll, es sinkt bereits. Und wir bekämpfen uns hier noch gegenseitig. Die AfD ist doch nur deshalb so groß geworden und wird noch größer werden, weil die mit der Migration verbundenen Probleme nicht offen angesprochen werden.“
Nachdenkliche Worte
von Bürgermeister
Auch der Kolbermoorer Bürgermeister Peter Kloo (SPD) wollte angesichts der gegenseitigen Vorwürfe nicht länger schweigen und forderte die Rückkehr zu mehr Sachlichkeit in der Debatte. „Wir sollten im Zusammenhang mit Geflüchteten nicht immer nur über Geld reden und ein volles Boot lamentieren. Das schürt nur Ängste. Wir wissen doch alle, dass unser Boot leerer wird und wir Menschen brauchen. Und wir sollten auch mal darüber nachdenken, was wir mit Leuten machen, deren Lebensräume wir durch unseren Wohlstand zerstören“, gab sich der SPD-Kreisrat nachdenklich.
Als Bürgermeister könne er dem Landkreis darüber hinaus in Fragen der Flüchtlingsunterbringung attestieren, „dass sehr offen und ehrlich miteinander geredet wird“. Der AfD warf er vor, die Flüchtlingsproblematik zu nutzen, um zu hetzen und Menschen zu verunsichern. AfD-Kreisrat Christian Demmel, ebenfalls aus Kolbermoor, wollte wiederum diese Aussage nicht unwidersprochen im Raum stehen lassen, ehe der Landrat erfolgreich auf ein Ende der Debatte drängte. „Wenn wir Vernunft und Verstand einsetzen, hat das nichts mit Hass und Hetze zu tun“, erwiderte Demmel dem Rathauschef.
Die Kreistagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen stimmte zwar ebenfalls gegen den AfD-Antrag, aus ihren Reihen kam während der Debatte zu dieser Thematik allerdings keine einzige Wortmeldung.