Rosenheim – Der Staat kann nicht alles richten. Er ist, gerade auf der Ebene der Städte und Gemeinden, darauf angewiesen, dass Bürger selbst aktiv werden, sich für ihr Umfeld und auch die eigene Person engagieren. Nur dann können Gemeinden und Städte ihrer Rolle als „soziale Gemeinschaften“ gerecht werden.
Das war die Kernbotschaft von Oberbürgermeister Andreas März, Adressat waren die Selbshilfegruppen in Bayern, die in Rosenheim jüngst ihren 14. Selbsthilfekongress veranstalteten. Es war im Grunde ein Dankeschön, denn die Selbsthilfegruppen sind für den Oberbürgermeister wie auch für die Schirmherrin der Veranstaltung, Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf, Einrichtungen, in denen das Ideal eines unterstützenden Miteinanders beispielhaft gelebt wird.
11000 Selbsthilfegruppen gibt es in Bayern, zu 1400 Themen, also so gut wie zu jeder Betroffenheitslage. Und sie alle, so die Sozialministerin in einer Videobotschaft, zeichnen sich aus durch die offenen Arme, mit denen neue Mitglieder aufgenommen werden und auch durch die Kraft, die sie durch das Entdecken eigener Stärken entfalten.
Der Schwerpunkt des Kongresses wurde durch einen Vortrag der preisgekrönten Journalistin Christina Berndt gesetzt, die über die Verbindung zwischen Seele, Geist und Immunsystem sprach. Eine Verbindung, die für alle Mitglieder einer Selbsthilfegruppe nichts Neues sei, sie alle würden – sei es bewusst oder unbewusst – tagtäglich damit konfrontiert. Berndts Vortrag zielte nicht zuletzt darauf ab, die Verknüpfung zwischen Geist und Seele von jedem esoterischen Anhauch zu befreien: „Es geht hier nicht um Voodoo oder Hokuspokus, sondern um harte, nachprüfbare Wissenschaft,“ sagte sie. „Depression und Unglücklichsein sind nicht bloße Stimmungen, Einbildung gar. Es sind handfeste Gewitter in Kopf und Körper.“ Sie warb dafür, diese enge Verknüpfung als Chance zu sehen: „Das Wunderbare ist, dass wir dadurch mehrere Felder haben, um unsere Gesundheit zu verbessern: Ob man dem Körper etwas Gutes tut, oder der Seele – das positive Ergebnis wirkt sich immer auf den ganzen Menschen aus.“
Wichtig war ihr in dem Zusammenhang auch der richtige Umgang mit „Stress“. Stress werde in unserer Gesellschaft als ein entscheidender Negativfaktor gesehen, so meinte sie. Das sei er auch, wenn wir darunter Dauerstress verstehen. Einzelne „Stressmomente“ hingegen seien positiv, sogar entscheidend für unser Wohlbefinden. Wer stets bemüht sei, alles Unangenehme, jeden „Stress“ von sich fernzuhalten, mache auf Dauer den Bereich, in dem er sich behaglich fühle, immer kleiner. Ab und an Herausforderungen bewusst anzunehmen, erweitere dagegen die „Wohlfühlzone“.
Für die gut 200 Kongressteilnehmer war der Vortrag mehr als ein positiver Impuls. Als nach dem Vortrag Gelegenheit zu individuellen Stellungnahmen war, sagte eine Teilnehmerin: „Ich bin jetzt 75 und hatte mir gewünscht, noch zehn Jahre zu leben. Jetzt hab ich die Zahl verdoppelt.“ Eine Antwort war dies auf Berndts Feststellung, dass die Art, wie wir unseren Lebensumständen begegnen, auch Auswirkungen auf die Lebensdauer haben kann.
Der Nachmittag des Kongresses war der Anwendung des am Vormittag gehörten gewidmet, es ging in sieben Workshops und einem Gesundheitsforum um praktische Felder der Selbsthilfe. Es gab auch die Gelegenheit, den politischen Vertretern zu sagen, welche Unterstützung die Selbsthilfegruppen sich wünschen, welche Forderungen sie haben.
Knapp zwei Stunden standen vier Landtagsabgeordnete den Teilnehmern Rede und Antwort. Es waren dies Kerstin Celina (Grüne), Bernhard Seidenrath (CSU), Gabi Schmidt (Freie Wähler, Ehrenamtsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung) sowie Thomas Zöller (Freie Wähler, Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung).
Johannes Thomae