Rosenheim/Wasserburg – Was geschah zwischen November 2020 und 2023 in der Geburtsklinik des Romed-Klinikums Wasserburg? Der Klärung dieser Frage widmet sich die Staatsanwaltschaft in Traunstein. Sie ermittelt gegen die damalige Chefärztin der Geburtsklinik wegen fahrlässiger Tötung in einem und fahrlässiger Körperverletzung in elf Fällen. Man steht noch ganz am Anfang. Mit einem Abschluss der Nachforschungen wird erst in Monaten zu rechnen sein. Auch wegen des Umfangs des sichergestellten Materials: Bei der Durchsuchung zweier Romed-Standorte nahm die Polizei unter anderem 200 Patientenakten mit.
Interne Aufarbeitung mangelhaft?
Die interne Aufarbeitung der Angelegenheit scheint derlei Sorgfalt vermissen zu lassen. Zwar war der Aufsichtsrat über die schlechten Nachrichten aus Wasserburg besorgt. So besorgt sogar, dass man sich 2023 in einer Sitzung auf die Erstellung eines Gutachtens einigte. Doch wirft ein Jahr später das Gutachten immer neue Fragen auf. Ebenso, wie sich der Romed-Aufsichtsrat dazu verhielt.
Laut Auskunft von Romed gab das Gutachten der damalige Romed-Geschäftsführer Dr. Jens Deerberg-Wittram selbst in Auftrag. Und zwar bei einem Gynäkologie-Chefarzt. Das Gutachten fiel nach OVB-Informationen sehr kurz aus. Und gibt offenbar keine Antworten. Zumindest wohl nicht auf die Frage, die der Staatsanwaltschaft gerade so viel Ermittlungsarbeit macht: Trug die frühere Chefärztin Verantwortung für schwere medizinische Fehler?
Abuzar Erdogan, Fraktionschef der SPD im Rosenheimer Stadtrat, hat die Romed-Turbulenzen zu seiner Herzensangelegenheit gemacht. „Es geht um ein totes Kind“, sagt er. Um Sicherheit der Patienten. Und um das enorme wirtschaftliche Gewicht des Romed-Konzerns für die Region. Er hat das ominöse Gutachten gelesen. „Ein Kurzgutachten“, sagt er. „Jeder Fall wurde im Gutachten so behandelt, dass der Ankunftszeitpunkt der Mutter auf der Station festgehalten wurde und dazu, welche Beschwerden sie äußert“, sagt Erdogan auf Anfragen des OVB.
Weiter werde beschrieben, wie verfahren wurde. Und Daten des Kindes wurden festgehalten. „Der Gutachter stellte dann in etwa zwei Zeilen fest, ob bei dieser Sachlage eine leitliniengerechte Entbindung in einer Geburtsklinik des Levels 4 möglich ist oder nicht.“
War die Untersuchung gründlich genug?
Lediglich in zwei Fällen habe der Gutachter eine Entbindung in einer Geburtsklinik ohne angeschlossene Kinderklinik als kritisch beurteilt. Auf diese Art und Weise wurden nur sieben Fälle vorgestellt, wohingegen die Staatsanwaltschaft insgesamt zwölf Fälle untersucht. Der am schwersten wiegende Vorfall, der Tod eines Kindes bei einer Entbindung, tauche in der Untersuchung offenbar gar nicht auf, sagt Erdogan.
Zum Vergleich das Vorgehen in einem tragischen Fall. 2005 – lange vor der Gründung des Romed-Verbunds – war eine Frau aus der Gemeinde Emmering bei der Geburt ihres Sohnes verblutet, weil zwei Ärzte und eine Hebamme im Krankenhaus in Bad Aibling falsch reagiert hatten. Nach zwei Notoperationen und einer Verlegung in das Krankenhaus Rosenheim starb sie. Im Zivilprozess vor dem Landgericht Traunstein wurde der Fall untersucht. Der Vorsitzende Richter hatte dazu einen Chefarzt aus Unterfranken mit einem Gutachten beauftragt. Und der ging gründlich zur Sache – auf 60 Seiten.
Für die frühere Chefärztin der Geburtsklinik in Wasserburg gilt die Unschuldsvermutung, hält Erdogan fest. Geklärt haben will er aber, warum der Aufsichtsrat keinen Anstoß am Gutachten und seiner offensichtlichen Themaverfehlung nahm, ja nicht mal nach dem Original fragte. Man begnügte sich, wie mehrere Aufsichtsräte einräumten, mit einer mündlichen Zusammenfassung des Geschäftsführers. Nach dem Motto: „Das passt schon alles.“
„Ich hätte mir erwartet, dass man verspricht, keinen Stein auf dem andern zu lassen und mit einem umfassenden medizinischen Gutachten zu hinterfragen, ob es sich hier um Behandlungsfehler gehandelt hat“, sagt Erdogan. „Das ist bislang nicht passiert.“ Die Nachforschungen der Behörden dienten eher als Begründung, warum man nichts tue und abwarte.
Träger halten sich mit Auskünften zurück
Träger von Romed sind der Landkreis und die kreisfreie Stadt Rosenheim. Im Aufsichtsrat sitzen je zehn Mitglieder des Kreistags und des Stadtrats. Den Vorsitz führt aktuell Landrat Otto Lederer (CSU). Im Vorjahr, als sich die Krise in Wasserburg verschärfte, hatte Oberbürgermeister Andreas März (CSU) den Vorsitz inne. Die beiden Träger und Romed antworten auf Anfragen des OVB gemeinsam und erneut sparsam: Die Begutachtung sei extern und unabhängig erfolgt. Alle Unterlagen in der Angelegenheit seien nunmehr Gegenstand der staatsanwaltlichen Ermittlungen, Auskünfte dazu seien allein der Staatsanwaltschaft vorbehalten.
„Es ist aber nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob es in irgendeiner Form ein Organisationsversagen gegeben hat, das man abstellen muss“, beharrt Erdogan und fordert weiter Aufklärung. Auch dazu, warum die mit großem Auftritt im November 2020 begrüßte Gynäkologie-Chefärztin von Wasserburg schließlich ohne großes Aufsehen im April 2023 verabschiedet wurde. Auch der Hintergrund ihrer Versetzung nach Rosenheim und der anschließende Abfindungsvertrag müssen geklärt werden, sagt der Fraktionschef: „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was da genau passiert ist.“