Rosenheim – Die Unterbringung von Geflüchteten ist eine immense Herausforderung für ganz Deutschland. Auch die Kommunen im Landkreis Rosenheim stellt diese Aufgabe vor große Schwierigkeiten. Mehrere Gemeinden im Landkreis Rosenheim, darunter Rott, Stephanskirchen, Feldkirchen-Westerham und Riedering, haben bereits Klage gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft eingereicht oder schließen dieses Vorgehen nicht aus – und das aus vielfachen Gründen.
Feldkirchen-
Westerham
In Feldkirchen-Westerham hat die Gemeinde im Juli einen Rechtsanwalt eingeschaltet, um gegen die vom Bauherrn angestrebte Nutzungsdauer einer Flüchtlingsunterkunft von elf Jahren zu klagen. Die Kommune fühlte sich in ihrer Planungshoheit „zu stark eingeschränkt“.
Stephanskirchen
Wie in Feldkirchen-Westerham, kommt es auch in der Gemeinde Stephanskirchen zur Klage. In Stephanskirchen will das Landratsamt eine Flüchtlingsunterkunft für 101 Menschen in einem Gewerbegebiet einrichten. In der Klage der Gemeindeverwaltung geht es jedoch nicht um die Nutzungsdauer, sondern um die Planungs- und Gestaltungshoheit, die die Gemeinde behalten möchte. Das bestätigt das Landratsamt Rosenheim auf Anfrage: „Bislang haben zwei Gemeinden, nämlich Feldkirchen-Westerham und Stephanskirchen, Klage eingereicht. Gegenstand ist die Überprüfung der erteilten Baugenehmigungen“, so Pressesprecher Michael Fischer.
Riedering
Auch in Riedering könnte es zu rechtlichen Schritten gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft kommen. Nachdem der Gemeinderat im Mai der Umnutzung einer alten Klinik in eine Herberge für rund 50 Geflüchtete zugestimmt hatte, wurde in der Sitzung im August ein Containerbau für weitere 100 Flüchtlinge abgelehnt. Das Landratsamt könnte die Kommune jedoch überstimmen und die Genehmigung trotzdem erteilen.
Rott
In Rott ist eine Erstaufnahmeeinrichtung für rund 300 Flüchtlinge geplant. Großer Streitpunkt: Die Halle, in der die Menschen unterkommen sollen, befindet sich in einem Gewerbegebiet. Laut der Kommune ist das Areal deswegen ungeeignet für eine „menschenwürdige Unterbringung“. Zudem sieht die Gemeinde durch die Flüchtlingsunterkunft das Geschäftstreiben der bereits ansässigen Unternehmen in Gefahr. Des Weiteren befürchtet die Kommune eine Überlastung des Trinkwassernetzes, der Abwasserversorgung und es gibt Bedenken wegen einer möglichen Quecksilber-Belastung der Halle. Derzeit liegt auf dem Bebauungsplan des Gewerbegebiets eine Veränderungssperre, die Verhandlungen mit dem Landratsamt ruhen. Eine Klage gegen die Pläne des Landratsamts und der Regierung von Oberbayern schließt die Kommune nicht aus, sie hat bereits einen Rechtsanwalt eingeschaltet.
Es gibt also unterschiedliche Aspekte, weswegen die Kommunen gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft Klage eingereicht haben, beziehungsweise einreichen könnten. Doch wie erfolgversprechend sind diese? Friederike Simons, Fachanwältin für Verwaltungsrecht und Mitglied beim Anwaltverein Rosenheim e.V., ordnet die Sachlage im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen ein.
Frau Simons, was versteht man unter Planungs- und Gestaltungshoheit einer Kommune?
Im Grundgesetz ist die kommunale Selbstverwaltungs-Garantie festgelegt. Sie lautet: ‚Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.‘ Es besteht allgemeiner Konsens darüber, dass zu diesen Angelegenheiten auch die sogenannte ‚Planungshoheit‘ zählt. Darunter versteht man sehr allgemein die Befugnis, voraussehbare Entwicklungen längerfristig zu steuern, insbesondere für das eigene Gemeindegebiet die Bodennutzung festzulegen. Damit ist also gemeint, dass die Kommune die bauliche Nutzung der Grundstücke regelt.
Wann wird die Planungs- und Gestaltungshoheit einer Kommune eingeschränkt? Unter welchen Voraussetzungen ist es rechtlich zulässig, diese zu beschränken?
„Streng genommen wird die kommunale Selbstverwaltung im Hinblick auf das Städtebaurecht permanent beeinträchtigt, beispielsweise durch belastende Regelungen oder Entscheidungen Träger öffentlicher Gewalt. Ein Beispiel: Der Bund zwingt die Gemeinde durch die Gesetzgebung dazu, die Bauleitplanung in Form von Satzungen zu betreiben (Bebauungs- oder Flächennutzungsplan). Ein einfacher Gemeinderatsbeschluss reicht hierfür nicht. Und die Paragrafen (30 ff BauGB) regeln die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Baugenehmigung zu erteilen ist. Die Gemeinde selbst kann die Kriterien dafür nicht festlegen. Auch kann das Landratsamt das Einvernehmen der Kommune ersetzen, wenn es der Meinung ist, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung vorliegen – auch wenn dies von der Gemeinde anders bewertet wird.
All diese Eingriffe sind aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt, also rechtens, weil im Grundgesetz mit der Formulierung ‚im Rahmen der Gesetze‘ klar festgelegt ist, dass die kommunale Selbstverwaltungs-Garantie eben nur im Rahmen der Gesetze gewährt wird. Es ist grundsätzlich zulässig, durch den Erlass von Rechtsakten in diese einzugreifen.
Es lässt sich also nicht allgemein beantworten, unter welchen Voraussetzungen eine Beschränkung rechtlich zulässig ist. Es ist eine Frage der konkreten Verhältnismäßigkeit. Beispielsweise könnte man sehr allgemein nur sagen, dass eine Vorschrift dann verfassungswidrig ist, wenn sie die Planungshoheit der Kommune faktisch aushöhlt, sie also (fast) gänzlich vernichtet. Ist der Eingriff im Ergebnis unverhältnismäßig, ist die Kommune in ihrem Grundrecht verletzt. Der Eingriff ist verfassungswidrig.“
Ist das Vorgehen der Kommunen, Klage einzureichen, eine Verzögerungstaktik?
„Es gibt eine ganze Vielzahl von unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, auf die die baurechtliche Zulässigkeit von Flüchtlingsunterkünften gestützt werden kann. Für die Kommune gibt es deshalb besondere Beteiligungsformen (Anhörung, Einvernehmen) und rüge-fähige Aspekte.
Liegen plausible Tatsachen vor, die im konkreten Fall Zweifel an der rechtmäßigen Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft aufkommen lassen, wird ein Anwalt der Kommune zur Klage gegen die Baugenehmigung raten. Und auch wenn die Kommunen nur noch ‚angehört‘ werden müssen, muss man sich mit ihren Einwänden auseinandersetzen – automatisch vom Tisch wischen, sie vollständig willkürlich überstimmen, kann man sie nicht.
Ich bin mit den genannten Fällen – beispielsweise Rott, Stephanskirchen, Riedering oder Feldkirchen-Westerham – juristisch nicht befasst. Ich kann die kommunalen Diskussionen und Bedenken um eine etwaige Klage aber sehr gut nachvollziehen. Den Gemeinden eine reine Verzögerungstaktik vorzuwerfen, halte ich für unangebracht.“
Der Paragraf 246, Absatz 14, im Baugesetzbuch sieht vor, dass von Vorschriften abgewichen werden kann, wenn dies zur Errichtung von dringend benötigten Unterkünften für Flüchtlinge dient. Möglich seien dann Abweichungen vom Bauplanungsrecht. Wie stehen die Chancen für eine Kommune, erfolgreich gegen den Paragrafen 246, Absatz 14, Baugesetzbuch, zu klagen?
„Sinn des Paragrafen 246 im Baugesetzbuch ist es natürlich, Einwände gegen das Vorhaben auszuschließen, das kann aber schon aus Verfassungsgründen nicht unbeschränkt gelten. In vielen Fällen wird die Vorschrift schon gar nicht zur Anwendung gelangen. Wenn sie allerdings einschlägig ist, sind Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen man zur Klage raten würde. Das sind also Fälle, in denen die Kommune nicht ‚überstimmt‘ werden kann. Dabei ist es auch gar nicht zwingend erforderlich, die Norm für verfassungswidrig zu halten: Gerichte müssen nämlich bei Anwendung der Gesetze eine Auslegung wählen, die verfassungskonform ist. Um die Planungshoheit der Gemeinden nicht auszuhöhlen, muss der Vortrag der Kommune im Rahmen der Anhörung gewichtet und bewertet und in Relation zu dem Interesse an der Errichtung der Flüchtlingsunterkunft gesetzt werden. Das ist alles natürlich ein sehr ‚schwammiger‘ Vorgang, der im Ergebnis weder vom beratenden Anwalt, noch von der Gemeinde sicher vorhergesagt werden kann.
Fest steht: Pauschal zu sagen, die Klage sei auch im Rahmen des Paragrafen 246 des Baugesetzbuchs von vornherein sinnlos, verbietet sich allein schon aufgrund der Vielzahl von Absätzen und Fallgestaltungen.“ Interview: Anja Leitner