Zur Person

Prävention gegen Demenz schon ab 40

von Redaktion

Im Alter an Demenz erkranken: ein erschreckendes Szenario. Doch wir können vorbeugen, am besten schon ab einem Alter von 40 Jahren, rät Professorin Dr. Janine Diehl-Schmid. Die Chefärztin am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg über Fitness-Programme für das Gehirn und erstaunliche neue Erkenntnisse.

Wasserburg – Eigentlich beginne die Prävention gegen die Altersdemenz bereits in der Kindheit, sagt Professorin Dr. Janine Diehl-Schmid. Denn: Das Gehirn sei ein Organ, das wie die Bein- und Armmuskulatur trainiert werden könne. Am besten „füttere“ man das Gehirn mit Wissen. „Bildung ist das A und O, die Weichen für ein aktives Gehirn fürs Alter werden deshalb schon in frühen Jahren gestellt“, sagt die Chefärztin im Zentrum für Altersmedizin am kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg. Die Demenz-Expertin hat über 185 wissenschaftliche Publikationen zum Thema veröffentlicht, forscht seit Jahren über Demenz. Diehl-Schmid wird nicht müde, zu betonen: „Prävention wirkt wirklich.“ Und diese sollte schon im Alter von 40 bis 50 Jahren beginnen.

Kapazitäten

zur Reserve

In dieser mittleren Lebensphase könnten Menschen viel dafür tun, ihr Gehirn fit zu halten. Es gelte, Reservekapazitäten aufzubauen, um eine mögliche Altersdemenz möglichst lange herauszuschieben. „Dann erkranken wir nicht mit 78, sondern vielleicht erst mit 88“, nennt sie als Beispiel. Tatsache ist leider: Jeder Zweite über 90 leidet an Demenz. Dazu fasst die Medizin laut Diehl-Schmid Erkrankungen zusammen, die zu einem Nachlassen der geistigen Fähigkeiten führen, die so ausgeprägt sind, dass die Betroffenen in ihrem Alltag ohne Unterstützung nicht mehr zurechtkommen. Die häufigste Ursache für Demenz sei die Alzheimer-Erkrankung, bei der sich im Gehirn bestimmte Proteine, die Amyloid-Plaques, ablagern würden. Nervenzellen sterben ab, das Hirn schrumpft, erklärt die Chefärztin. Diese Eiweißablagerungen beginnen schon etwa 20 Jahre vor dem Auftreten der ersten Symptome. Die Alzheimer-Demenz entwickelt sich demnach sehr langsam, quasi schleichend – ein Prozess, der schon in Gang geraten ist, wenn die späteren Betroffenen noch mitten im Leben stehen und gar nichts merken, betont die Expertin.

Die Diagnose Demenz erfolge erst dann, wenn das tägliche Leben beeinträchtigt sei, so Diehl-Schmid. Symptome seien unter anderem Vergesslichkeit, Sprachprobleme, Orientierungslosigkeit und der Verlust praktischer Fähigkeiten sowie Verhaltensauffälligkeiten. Die Expertin nennt Beispiele „Wenn jemand immer sehr fit war im Umgang mit technischen Geräten und auf einmal damit nicht mehr zurechtkommt. Oder wenn die Mama den perfekten Schweinebraten machen konnte und sich plötzlich überhaupt nicht mehr an das Rezept erinnern kann.“ Vergesslichkeit ist nicht immer gleich Demenz, betont sie jedoch mit Nachdruck: „Im Alter dürfen wir ein bisschen schusseliger werden. Das ist ein normaler Vorgang.“

Nur vergesslich
oder dement?

Die Gedächtnissprechstunde im Inn-Salzach-Klinikum helfe bei der Einordnung der Frage: „Nur vergesslich oder dement?“

Letzterem kann schon mit 40 vorgebeugt werden? Das klingt anstrengend. Ist es aber nicht, sagt Diehl-Schmid. Denn es gebe eine einfache Formel für eine erfolgreiche Prävention: eine gesunde Lebensweise. Sie werde seit Jahren empfohlen, um Herz sowie Kreislauf fit zu halten und Krebs vorzubeugen. Und sie gelte auch bei der Prävention gegen Demenz. Außerdem gibt es nach Angaben der Chefärztin noch weitere Faktoren, die die Erkrankung des Gehirns befeuern und auf die wir Einfluss haben.

Generell gehe es darum, die Gefäße durchlässig zu halten. Deshalb müsse der Blutdruck kontrolliert und bei Bedarf eingestellt werden. Wichtig sei es, Diabetes Typ II vorzubeugen. Blutzucker- und Cholesterinwerte sollten im Normalbereich bleiben. Deshalb sei Übergewicht zu vermeiden, am besten durch gesunde Ernährung nach den Prinzipien der Mittelmeer-Diät, die eigentlich gar keine sei, weil es nicht um Verzicht gehe, sondern um ausgewogenes Essen ohne viel Zucker und ungesunde Fette.

Auch Bewegung sei für die Hirngesundheit wichtig, Sport quasi ein Kern der Prävention. Dass Rauchen für die Gefäße extrem schädlich sei, verstehe sich von selbst.

Eine ganz neue Erkenntnis der Forschung ist die Bedeutung des Schlafes, berichtet die Chefärztin im Zentrum für Altersmedizin in Gabersee. Ausreichender und guter Schlaf gelte als „Abräumsystem“ für die gefährlichen Protein-Ablagerungen. Als Risikofaktor sei außerdem nach neuesten Forschungen die Luftverschmutzung erkannt worden: Feinstaub fördere vermutlich die Plaque-Entstehung.

Die Gehirn-Fitness gefährden laut Diehl-Schmid außerdem Schwerhörigkeit und Sehschwäche. Sie erklärt die Auswirkungen so: Wer schlecht hört und sieht, dessen Hirn bekommt weniger Input und fährt deshalb quasi auf Sparflamme. Das Gehirn verliere die Leistungsfähigkeit. Zum Vergleich: Wer sich wenig bewegt, dessen Muskeln verlieren an Kraft und erschlaffen. Die Beweglichkeit schwindet. „So ist es auch beim Gehirn.“

Wer im mittleren Alter an Depression erkrankt, hat nach Angaben von Diehl-Schmid ebenfalls ein erhöhtes Risiko, im Alter an Demenz zu leiden. Gefährlich könnten außerdem Schädel-Hirn-Traumata sein, also beispielsweise eine Gehirnerschütterung. Sie könnte Nervenzellen schädigen, die Protein-Ablagerungen fördern. Auch deshalb rücke derzeit die Frage in den Fokus, ob der Kopfball beim Fußball eine spätere Demenz befeuern könne. Auffallend viele Profisportler würden im Alter erkranken.

Apropos Alter: „Das ist natürlich der Risikofaktor Nummer eins“, sagt die Chefärztin. Und ja, auf diesen Faktor habe der Mensch keinen Einfluss. Trotzdem: Es gehe darum, eine mögliche demenzielle Erkrankung möglichst lange herauszuschieben. Diehl-Schmid ist diesbezüglich voller Hoffnung: Denn derzeit werde eine Generation älter, die viel gesundheitsbewusster als früher lebe – auch dank Aufklärung und Präventionsbewusstsein. „75-Jährige, die mit dem Mountainbike in die Berge fahren, das gab es früher nicht so oft wie heute.“

Gefahrenpunkt
Digitalisierung

Doch es gibt einen möglichen neuen Gefahrenpunkt: die Digitalisierung. Niemand müsse sich mehr Telefonnummern merken, sich bei der Suche nach einem Ziel mit dem Auto per Karte orientieren. Dieses Training fürs Gehirn falle weg. Deshalb sei es heutzutage umso wichtiger, sich geistig zu betätigen. Die Klassiker, das Kreuzworträtseln oder Sudokos, können helfen, fit zu bleiben, rät die Expertin. Noch besser wirke die geistige Anstrengung im Austausch mit anderen, im Lesekreis oder bei der Schafkopfrunde. Sie weist auf einen Faktor hin, der ebenfalls nicht zu beeinflussen ist: Es gebe auch eine genetische Komponente, die Alzheimer-Demenzen auslösen könnte. Bis heute gibt es zu ihrem Bedauern außerdem noch keine Medikamente, die die Erkrankung stoppen oder wenigstens aufhalten. Die Antikörperforschung verzeichne zwar erste Erfolge, in den USA seien drei Antikörper-Arzneimittel zugelassen. „Ein Silberstreifen am Horizont, mehr nicht“, sagt sie, denn Wirkung und Nebenwirkung seien noch nicht in der Balance, um von einem großen Durchbruch zu sprechen.

Blick auf die Einrichtung

Dritter Wasserburger Demenznachmittag:

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