Bad Aibling – 66 Hektar groß ist das Areal in Mietraching, das eine bewegte Geschichte hat. Im Jahr 1936 wurden darauf militärische Anlagen errichtet, die zunächst der Ausbildung von Wehrmachtssoldaten dienten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Areal als Kriegsgefangenenlager und Auffanglager für Waisenkinder genutzt. Ab 1952 beherbergte es die US-Armee, ab 1972 die NSA (National Security Agency). Nach dem Abzug der Amerikaner im Jahr 2003 übernahm die B&O-Gruppe unter B&O-Gründungsgesellschafter Dr. Ernst Böhm das Areal 2005 von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA).
Ein „Reallabor“ zum
Experimentieren
Auf dem Areal wurde in der Folge der Grundstein für Wohn-, Arbeits- und Lernviertel, Forschungsgelände und „Reallabor“ gelegt. Es gilt heute bundesweit als einmaliges Experimentiergelände, auf dem B&O Bau in Forschung investiert, neue Bauweisen auf Praxistauglichkeit testet und Konzepte erprobt, die Bauen mit ökologischem und sozialem Handeln in Einklang bringen.
„Das hier ist ein Macher-Ort. Es ist sehr ungewöhnlich für Bauherrn oder Unternehmen, so etwas wie dieses Projekt hier zu entwickeln“, zeigt sich die Architekturhistorikerin Dr. Hilde Strobl begeistert. Sie hat sich voller Elan der Kuratierung der spannenden Ausstellung „Baukultur und Forschungsbauten in Bad Aibling“ gewidmet, die jetzt im Rahmen der 4. Bad Aiblinger Baukulturtage eröffnet wurde.
„Die Geschichte des Geländes ist sehr spannend zu recherchieren“, betont die Expertin und hebt besonders den Historischen Verein Bad Aibling und Umgebung hervor, der hier „großartige Arbeit“ leiste. Für die Ausstellung habe sie „kurz und knackig zusammengefasst, was andere mit großem Aufwand recherchiert haben, damit es auch Öffentlichkeit findet bei denen, die vielleicht ursprünglich wegen etwas anderem herkommen.“
Attraktive Formen
auch für Heizwerke
Die Historikerin ist beeindruckt von den Projekten, die auf dem Areal schon zu einer Zeit umgesetzt wurden, in der Nachhaltigkeit noch gar nicht allerorten oberstes Gebot gewesen sei, sondern vielmehr wirtschaftliche, finanzielle Aspekte. „Nicht für viel Geld Altes abreißen, sondern einfache Nutzungen und kostensparenderes Bauen waren und sind angesagt.“ B&O reagiere auf Bedarfe vor Ort, nutze vorhandene Infrastrukturen, entwickle Konzepte der Energieversorgung und stelle deren Bauwerke nicht an den Rand, sondern mitten ins Gelände, gebe ihnen attraktive Formen, wie bei dem neuesten Heizwerk, das Professor Amandus Samsøe Sattler der Fachwelt erklärte.
„Man muss erst einmal den Mut habe, so eine Konversionsfläche von über 66 Hektar – größer als die Aiblinger Innenstadt – mit einer solchen Vision zu entwickeln. Das ist schon etwas Einzigartiges. Die meisten Kommunen übernehmen solche Flächen erst einmal treuhänderisch, nehmen ihre eigene städtische Baugesellschaft, lassen dort einen Teil der Häuser im geförderten Wohnen hinbauen, der Rest wird aufgeteilt und teuer verkauft“, weiß Dr. Strobl aus ihren Erfahrungen. Unter anderem hat sie sich in der Vergangenheit im Auftrag des Staatsministeriums mit 100 Jahren Wohnungsbau in Bayern beschäftigt.
Nachhaltiges Bauen
hautnah erleben
„Mit der Ausstellung schaffen wir einen Ort, an dem Besucher hautnah erleben können, was nachhaltiges und zukunftsorientiertes Bauen bedeutet. Sie bietet nicht nur einen Einblick in unsere Arbeit, sondern dient auch als Plattform für den Austausch über innovative Ideen und die Zukunft der Baukultur“, erklärt Dr. Ernst Böhm, Gründungsgesellschafter der B&O-Gruppe. Die Ausstellung dokumentiert die Geschichte des Geländes und fokussiert anhand zahlreicher Materialien die städtebauliche und architektonische Entwicklung der ehemaligen Militärbrache bis heute. Sie ist in dem neuen klimaneutralen Holz-Bürogebäude der B&O-Service-Gruppe zu finden, in dem seit April 2024 auch die Zentralen Einsatzdienste Rosenheim untergebracht sind. Die Öffnungszeiten sind Montag bis Donnerstag von 8 bis 15 Uhr und Freitag von 8 bis 14 Uhr.
Eröffnet wurde die Ausstellung im Rahmen der 4. Bad Aiblinger Baukulturtage, zu denen sich 150 führende Köpfe aus der Branche trafen. Im Fokus stand das Thema „Anders bauen: Wärmewende und Gebäudetyp-e“ vor dem Hintergrund des Prozesses hin zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung; inklusive Rundgang, auf dem die Forschungsprojekte besichtigt werden konnten.
Im Zuge der Konversion werde auf diesem auch historisch sehr bedeutenden Areal noch vieles passieren, kündigten die Verantwortlichen von B&O an. Man sammle weiterhin Erfahrungen durch die Nutzung auf diesem deutschlandweit einzigartigen Forschungsquartier, biete darüber hinaus Führungen für Stadträte, Schulgruppen und Architekturstudenten an. Zunehmend soll es auch virtuelle Touren und kurze Videos via QR-Code vor den einzelnen Häusern geben.
Bundesbauministerin
Geywitz kommt
Nach der Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer Lydia Haack, die bei den Baukulturtagen unter anderem über „Gebäudetyp-e“ sprach, will Anfang Oktober auch Bundesbauministerin Klara Geywitz einen Abstecher nach Mietraching machen. Nach einer Führung über das Gelände wird sie laut Ankündigung ebenfalls über das Thema „Gebäudetyp-e“ sprechen und an Beispielen, die auf dem Areal bereits existieren, die Gesetzgebungen zu diesem Thema erläutern.
Denn viele der Aspekte, die in die Gesetzgebungen einfließen, seien durch das Areal mitentwickelt worden, unter anderem die Erkenntnisse, die man durch die bewohnten Forschungshäuser – ein Projekt in Zusammenarbeit mit der TU München zum Thema „Einfaches Bauen“ – gewonnen habe und die mittlerweile nicht nur auf dem B&O-Gelände umgesetzt werden. Mit großem Interesse verfolgt werden die Forschungsprojekte auf dem Areal von der gesamten Wohnungsbaubranche, etwa von der Bayernheim GmbH, vertreten durch Geschäftsführer Ralph Büchele. Das Unternehmen des Freistaates Bayern ist einer der größten Bauentwickler für geförderten Wohnbau in Bayern und hat die Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen.