Applaus nach dem Aus

von Redaktion

Grüne der Region zollen der zurückgetretenen Parteispitze Respekt

Berlin/Rosenheim – Sie wollen Verantwortung übernehmen. Nach dem desaströsen Abschneiden bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland tritt die komplette Parteispitze der Grünen zurück. Das gaben die Co-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour am Mittwoch auf einer Pressekonferenz bekannt. Zum Parteitag im November will der gesamte Bundesvorstand das Amt niederlegen. Der Rücktritt sorgt in der Region für gemischte Gefühle.

Für Gisela Sengl, Landesvorsitzende der Grünen in Bayern und im Chiemgau wohnhaft, kommt der Schritt nicht überraschend. Sie findet es „sehr gut“, dass der gesamte Bundesvorstand zurücktritt, wenn man sich schon dazu entscheidet. „Das ist auf alle Fälle ein Zeichen von Geschlossenheit und auch von Wahrnehmen, dass wir wirklich in einer tiefen Krise stecken“, sagt sie auf OVB-Anfrage.

Abwanderung zur
AfD als Warnzeichen

Die Grünen müssten sich nun „sammeln, analysieren und wirklich neue, vielleicht andere Wege einschlagen“. Ein Grund dafür, dass sich die Krise zugespitzt hat, ist für die Landesvorsitzende, dass man in Brandenburg nicht nur starke Einbußen hinnehmen musste, sondern sowohl aus der Regierung als auch aus dem Landtag geflogen ist. Zudem sei es ein Hinweis an die Partei gewesen, dass Wähler „von den Grünen weg zur AfD gewandert“ sind.

Im Gegensatz zu Sengl hat Karl Bär, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Betreuungsabgeordneter für Rosenheim, die Entscheidung überrascht. Bei den ersten Meldungen über den Rücktritt am Mittwochmorgen dachte er zunächst, dass diese „fake“ seien. „Allerdings habe ich sehr großen Respekt davor, dass insbesondere Ricarda Lang und Omid Nouripour die eigenen Ambitionen im Sinne der Partei zurückstellen“, sagt Bär am Telefon. Vor allem, da die beiden über Jahre das Gesicht der Partei waren und „extrem viel Ärger und Anfeindungen auf sich genommen haben“.

Dennoch sei der Rücktritt für Bär auch „ein Punkt der Hoffnung“. „Die Stimmung in unserer Partei muss wieder besser werden“, ist der Abgeordnete überzeugt. Nach den letzten Ergebnissen müsse sich die Partei neu aufstellen und könne nicht einfach so weitermachen wie bisher. Diesen Schritt hätte er jedoch auch Ricarda Lang zugetraut.

Ähnlich sieht das Martina Thalmayr, Sprecherin des Grünen-Kreisverbandes Rosenheim. „Die Konsequenz, die die beiden Vorsitzenden der Grünen ziehen, ist mutig und zum anderen aber auch sehr schade, weil sowohl Ricarda Lang als auch Omid Nouripour inhaltlich einfach sehr gut sind und unseren grünen internen Strukturen gutgetan haben“, sagt sie. Zudem seien beide Politiker „intern sehr beliebt und anerkannt“. Sie finde auf der anderen Seite aber auch, dass der „Negativtrend gegen die Grünen – um es milde auszudrücken – besorgniserregend“ ist. Insofern sei der Wechsel der „grünen Gesichter“ eine Chance, diesen Trend zu durchbrechen, und ein „Signal für einen Neustart“.

Wut über „Fake
News“ und „Bashing“

Lena Koch, Kreisvorsitzende der Grünen in Mühldorf, hält den Rückritt dennoch für „völlig unnötig.“ „Denn wenn nun die Misserfolge bei drei Landtagswahlen als Grund angeführt werden, dann stellt sich schon die Frage: Ist es tatsächlich ein Misserfolg? Oder der Erfolg unserer Kritiker? Oder der Erfolg einer ständigen Kampagne von Fake News und Bashing (herablassende Kritik) gegen uns Grüne?“, sagt sie auf Anfrage. Und vorzeitig aufgeben sei nicht ihr Stil. „Wir haben uns nichts vorzuwerfen, wir geben den rechten Kräften nach“, bedauert sie. Vielmehr sollte man als Partei gerade jetzt Stabilität und Kraft vermitteln. 

Für die stellvertretende Mühldorfer Landrätin und Grünen-Kreisrätin Cathrin Henke ist „jetzt der richtige Zeitpunkt, die Weichen zu stellen“. Sie kreidet dem Bundesvorstand auch an, dass er Grünen-Vertreter in der Bundesregierung nicht besser unterstützt habe. Viel zu zaghaft sei man in der Vergangenheit gewesen, um etwa die Angriffe von CDU und CSU zu kontern. Viel zu wenig habe man den Politik-Stil anderer kritisiert, betont sie.

Beim Kreisverband der Grünen in Altötting überwiegt der Respekt vor der Entscheidung. „Einerseits ist es selten so, dass eine einzelne Person Schuld trägt. Umso respektabler ist es daher, dass der gesamte Vorstand die Verantwortung übernimmt“, sagt Sonja Gross, eine der beiden Vorsitzenden des Kreisverbandes.

Andererseits könnten bei anderen Parteien alle möglichen Skandale und sogar Gerichtsermittlungen auftreten und keiner denke an Rücktritt. „Es zeugt daher von Charakter, so vorzugehen“, sagt sie.

Im Berchtesgadener Land sei der Rücktritt des Bundesvorstandes der Grünen erwartet worden, berichtet Bartl Wimmer, Fraktionssprecher im Kreistag und Mitglied des Marktgemeinderates Berchtesgaden. Er persönlich halte den Rücktritt auch für gerechtfertigt. Ähnlich wie einige seiner Parteikollegen in der Region glaubt er, dass die „Grünen einen echten glaubwürdigen Neustart brauchen, um den mehr denn je drängenden Herausforderungen der Zukunft auch kommunikativ und teilweise auch inhaltlich besser gerecht werden zu können“.

„Initialzündung“ –
aber mit wem?

Auch Ulrike Schweiger, Sprecherin des Grünen-Kreisverbandes aus dem Berchtesgadener Land und künftige Bundestagskandidatin, hofft auf eine „Initialzündung für einen Neustart“. Dennoch hätten Lang und Nouripour gute Arbeit geleistet. „Sie haben Verantwortung gezeigt, davor ziehe ich meinen Hut“, sagt Schweiger. Die Fußstapfen von Robert Habeck und Annalena Baerbock als Bundesvorsitzende seien aber zu groß gewesen.

Wer nun in die Fußstapfen von Lang und Nouripour treten wird – darüber wollte keiner der Grünen-Politiker spekulieren.

Artikel 2 von 11