Welche Rechte Patienten haben

von Redaktion

Interview Medizin-Anwältin über Schmerzensgeld und Schadensersatz bei Geburtshilfe

Wasserburg/München – Mutmaßliche Behandlungsfehler von Ärzten haben in der Regel zwei unterschiedliche juristische Aspekte: Zivilrechtlich geht es um Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Patienten oder seiner Angehörigen. Mutmaßliche „Kunstfehler“ können aber auch strafrechtliche Folgen haben. So derzeit im Fall einer Ex-Romed-Chefärztin, gegen die die Staatsanwaltschaft Traunstein wegen fahrlässiger Tötung in einem und fahrlässiger Körperverletzung in elf Fällen ermittelt. Ob es tatsächlich zur Anklage kommt, steht noch lange nicht fest. Denn es werden 200 Patientenakten durchforscht, die Staatsanwaltschaft geht von langwierigen Ermittlungen aus. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung.

Doch die Ermittlungen haben ein Thema in den Fokus gerückt, das viele in diesem Zusammenhang umtreibt: Welche Rechte haben Patienten? Was tun, wenn der Verdacht im Raum steht, einen möglichen Behandlungsfehler erlitten zu haben? Dies ist ein zivilrechtliches Thema. Anwältinnen wie Mechthild Kathke-Brech (61) haben sich auf die Vertretung von Patienten-Rechten spezialisiert. Die Münchenerin, Mitglied der Rechtsanwaltskammer München, erläutert im Interview die zivilrechtlichen Fragen rund um sogenannte „Kunstfehler“.

Sie sind als Anwältin für Medizinrecht beruflich tagtäglich mit Patientenschicksalen konfrontiert, bei denen die Frage möglicher Behandlungsfehler im Raum steht. Was sind die häufigsten Gründe, die Patienten oder ihre Angehörigen bewegen, behandelnde Ärzte beziehungsweise Ärztinnen oder Kliniken zu verklagen?

In der Tat bekomme ich täglich neue Anrufe und E-Mails von Patienten, bei denen es um die Frage eines möglichen Aufklärungs- oder Behandlungsfehlers geht, auch im zahnmedizinischen Bereich. In den meisten Fällen haben die Patienten bleibende körperliche Schäden nach einer Operation erlitten. Teilweise sind die Beeinträchtigungen so stark, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Wenn es um Kinder geht, wie zum Beispiel bei Geburtsschäden, ist es oft nicht möglich, dass die Kinder überhaupt eine Ausbildung machen oder studieren können. Gemeinsam ist in diesen Fällen, dass die Patienten Schadensersatz und Schmerzensgeld möchten, also eine finanzielle Entschädigung für die Folgen der Falschbehandlung. Manche Ratsuchenden möchten aber auch einfach nur eine Entschuldigung des behandelnden Arztes beziehungsweise der behandelnden Ärztin, des Krankenhauses oder der Pflegekräfte.

Als emotional besonders schmerzlich gelten mögliche Behandlungsfehler in der Geburtshilfe, die oft nicht mehr gutzumachen sind. Kinder können für ihr Leben lang schwer beeinträchtigt werden. Komplikationen sind trotzdem oft schicksalshafte Entwicklungen während der Geburt. Wie kann festgestellt werden, dass Fehlentscheidungen von Ärzten, Hebammen oder Kliniken ursächlich sind?

Ärzte, Hebammen oder Kliniken haften grundsätzlich nur, wenn ein Aufklärungs- oder Behandlungsfehler vorliegt. Sollte eine Aufklärung oder Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards erfolgt sein, liegt kein fehlerhaftes Verhalten vor. Die Feststellung, ob und gegebenenfalls von welcher der handelnden Personen, also Ärzten, Hebammen oder Krankenhaus, ein Fehler begangen wurde, kann nur durch einen Gutachter geklärt werden. Eine Klinik handelt zwar nicht selbst, aber die Klinikleitung muss ihre Mitarbeiter so auswählen, dass sie über die erforderliche Expertise verfügen und sie auch überwachen. Wenn eine Klinik dieser Verpflichtung nicht nachkommt, kann auch sie ein Verschulden treffen. Dann ist sie im rechtlichen Sinne als handelnde Person anzusehen. Der Gutachter muss ebenfalls über die erforderliche Expertise verfügen. Also bei einem Geburtsschaden muss es ein Gynäkologe sein. Um die Auswirkungen der Gesundheitsbeeinträchtigungen abklären zu können, ist es gegebenenfalls nötig, noch weitere Gutachten in Auftrag zu geben, wie zum Beispiel bei einem Kinderarzt.

Schadensersatz oder Schmerzensgeld bringen die Gesundheit nicht zurück, warum ist eine finanzielle Leistung trotzdem so wichtig?

Bei einer finanziellen Leistung nach einem Behandlungsfehler muss man unterscheiden. Schadensersatz soll den Vermögensschaden ersetzen. Dazu zählen zum Beispiel die Kosten für weitere erforderliche Arztbesuche oder Operationen, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden oder auch Taxikosten naher Familienangehöriger, wenn der Klinikaufenthalt wegen des Behandlungsfehlers länger als geplant war. Sollten die betroffenen Patienten wegen der Folgen des möglichen Behandlungsfehlers nicht mehr in der Lage sein, ihren Haushalt allein zu führen oder ihrer vor der Operation ausgeübten Berufstätigkeit nachzugehen, werden die behandelnden Ärztinnen und Ärzte beziehungsweise Kliniken oder Pflegekräfte zusätzlich wegen eines Haushaltsführungsschadens oder Berufsausfallschadens verklagt. Auch erforderliche Umbaumaßnahmen sind Teil des Schadensersatzes. Diese können sehr teuer sein, wie etwa der behindertengerechte Umbau des Bades, des Hauses oder des Autos. Im Gegensatz dazu soll Schmerzensgeld den von einem Behandlungsfehler betroffenen Patienten den erlittenen immateriellen Schaden angemessen ausgleichen. Es hat nach der Rechtsprechung eine doppelte Funktion. Es soll sowohl ein Ausgleich für die erlittenen Schmerzen und Leiden sein. Das Schmerzensgeld soll sie in die Lage versetzen, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, die die erlittenen Beeinträchtigungen jedenfalls teilweise ausgleichen. Zugleich soll es den betroffenen Patienten eine Genugtuung für das verschaffen, was ihnen angetan wurde.

Wenn ein Bäcker sein Brot versalzt, schmeckt es schlecht, ein Fehler, der ärgerlich ist, aber ungefährlich. Wenn Ärzte eine mutmaßlich falsche Diagnose stellen oder eine angeblich falsche medizinische Entscheidung treffen, kann dies sogar tödliche Folgen haben. Stehen Mediziner deshalb schnell mit einem Fuß vor Gericht? Wie reagiert die Rechtsprechung auf dieses Dilemma?

Wenn ein Bäcker sein Brot versalzt, wird man das nächste Mal bei einem anderen Bäcker einkaufen gehen. Bei einem Behandlungsfehler ist es nicht immer möglich, dass man den Arzt wechselt, gerade am Land bei einer ärztlichen Unterversorgung. Dies mag einer der Gründe sein, warum viele von einem Aufklärungs- oder Behandlungsfehler betroffene Patienten sich scheuen, zivilrechtlich gegen ihre Ärzte vorzugehen. Daneben gibt es eine Vielzahl anderer Gründe, wie zum Beispiel die hohen Kosten, warum Betroffene bei einem Aufklärungs- oder Behandlungsfehler nichts unternehmen. Man kann also nicht sagen, dass Mediziner schnell mit einem Fuß vor Gericht stehen.

Lässt sich grundsätzlich feststellen, wann ein Behandlungsfehler vorliegt?

Ob ein Behandlungsfehler vorliegt, lässt sich im Einzelfall nur durch ein Sachverständigen-Gutachten klären. Dafür ist es erforderlich, dass die Patientenakte der betroffenen Person dem Gutachter vorliegt, damit dieser klären kann, ob die Behandlung gemäß der zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden Facharztstandards erfolgt ist. Eine grundsätzliche Feststellung, losgelöst von der Einzelfallbehandlung, ist nicht möglich.

Was muss geschehen sein, dass ein sogenannter „Kunstfehler“ als solcher anerkannt wird?

Rechtlich gesehen liegt ein grober Behandlungsfehler vor, wenn ein Gutachter dies festgestellt hat. Sollte es, wie es häufig im Zivilrecht vor Gericht ist, noch ein weiteres Gutachten geben, das von der Kläger- oder Beklagtenseite privat in Auftrag gegeben wurde und zu einem anderen Ergebnis kommt, muss sich der gerichtlich bestellte Gutachter mit diesem inhaltlich auseinandergesetzt haben und begründen, warum er gegebenenfalls zu einem anderen Ergebnis kommt.

Wie werden Schmerzensgeld und Schadensersatz berechnet?

Die Berechnung von Schadensersatz und Schmerzensgeld erfolgt nach unterschiedlichen Gesichtspunkten. Da Schadensersatz erlittene oder noch zu erwartende Vermögensschäden ausgleicht, werden die bereits bekannten Vermögensschäden anhand von Rechnungen nachgewiesen. Haushaltsführungsschaden und Verdienstausfallschaden können fiktiv berechnet werden. Das heißt: ohne Nachweis der tatsächlichen Höhe. Insbesondere bei Geburtsschäden wäre das auch nicht möglich, da die Betroffenen noch zu jung sind, um schon vorhersagen zu können, wie sie sich entwickeln. Des Weiteren wird, soweit es sich um zukünftige Vermögensschäden handelt, die noch nicht genau bekannt sind, mit dem Schädiger in der Regel ein Vorbehalt vereinbart, dass er gegebenenfalls in der Zukunft aus seinem Behandlungsfehler entstehende Vermögensschäden ersetzen muss. Bei der Berechnung des Schmerzensgeldes werden frühere Gerichtsentscheidungen, die einen vergleichbaren Sachverhalt betreffen, zugrunde gelegt. Die darin genannten Schmerzensgelder werden indexiert, um die Inflation auszugleichen. Das führt leider dazu, dass die Schmerzensgeldbeträge in Deutschland niedrig und meiner Meinung nach nicht mehr geeignet sind, die vom Bundesgerichtshof geforderte Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion zu erfüllen. So war zum Beispiel die Kaufkraft von 10000 Euro vor zehn Jahren eine ganz andere als heute 12000 Euro.

Interview: heike Duczek

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