„Man bleibt in Verbindung“

von Redaktion

Am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 verließ Hanna W. den Club „Eiskeller“ in Aschau. Sie kam nie zu Hause an. Zwei Jahre nach dem Mord, der Aschau und die Region Rosenheim erschütterte, sind die Wunden nicht verheilt. Wie Aschau mit der Tragödie umgeht.

Aschau – Die Zeit heilt Wunden, heißt es. Vielleicht ist in diesem Fall noch nicht genug Zeit vergangen, vielleicht ist die Wunde aber auch zu tief. Oder sie wurde wieder aufgerissen, kürzlich erst, als eine Wochenzeitung über Hanna W. eine Geschichte erzählte, die so wenig zu tun hatte mit der Geschichte, die das Landgericht Traunstein im Laufe eines Marathon-Prozesses rekonstruiert hatte: Dass Sebastian T. in den frühen Morgenstunden des 3. Oktober 2022 Hanna auf ihrem Heimweg vom Club „Eiskeller“ attackierte. Dass Sebastian T. die 23-Jährige erst bewusstlos schlug, bevor er sie dann, wegen seines Verbrechens in Panik geraten, in den Bärbach warf. Die 23-jährige Medizinstudentin ertrank, 20 Tage vor ihrem 24. Geburtstag.

Zwölf Kilometer durch
den reißenden Fluss

Ihr Körper wurde vom reißenden Wasser weitergetragen, zwölf Kilometer weit, die Prien hinunter. Dort, auf Höhe des Weilers Kaltenbach, entdeckte ein Spaziergänger den leblosen Körper, der sich im Wurzelwerk am Ufer verfangen hatte. Stunden später stellten die Rechtsmediziner Spuren eines Gewaltverbrechens fest.

Die neue Geschichte, die aus der Wochenzeitung, liest sich anders. Sie liest sich wie: ein Unfall, passiert nach einer durchfeierten Nacht. Es gibt nach dieser Geschichte keinen Mord. Aber ein zweites Opfer. Sebastian T., den die 1. Jugendkammer des Landgerichts Traunstein wegen Körperverletzung und Mordes an Hanna zu neun Jahren Jugendstrafe verurteilt hat. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht. Über seine Verteidiger beantragte Sebastian T. Revision. Mit einer Entscheidung ist in diesem Jahr nicht mehr zu rechnen. Walter Holderle vertritt als Anwalt der Nebenklage die Eltern Hannas. Er hält Kontakt mit Vater und Mutter, sprach kürzlich mit ihnen. „Mit großer Erschütterung habe ich festgestellt, dass bei den Eheleuten W. in keiner Weise Beruhigung eingetreten ist“, sagt er. Im Gegenteil, die Eltern seien tief getroffen und gar nicht in der Lage, mit irgendjemandem „über diese Sache“ zu sprechen.

Auch sonst will in Aschau niemand darüber Worte verlieren. Trauer ist etwas sehr Privates. Besonders nach dieser Tragödie mitten in Hohenaschau. Der Fall sei vielleicht kein Dauerthema, und er werde auch nicht an den Stammtischen verhandelt, sagt Aschaus Bürgermeister Simon Frank. „Man versucht, den Alltag zu meistern.“ Auch mit seinen Höhepunkten. Wie dem Gautrachtenfest. Es sei ausgelassen gefeiert worden. „Aber – im Hintergrund ist das Thema immer dabei.“ Bei Hannas Beisetzung im Oktober 2022 bat die Familie um Kondolenzspenden. Um Gaben an die Adressen von Bergwacht, Wasserwacht und Feuerwehr. Weil die Familie diesen Institutionen auch eng verbunden ist, wie überhaupt auch vielen Menschen in der Gemeinde. Man kennt sich in Aschau.

Thomas Riepertinger von der Bergwacht Aschau-Samerberg sagt, dass Spenden eingegangen seien. Das Geld verwende man wie stets in solchen Fällen: für Ausrüstung. Und für Ausbildung von Anwärtern. Wie es den Helfern geht, mit diesem Morgen im Oktober 2022? Riepertinger will nichts dazu sagen, „ich bitte um Verständnis“. Höfliches Bedauern auch im Café Pauli, wo Hanna ausgeholfen hat: „Tut uns leid.“ Auch das nähere Umfeld Hannas schweigt vor dem zweiten Todestag. Trauer ist etwas Privates.

Rituale helfen
in der Trauer

Pfarrer Paul Janßen hielt die Trauerfeier in der Pfarrkirche. Nun, zwei Jahre danach, liegen keine Stofftiere mehr auf Hannas Grab. Es ist sehr gepflegt. Aber Janßen weiß, dass Hanna noch in den Gedanken vieler Menschen ist. Er möchte nichts darüber sagen, auch nicht darüber, wie es in ihm aussieht. Sagen möchte er, was vielen Menschen in seiner Gemeinde in Zeiten der Trauer bleibt. „Im stillen Gebet oder in Fürbitten kann man an den Verstorbenen erinnern“, sagt er. So wie es Hannas engste Freundinnen bereits beim Trauergottesdienst gehalten hatten, vor bald zwei Jahren. Paul Janßen glaubt an die Kraft dieses Gebets, denn: „So hält man Verbindung.“

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