Sorgfalt ist Trumpf

von Redaktion

Fall Hanna Über 60 Ordner geliefert – Entscheidung steht aus

Rosenheim – Einige Rosenheimer Beamte hatten in den vergangenen Tagen schwer zu schleppen: Sie trugen Unterlagen aus der Staatsanwaltschaft in den Laderaum eines Transporters, fuhren nach Karlsruhe und luden die Unterlagen beim Generalbundesanwalt (GBA) ab: über 60 Leitz-Ordner in zehn Umzugskisten. Alles zusammengestellt für die Revision im Mordfall Hanna, über die abschließend der Bundesgerichtshof (BGH) – ebenfalls in Karlsruhe – entscheiden muss.

„Wir haben die Unterlagen selbst nach Karlsruhe gebracht, damit auch zuverlässig alles an der richtigen Adresse ankommt“, sagt Oberstaatsanwalt Gunther Scharbert von der Zweigstelle Rosenheim der Staatsanwaltschaft Traunstein. Und die richtige Adresse, das ist im aktuellen Stadium der Revision die Bundesanwaltschaft. Sie wird die Unterlagen sichten. Dann wird sie ihren Antrag verfassen. Und damit über zwei Jahre nach der Tragödie von Aschau Weichen stellen. Kommt der BGH einstimmig zum Schluss, die Revision zu verwerfen, und wenn dies zuvor auch der Generalbundesanwalt beantragt hat: Dann braucht es keine abschließende mündliche Verhandlung mehr.

Hanna kam
nie zu Hause an

Hanna W. war am 3. Oktober 2022 nach einem Besuch des Clubs „Eiskeller“ in ihrem Heimatort Aschau zu Tode gekommen. Am 19. März 2024 war in der Gerichtsverhandlung um ihren gewaltsamen Tod das Urteil gefallen. Von der 1. Jugendkammer des Landgerichts Traunstein wurde der angeklagte Sebastian T. zu neun Jahren Jugendstrafe wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Fünf Monate hatte der Indizienprozess gedauert, an 35 Tagen war verhandelt worden.

Was war passiert? Hanna verließ den Club „Eiskeller“ in Aschau kurz vor halb drei nachts und machte sich allein auf den Heimweg zu ihrem Elternhaus. Überwachungskameras des Clubs dokumentierten, wie die Medizinstudentin nach rechts in die Kampenwandstraße abbiegt und im Dunkeln verschwindet. Nur einige hundert Meter wären es zum Elternhaus gewesen. Doch dort kam sie nie an.

Am Ende sah es das Gericht unter dem Vorsitz von Jacqueline Aßbichler als erwiesen an, dass Sebastian T. die Medizinstudentin Hanna am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 angegriffen und schwer verletzt hatte, bevor er sie in den Bärbach warf. Der Bärbach, normal ein Rinnsal, hatte sich nach tagelangem Regen in einen reißenden Bach verwandelt. Die bewusstlose Hanna ertrank, ihr Körper wurde in die Prien gerissen.

Zwölf Kilometer vom mutmaßlichen Tatort entfernt – wohl unweit des Parkplatzes der Kampenwand-Bahn – entdeckte ein Spaziergänger am Nachmittag desselben Tages den leblosen Körper von Hanna: Es war der Beginn von sechs Wochen der Ermittlungen, die die Region in Atem hielten. Am 18. November nahm die Polizei den 20-jährigen Sebastian T. fest, der in der Nacht auf den 3. Oktober 2022 nahe beim Club „Eiskeller“ beim Joggen gesichtet worden war. Zunächst als Zeuge befragt, verwickelte er sich in Widersprüche.

Urteil am Ende einer
langen Indizienkette

Am Ende entschieden Richterin Aßbichler und ihre Kollegen aufgrund einer Fülle von Indizien. Ein Tötungsdelikt streitet aber die Verteidigung ab. Nach ihrer Version fiel Hanna einem Unfall zum Opfer. Sie legte kurz nach dem Urteil am 19. März Revision ein. Ihre Begründung: rund 1700 Seiten. Die Entgegnung der Staatsanwaltschaft: ein gutes Dutzend Seiten. Und nun ist der Generalbundesanwalt am Zuge. Verwerfen, teilweise oder vollständig stattgeben: Das wird der Generalbundesanwalt beantragen.

Zur Klarstellung: Der Generalbundesanwalt ist nicht eine einzelne Person, es handelt sich um eine Behörde. Die Staatsanwälte beim Generalbundesanwalt seien alles andere als Anfänger, sagt der Rosenheimer Strafverteidiger Peter Dürr, Vorsitzender des Anwaltvereins Rosenheim und Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer München. Der Generalbundesanwalt ist neben den am Bundesgerichtshof zu führenden Revisionsverfahren auch als Ermittlungsbehörde für terroristische Taten zuständig und so häufig in den Medien. Wie lange wird sich das Verfahren nun noch hinziehen? Auch Peter Dürr sieht einen Schlusspunkt noch in diesem Jahr als unwahrscheinlich an. Schließlich sei Sorgfalt Trumpf, „Wochen oder gar Monate sind keine Seltenheit“, sagt Dürr. Und dann kann auch noch die Verteidigung eine Stellungnahme abgeben.

Wohl keine zeitnahe
Entscheidung

Dafür kann es danach zügig gehen. „Wenn die Revision einstimmig verworfen wird, so kann nur dann im Beschlusswege verfahren werden, wenn dies der GBA zuvor beantragt hat“, sagt Dürr. Wenn der Bundesgerichtshof dagegen einstimmig der Revision stattgebe, könne das immer auf dem Beschlusswege entschieden werden, sagt Peter Dürr. Andernfalls müsste eine mündliche Verhandlung stattfinden. Die ist aber eher die Ausnahme, wie Dürr erläutert: Der Antrag, im Beschlusswege zu entscheiden, erfolge regelmäßig – „sofern der GBA die Verwerfung beantragt“.

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