Palling/Übersee/Tansania – Benedikt Huber aus Palling ist einer der erfolgreichsten Leichtathleten aus unserer Region. Viermal konnte sich der Ausnahme-Läufer zwischen 2016 bis 2018 zum deutschen Meister krönen, allein dreimal über seine Lieblingsdistanz, die 800 Meter. Auch bei bayerischen Meisterschaften und heimischen Läufen trug er sich mehrmals in die Siegerlisten ein. Bei Bergläufen anzutreten, hatte er hingegen schon während seiner 2021 beendeten Karriere immer wieder ausgeschlossen. Umso überraschender war, dass er am diesjährigen Dynafit Transalpine Run im September teilnahm. Das spektakuläre Rennen führt in sieben Tagen über die Alpen. In diesem Jahr mussten die Teilnehmer dabei 272 Kilometer und rund 17000 Höhenmeter zurücklegen.
Durch Krebs als Kind ein Bein verloren
Doch Huber sah sich bestens vorbereitet, nicht zuletzt weil er in der Vorbereitung mit der Besteigung des Kilimandscharo im August ein gutes „Höhentrainingslager“ für die Ausdauer und Kondition absolvierte.
Den mit 5895 Metern höchsten Berg Afrikas in Tansania zu besteigen, ist an sich schon eine großartige Leistung, doch dass seine seit ihrer Kindheit beinamputierte Freundin Gritt Liebig aus Übersee mit ihm auf dem Gipfel stand, grenzt an eine Sensation.
Die zweifache Mutter wandelte dabei auf den Spuren des deutschen Bergsteigers, Musikers und Abenteurers Tom Belz, der wie Liebig als Kind durch Knochenkrebs ein Bein verlor, und 2018 als (wohl) erster einbeiniger Mensch auf dem Kilimandscharo stand.
Wie Belz ließ sich auch Liebig nie durch ihre schweren Schicksalsschläge entmutigen und zeigt beruflich wie privat immer wieder, dass im Leben auch mit einem Handicap alles möglich ist.
Initialzündung
war ein Film
Initialzündung für den Plan, den Kilimandscharo zu besteigen, war für Liebig der Abenteuer-Spielfilm „Kilimandscharo – Reise ins Leben“, in dem eine fiktive Geschichte über deutsche Touristen erzählt wird, darunter eine kranke Ärztin und ein Rollstuhlfahrer, die in Begleitung zweier Bergführer den Gipfel des Kilimandscharo erreichen wollen. „Ich habe mich sofort gefragt, wäre das auch was für mich?“, so Liebig, wohlwissend, dass ihre bisher höchsten bestiegenen Berge, darunter der Hochfelln und Hochgern, alle unter 2000 Meter hoch sind. Und jetzt gleich auf einen Berg, der den Mont Blanc, das Dach Europas, um gut 1000 Meter überragt?
Der Anblick des Berges weckt Zweifel
Nach längerer Bedenkzeit und vielen Gesprächen mit ihrer Familie, Freunden und ihrem Partner Benedikt Huber buchte das Paar den Urlaub in Afrika inklusive geführter Hochgebirgstour und flog am 3. August nach Tansania. Als sie dort das mächtige freistehende Kilimandscharo-Massiv erstmals zu Gesicht bekamen, seien sie jedoch „ziemlich erschlagen gewesen“, geben Huber und Liebig offen zu. Hatte man sich zu viel vorgenommen, war es vielleicht doch zu weit, zu steil, zu riskant und zu gefährlich?
Anfängliche Skepsis bei Bergführern
Diese und ähnliche Fragen beschäftigten sie damals und so wollten sie sich bei ihrem Berg-Abenteuer nicht zu sehr unter Druck setzen und sagten sich: „Wenn wir den Gipfel erreichen, ist es super, und wenn nicht, ist es auch gut“. Ganz bewusst entschieden sie sich bestens ausgerüstet für eine längere Tour, um die Belastungen, die die 64 Kilometer lange Strecke und die 4767 Höhenmeter mit sich bringen, auf sechs Tage zu verteilen – mit dem Abstieg am siebten Tag. Sieben Routen waren zur Auswahl gestanden.
Mit einer zwölfköpfigen Gruppe, darunter zwei Bergführern, sieben Trägern und einem Koch, ging es am 5. August los. „Die Bergführer sind natürlich am Anfang etwas skeptisch gewesen, als sie mich mit meinen Krücken und einem Bein sahen, haben aber schnell gemerkt, dass ich sehr sportlich bin und es körperlich draufhabe“, erinnert sich Liebig, die auch schon mal in der deutschen Sitzvolleyball-Nationalmannschaft aktiv war und nicht nur passionierte Bergsteigerin ist, sondern auch sehr gerne Fahrrad fährt. Auch die routinemäßigen abendlichen Briefings und Gesundheitstests in den Camps haben die Zweifel auf beiden Seiten schnell zerstreut: „Ich hatte wie Benedikt immer über 80 Prozent Sauerstoff im Blut“, so Liebig.
Blasen an
den Händen
Schwierigkeiten bereiteten ihr hingegen schon am zweiten Tag die ungewohnten Blasen an den Händen, die man abends im Zelt kurzerhand mit einer Nadel öffnete und bestmöglich behandelte. Mit den Kletterhandschuhen wurde es an den Folgetagen viel besser und bis dahin biss Gritt Liebig die Zähne zusammen.
Ein Höhepunkt der Tour war die „Barranco Wall“, wo am vierten Tag sogar leichte Kletterpassagen zu bewältigen waren. Die Atmosphäre und das gute Miteinander im Team sowie die aufwendige Organisation seien „einfach super“ gewesen, so Liebig und Huber. Um das große Gepäck, die Zelte und das Essen habe man sich nicht kümmern müssen. „Das war schon eine große Erleichterung für mich“, erzählt Liebig, die nach eigener Aussage gerne mit angepackt hätte, beispielsweise beim Kochen oder Abspülen – doch das sei nicht erwünscht gewesen. „Ich musste täglich diskutieren, dass ich mein komplettes eigenes Gepäck selber tragen darf. Das selbst zu tun, war mir wichtig. Nur das Essen und das Zelt haben die Träger für mich getragen“, erzählt auch Benedikt Huber.
Tagtäglich hieß es um 5.30 Uhr morgens aufstehen, nur am Gipfeltag wurde das Paar schon um 23 Uhr geweckt, um am Stella Point am Kraterrand nach fünf Stunden Gehzeit den Sonnenaufgang erleben zu können. Von dort ging es dann nochmals 45 Minuten weiter zum höchsten Punkt, dem Uhuru Peak.
Liebigs Leistung gibt anderen Energie
Aufgrund der extremen äußeren Bedingungen mit Temperaturen von minus zehn bis minus 15 Grad im Gipfelbereich – gestartet war man im Tal bei rund 25 Grad plus – durften die beiden beim Aufstieg nie länger als fünf Minuten Pause machen. Auch auf dem Gipfel war die Zeit, um den Ausblick zu genießen oder Fotos zu machen, nach rund 15 Minuten wieder beendet, galt es doch trotz der wärmenden Sonne nicht zu sehr auszukühlen und neue Kräfte zu sammeln für den beschwerlichen Abstieg, den man am folgenden Tag bewältigte.
„Viele andere Bergsteiger, die wir getroffen hatten, waren fasziniert von Gritts Leistung und ihrer Willensstärke und haben dann selbst neue Motivation und Energie geschöpft“, verrät Benedikt Huber, der so ganz nebenbei in die Fußstapfen seines Vaters Konrad Huber trat, der den höchsten Berg Afrikas vor rund 40 Jahren bestiegen hatte.
„Ich habe noch nie so einen sternenklaren Himmel wie am Kilimandscharo gesehen“, schwärmt Gritt Liebig noch heute von ihrem unvergesslichen Afrika-Urlaub, der ganz weit weg vom gewohnten Alltag in der Heimat noch viele weitere Höhepunkte bereithielt, beispielsweise eine spannende Safari im Nationalpark Serengeti mit gefährlichen Tieren in unmittelbarer Nähe – ein bisschen Nervenkitzel musste dann wohl auch nach dem Kilimandscharo-Abenteuer noch sein.