Aschau – Am 3. Oktober 2022 starb Hanna W. in Aschau. Wegen Mordes an der 23-jährigen Medizinstudentin wurde Sebastian T. von der Jugendkammer des Landgerichts Traunstein zu neun Jahren verurteilt, die Revision läuft. Mit Walter Holderle, dem Anwalt von Hannas Eltern, sprach das OVB über Trauer, Ärger und Strafanzeigen. Und über den Stand des Revisionsverfahrens.
Wie weit ist Aschau mit der Aufarbeitung der Tragödie um Hanna W.?
Für ganz Aschau kann ich natürlich nicht sprechen, aber bei den Eltern von Hanna, mit denen ich jetzt ganz aktuell wieder Kontakt gehabt habe, habe ich mit großer Erschütterung festgestellt, dass da in keiner Weise so etwas wie Beruhigung eingetreten ist. Ganz im Gegenteil: Der Umstand, dass sich diese Tragödie jetzt zum zweiten Mal jährt, sorgt erneut für tiefe Betroffenheit. Die Eltern wären im Moment überhaupt nicht in der Lage, mit irgendjemandem über den gewaltsamen Tod ihrer Tochter zu sprechen. Ich hatte eigentlich erwartet, dass möglicherweise die Zeit Wunden heilt. Aber die Wunden werden jetzt wieder massiv aufgerissen. Tatsächlich ist daran auch der Bericht in der Wochenzeitung „ZEIT“ schuld. Gerade, weil dort die Unfalltheorie der Verteidigung in ihrer abstrusen Art wiedergegeben wird. Ich bin überrascht, dass ein Presseorgan diese abstruse Theorie so eins zu eins übernehmen kann.
Beim Trauergottesdienst haben die Freunde Hanna als großzügige, offene und reiselustige Frau geschildert. In dem besagten Bericht der „ZEIT“ kommt sie ganz anders rüber.
Wenn man sich vorstellt, dass von diesem Presseorgan ein nicht legitimiertes Bild verwendet wurde, und wenn man sich zudem anschaut, wie Hanna in diesem Bericht beschrieben wird, dann erschüttert mich das. Dass es die Eltern noch viel, viel mehr erschüttert, dürfte nachvollziehbar sein.
Würden rechtliche Schritte dagegen etwas bringen?
Das habe ich mit den Eltern gar nicht besprochen, weil die im Moment komplett andere Sorgen haben. Die haben im Moment ein Gefühlstief, und da hätte ich sie jetzt mit solchen Themen gar nicht beschäftigen wollen. Sollte die Verfasserin des Artikels in der „ZEIT“ ihre unangebracht parteinehmende „Berichterstattung“ aber nicht korrigieren oder fortsetzen, wird dies sicher zu überlegen sein.
Die Eltern von Hanna haben vor einem halben Jahr über Sie Anzeige gegen unbekannt erstattet, weil während der Hauptverhandlung am Landgericht Ausschnitte aus den Ermittlungsakten durchgesteckt wurden. Gibt es da einen neuen Stand?
Also Stand ist, dass dieses Ermittlungsverfahren nicht von der Traunsteiner Staatsanwaltschaft bearbeitet wird, weil dieselbe Staatsanwaltschaft ja Ermittlungsbehörde im Mordprozess ist. Es wird von der Staatsanwaltschaft in München bearbeitet. Von dort gibt es derzeit noch keine Aussage zum aktuellen Verfahrensstand.
Damals waren Details aus dem Obduktionsbericht an Dritte gelangt.
Definitiv. Die Strafanzeige fußt auf zwei Aspekten. Da wandern Fotos der getöteten Hanna zumindest an ein Hamburger Institut, möglicherweise sogar an sonstige Stellen, ohne dass das in irgendeiner Weise vom Gericht legitimiert worden wäre oder die Eltern ihre Zustimmung hierzu gegeben haben. Und Punkt zwei ist das Durchstecken von Informationen des Befangenheitsantrags, insbesondere der E-Mail-Korrespondenz zwischen Vorsitzender Richterin und Staatsanwaltschaft zu einem Zeitpunkt, da derlei Details überhaupt noch nicht öffentlich verhandelt worden waren.
Unabhängig von der emotionalen Seite: Was hat Sie nun am Artikel in der „ZEIT“ am meisten geärgert?
Am allermeisten hat mich geärgert, dass jeder objektive Prozessbeobachter gesehen hat, wie abstrus die Unfalltheorie der Verteidigerin war. Und trotzdem geht die Verfasserin her und übernimmt diese Theorie eins zu eins. Und schreibt dann, die Version der Verteidigung sei nicht aus der Luft gegriffen. Oder die Formulierung, dass es „der Traunsteiner Strafjustiz wie ein Glücksfall erschienen sei“, dass sich zwei Tage nach Beginn des Prozesses dieser Zeuge aus der Untersuchungshaft bei der Staatsanwaltschaft gemeldet habe: Da wird suggeriert, dass Gericht und Staatsanwaltschaft auf eine Verurteilung aus gewesen und froh gewesen seien, dass der Zeuge gekommen sei. Daran sieht man auch, dass die Verfasserin den Prozess nicht selbst mitverfolgt hat. Jeder der dauerhaft anwesenden Prozessbeobachter konnte sich ein Bild davon machen, mit welcher Akribie das Gericht die ausgesprochen umfangreiche Beweisaufnahme dieses Indizienprozesses abgearbeitet hat.
Hätten Sie selbst das klarstellen können? Ich habe gehört, die Autorin habe auch mit Ihnen gesprochen?
Ja, in der Tat war die Verfasserin dieses Artikels zu einem Gespräch in meiner Kanzlei. Wenn sie es mir gegenüber so erklärt hätte, dann hätte ich ihr klar gesagt, dass das eine falsche Wiedergabe des tatsächlichen Verfahrensverlaufs sei. Genauso wie der Satz vom „Landgericht Traunstein in seiner Beweisnot“. Das Landgericht Traunstein hatte keine Beweisnot. Das Landgericht Traunstein hat den Sachverhalt im Rahmen der Beweisaufnahme sorgfältig ermittelt und ist unter Abwägung der dabei festgestellten Indizien zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte der Täter ist. Dabei hat es sich das Gericht nicht leicht gemacht. Nicht umsonst ist die schriftliche Begründung des Urteils rund 300 Seiten lang. Trotzdem suggeriert dieser Bericht in der „ZEIT“, dass das Landgericht sich in der Pflicht der Verurteilung sah. Das ist meines Erachtens eine Frechheit. Von einem Presseorgan wie der „ZEIT“ erwartet man sich eine objektive Berichterstattung. Die ist nicht erfolgt.
Der Text fällt in eine möglicherweise entscheidende Phase des Revisionsverfahrens. Glauben Sie noch an ein Ende des Verfahrens in diesem Jahr?
Nicht wirklich. Das Material, das der Generalbundesanwalt wie auch der Bundesgerichtshof zu sichten hat, ist extrem umfangreich. Neben den umfangreichen Akten sind auch CDs, DVDs und Blu-ray-Discs dabei, auf denen sich zusätzliche Daten befinden.
Da kann sich der Staatsanwalt auf viel Arbeit einrichten.
Ja, nicht nur der Generalbundesanwalt, sondern auch der Bundesgerichtshof. Das wird länger dauern.
Interview: Michael Weiser