„Im Gegenwind konnte ich abheben”

von Redaktion

Interview Alpinist Reinhold Messner über Widerstände und Selfies in den Bergen

Rosenheim – Vor wenigen Tagen wurde Reinhold Messner 80 Jahre alt. Doch während es manch anderer in dem Alter ruhig angehen lässt, hat die Alpin-Legende ein Buch geschrieben und startet zu seiner neuen Vortragsreihe. Vor seinem Besuch in Rosenheim spricht Messner exklusiv über das Älterwerden, seinen Umgang mit Kritikern und darüber, wie Influencer die Berge verändern.

Herr Messner, der ein oder andere wird im Alter ruhiger. Sie haben ein Buch geschrieben und halten Vorträge. Geht Ihnen die Energie nie aus?

Ich merke das Alter wie jeder andere auch. Allerdings war ich immer ein sehr aktiver Mensch und führe daher aus der Sicht anderer immer noch ein sehr aktives Leben. Ich bin der Meinung, dass es nichts bringt, auf ein gelungenes Leben zurückzuschauen. Damit begnüge ich mich nicht. Ideen in die Tat umzusetzen bedeutet für mich wahres Glück. Ich möchte den Prozess des Alterns daher mit schönen Ideen schmücken. Und das mache ich, solange es geht.

Ist eine dieser Ideen, Ihre Sichtweise an andere weiterzugeben?

Durchaus, ich sehe es als Herausforderung, zu erklären, warum es so wichtig ist, aktiv zu bleiben. Dafür habe ich auch mein Buch „Gegenwind“ geschrieben. Es ist keine Abrechnung, sondern eine Aufforderung, das Leben anzunehmen. Es geht vor allem um die aufkommenden Widerstände, Zweifel und Schwierigkeiten. Es ist eine Offenlegung der Tatsache, dass auch ich meine Probleme hatte. Aber auch, dass diese mich erst richtig stark gemacht haben. Im Gegenwind konnte ich abheben. Mit Rückenwind geht das nicht.

In Ihrem Buch geht es nicht nur um körperliche, sondern auch mentale Grenzerfahrungen. Können Sie da ein Beispiel nennen, das Sie besonders geprägt hat?

Einen meiner größten Widerstände hatte ich beim Kauf und der Sanierung des Schlosses Sigmundskron bei Bozen. Da habe ich fünf Jahre lang einen heftigen Gegenwind von einer lokalen Zeitung erfahren, die mein Vorhaben dort nicht wollte. Der Widerstand war so stark, dass ich sehr nah dran war, aufzugeben. Aber am Ende bin ich daran gewachsen.

Inwiefern?

Das Projekt hat sich weiterentwickelt. Und hätte ich den Druck und den Widerstand nicht gehabt, wäre es wahrscheinlich nicht so gut geworden. Jetzt steht dort eines der erfolgreichsten Bergmuseen weltweit. Oft haben Kritiker auch recht oder zumindest sehen sie Fehler und Schwächen, die einem selbst bis dahin nicht bewusst sind. Diese Fehler kann ich nutzen, um besser zu werden. Das merke ich aber nur in einem Umfeld mit Gegenwind.

Ist der Gegenwind denn immer berechtigt?

Nein, deshalb geht es darum, die Sachen zu korrigieren, bei denen die Gegner recht haben. Bei den Dingen, wo sie falsch liegen, sollte man sich wehren. Aber auch das geht nur, wenn man die Kritik annimmt und zum Diskutieren einlädt. Das gilt übrigens für alle Bereiche im Leben, egal ob beim Bergsteigen, im Beruf oder bei privaten Projekten. Gegenwind ist bei mir immer eine Konstante gewesen.

Wo ist der Gegenwind aktuell im Bergsport zu spüren?

Wir haben folgende Situation: Der „echte“ Bergsport hat sich in die Halle zurückgezogen. 90 Prozent der Kletterer sind in klimatisierten Räumen. Dort findet der Sport statt. Das Bergsteigen an großen Felsen ist dagegen zum Tourismus geworden. Die Berge werden präpariert und Touren werden über Reise-Unternehmen gebucht. Die Respekthaltung vor der Natur geht verloren.

Gilt das nur für die großen Felsen?

 Das gilt für den generellen Kontakt mit der Natur. Der rückt in der heutigen Zeit in den Hintergrund. Auch durch die Digitalisierung, die uns beherrscht und auch am Berg immer präsenter wird.

Im Allgäu verunglückte eine Wanderin, die ein Selfie machen wollte, tödlich…

Ich kenne die Geschichte. Das Handy sorgt in so einer Situation dafür, dass die Aufmerksamkeit sinkt und das Gleichgewicht geschwächt wird. Das passiert völlig unbewusst und das macht es so gefährlich. Aber das ist nicht das einzige Problem. Durch den Trend von Influencern werden viele Menschen an einen bestimmten Punkt gezogen. Der ist nachher nicht mehr ein bewundernswertes Stück Natur, sondern ein Schauplatz. Die Stille, die Freiheit, die Weite gehen verloren.

Was kann jeder Einzelne dagegen tun?

Jeder kann um diese Massenattraktion herumgehen. Nicht anderen hinterherlaufen, sondern sich selbst Gedanken machen, eigene Wege gehen und nach abgelegenen Fleckchen suchen.

Gibt es solche Fleckchen denn überhaupt noch?

Jede Menge. Natürlich sind alle Namhaften mittlerweile erschlossen. Aber rund um die großen Namen gibt es so viele Berge, so viele herausfordernde Felswände und Pfade, die es wert sind, begangen zu werden. Es gibt noch tausende solcher Wege.

Welche Wege werden Sie persönlich noch gehen?

Ich habe aktuell noch verschiedene Projekte. Meine Vortragsreihe. Ich habe eine Stiftung, mit der ich Bergsteigerdörfer unterstützen möchte. Außerdem habe ich ein Start-up gegründet, um den ursprünglichen Bergsport wieder zurückzuholen. Ich möchte damit ein Bewusstsein dafür schaffen, was es bedeutet, auf den Berg zu gehen und den Alpinismus ein Stück weit zurückzuholen. Das wird erst einmal meine letzte große Aktion. Weiter reicht meine Fantasie noch nicht.

Interview: Korbinian Sautter

Reinhold Messner in der Region

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