Rosenheim – Die Rücktrittswelle geht weiter. Nachdem vor zwei Wochen die komplette Spitze der Grünen ihre Ämter niedergelegt hat, folgt jetzt der nächste große Personalwechsel – diesmal in der SPD. Kevin Kühnert, Generalsekretär der Sozialdemokraten, gab am vergangenen Montag überraschend seinen Rückzug aus der Politik bekannt. Er wolle im kommenden Jahr auch nicht für den Bundestag kandidieren. Seine Entscheidung begründet der 35-Jährige mit gesundheitlichen Problemen.
Respekt für Leistung des Generalsekretärs
„Letztlich bleibt mir nur, Danke zu sagen, für alles, was er geleistet hat“, sagt die Rosenheimer SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl auf OVB-Anfrage. Sie beschreibt Kühnert als Freund, schließlich habe sie lange eng mit ihm zusammengearbeitet. Dass er immer klar gesprochen und genau das gesagt hat, was er meint, habe sie besonders an ihm geschätzt. Nicht umsonst sei er so häufig Gast in Talkshows gewesen.
Umso mehr nötige ihr das Vorgehen Kühnerts jetzt Respekt ab. Dass er vor zwei Tagen bereits die beiden Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil informiert hat, und damit höchst professionell gehandelt hat, finde sie beeindruckend. Allerdings vermutet sie, dass es sich bei den gesundheitlichen Problemen um „etwas Langfristigeres“ handeln müsse, nur so könne sie sich die Entscheidung Kühnerts, 2025 nicht mehr anzutreten, erklären. „Ich wünsche ihm daher gute Besserung und dass er bald wieder gesund wird“, sagt die Rosenheimer Politikerin.
Würdigung der Wahlerfolge 2021
Auch Abuzar Erdogan, SPD-Vorsitzender in Rosenheim, würdigt die Leistungen von Kühnert. „Er hat in seiner Zeit als Juso-Bundesvorsitzender und Generalsekretär maßgeblich dazu beigetragen, die SPD zu erneuern, zum Wahlerfolg 2021 zu führen und die von öffentlich ausgetragenen Kämpfen geprägte SPD zu einen“, sagt Erdogan. Dafür müsse man Kühnert ausdrücklich danken.
Dennoch gelte es jetzt, die Chance zu nutzen und „die Partei personell so aufzustellen, dass sie die anstehende Bundestagswahl gewinnen kann.“ Denn dem Rosenheimer SPD-Chef zufolge werde die SPD derzeit „gebraucht wie nie zuvor“.
Ähnlich sieht das Sepp Parzinger, Vorsitzender der SPD im Landkreis Traunstein, der Kühnert aus gemeinsamen Zeiten im Juso-Bundesvorstand persönlich kennt. „Es ist natürlich eine Lücke. Aber wie es immer ist, eine Partei lebt auch von ständigen Wechseln.“ Eine Partei müsse immer fähig sein, Leute zu ersetzen, gut zu ersetzen, glaubt Parzinger. Zudem es viele Personen in der Bundestagsfraktion gebe, die „diese Aufgabe mit Sicherheit übernehmen können und müssen.“ Dennoch sei der Rücktritt nachvollziehbar, aber auch schade, da sich Kühnert immer gut um die „Strukturen der Partei“ gekümmert habe.
Betroffenheit
über das frühe Aus
Etwas betroffener zeigt sich Friederike Kayser-Büker, Fraktionsvorsitzende der SPD im Wasserburger Stadtrat. „Es ist sehr schlimm, wenn ein so junger Politiker aus gesundheitlichen Gründen sein Amt niederlegen muss“, sagt sie. Es sei ein schwerer Verlust für die Partei. „Ich konnte Kevin Kühnert vor nicht allzu langer Zeit persönlich bei einem Besuch in Wasserburg kennenlernen und war sehr beeindruckt von seiner Eloquenz und seinem Tatendrang“, sagt Kayser-Büker. Umso härter der Schlag für die SPD, doch Gesundheit gehe vor, betont sie.
So sieht das auch ihr Kollege Christian Peiker, Ortsvereinsvorsitzender der Wasserburger SPD. Er möchte Kevin Kühnert auch keinen Vorwurf machen – obwohl der Zeitpunkt kurz vor der Bundestagswahl ungünstig sei. „Es ist sein gutes Recht, die Reißleine zu ziehen, wenn er es gesundheitlich nicht mehr schafft“, sagt Peiker. Diese Einschätzung teilt Heinz Oesterle aus Feldkirchen-Westerham, Mitglied im Bundesvorstand der SPD-Arbeitsgemeinschaft der Seniorinnen und Senioren und SPD-Gemeinderat. „Er würde sich sonst kaputt machen. Und die SPD braucht in Hinblick auf die Bundestagswahl einen Generalsekretär, der 150 Prozent geben kann“, sagt Oesterle. Trotzdem sei er vom Rücktritt des Generalsekretärs überrascht worden. Es sei nun eine große Herausforderung, diese Position nur rund ein Jahr vor der Bundestagswahl neu zu besetzen. Was Oesterle zufolge aber gelingen wird: „Die SPD hat genügend kluge Köpfe, die das machen können. Nicht nur in der SPD-Zentrale in Berlin, sondern auch in den Landesverbänden.“
Hoffnung auf neue Einigkeit der Partei
Für Patrick Mayer, SPD-Kreisvorsitzender des Landkreises Mühldorf, sei der Rücktritt darüber hinaus „konsequent, wenn man die aktuelle Stimmung im Land sieht“. Für ihn sei es wichtig, dass die SPD wieder neuen Schwung bekommt. „Auch wenn der Generalsekretär natürlich nicht alleine für die Talfahrt verantwortlich ist, muss sich die SPD für die Bundestagswahl im kommenden Jahr neu aufstellen und Themen besetzen, die die Menschen ansprechen“, sagt Mayer. Denn im Moment drifte die Stimmung innerhalb der Partei auseinander und die Führungsspitze erreiche nicht mehr alle Mitglieder, kritisiert der Kreisvorsitzende.