Ein Jahr „Rott rot(t)iert“ – Ein Jahr Protest

von Redaktion

„Wir brennen langsam aus“, sagt Christian Jendel von der Bürgerinitiative „Rott rot(t)iert“. Seit einem Jahr wehrt sie sich gegen die geplante große Sammelunterkunft für Flüchtlinge. Über einen mühsamen Widerstand und die Rolle einer Liste mit besonderen Zahlen.

Rott – Genau ein Jahr ist es her, da sorgte die Nachricht von der geplanten großen Flüchtlingsunterkunft im kleinen Rott am Inn für einen Schockmoment im Dorf, dem eine Welle der Empörung folgte. Nur wenige Tage nach der Bürgerversammlung mit Landrat Otto Lederer, als erstmals die Belegungszahl 500 im Raum stand, gründete sich die Bürgerinitiative (BI) „Rott rot(t)iert“. Aus 500 wurden 300, doch die BI findet nach wie vor: Es sind zu viele Menschen, die in einer nicht geeigneten ehemaligen Industriehalle in einem Gewerbegebiet unterkommen sollten.

BI findet: Das Soll ist schon längst erfüllt

Die Initiative beharrt darauf: Das Dorf hat mit etwa 120 hier schon lebenden Geflüchteten sein Soll bei der Unterbringung mehr als erfüllt. Und fordert zum Jahrestag des Protests vor allem eins: eine paritätische Verteilung der Ankommenden auf alle 46 Kommunen im Landkreis. Um dies zu erreichen, sei der Freistaat gefordert: Er müsse eine faire Regelung einfordern, nach einem festgelegten Schlüssel in Bezug zur Einwohnerzahl. Ministerpräsident Söder habe es in der Hand.

„Rott rot(t)iert“ hat über Quellen, die die BI nicht nennen will, die Flüchtlingszahlen in allen Gemeinden und Städten des Landkreises aufgelistet. Eine Aufstellung mit interessanten Zahlen. Hier gebe es (Stand Dezember 2023) Kommunen wie Halfing, Chiemsee, Babensham, Nußdorf und Wasserburg, die im Verhältnis zur Einwohnerzahl besonders viele Flüchtlinge aufgenommen hätten und Gemeinden wie Söchtenau, Amerang, Riedering, Gstadt und Tuntenhausen, in denen vergleichsweise wenige untergebracht worden seien.

Landrat Otto Lederer betont dazu jedoch stets, nicht jede Kommune sei in der Lage, Standorte für Unterkünfte oder Container zu nennen. Das liege nicht an mangelnder Bereitschaft oder fehlender Solidarität, sondern an nicht beeinflussbaren Faktoren wie fehlenden Grundstücken oder Mietobjekten. Lederer warnt davor, mit dem mahnenden Zeigefinger auf Kommunen zu zeigen, die sich schwertun würden. Außerdem legt er stets Wert auf die Feststellung, dass die geplante Unterkunft in Rott eine Erstaufnahme-Einrichtung werden solle, in der Geflüchtete in der Regel nur bis zu drei Monate unterkommen würden.

BI fordert paritätische Flüchtlings-Verteilung

Doch „Rott rot(t)iert“ will das Argument, es gebe Orte, die könnten auf die Unterkunftsnot nicht reagieren, nicht akzeptieren. Schließlich sei Rott selbst das beste Beispiel dafür, dass es Möglichkeiten gebe, wenn man nur wolle. Im vergangenen Jahr habe die Kommune sieben Alternativareale für die Gewerbehalle Am Eckfeld vorgeschlagen. Wenn Gemeinden und Städte gezwungen seien, das über einen Schlüssel in Bezug auf die Einwohnerzahl vorgegebene Soll zu erfüllen, würden sie es auch schaffen, ist die BI überzeugt. „Jeder findet eine Lösung, wenn er muss“, ist auch Günther Hein überzeugt. „Wir brauchen diesen Schlüssel für eine paritätische Verteilung.“ Wenn es ihn geben würde, wäre Rott erst einmal aus dem Schneider, andere Kommunen ständen in der Pflicht, finden die Mitglieder. Derzeit seien einseitig all jene Orte stark belastet, in denen eine Immobilie auf dem Markt angeboten würde, so wie in Rott, auch wenn sie wie hier unpassend sei.

Was die BI ebenfalls nicht verstehen kann: Dass Stadt und Landkreis Rosenheim bei der Unterbringung nicht zusammenarbeiten. Die neue Flüchtlings-Unterkunft in Rosenheim sei perfekt, um noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen: zentral gelegen in der Nähe des Landratsamts, Sozialverbände fußläufig erreichbar, optimal ausgestattet. „Warum arbeiten diesbezüglich Stadt und Landkreis nicht zusammen?“ Was die BI auch nach wie vor nicht akzeptieren kann: Dass der Landkreis das Ex-Romed-Krankenhaus nicht als Erstaufnahme-Einrichtung genutzt, sondern an die Regierung von Oberbayern vermietet hat. Das war stets damit begründet worden, dass sich die frühere Klinik aufgrund der räumlichen Begebenheiten perfekt eigne für Geflüchtete, die länger bleiben müssten, für Familien, erkrankte und in ihrer Mobilität beeinträchtigte Personen.

„Alle warten auf Rott“, so die Einschätzung der BI. „Wir sind es so leid“, ergänzt BI-Kernteammitglied Heike Bachert. Eine Stelle schiebe die Verantwortung auf die nächste: der Freistaat auf den Bund, der Bund auf die EU, der Landkreis auf die Regierung von Oberbayern. Viele Mandatsträger, die um eine Lösung gebeten worden seien, würden sich wegducken. Bei Demonstrationen der BI unter anderem im Rahmen von Parteitagen oder politischen Veranstaltungen sei es sehr schwer, Kontakt mit Politikern aufzunehmen. Zeitfenster, um die Argumentationen darzustellen, seien bei Treffen stets sehr eng bemessen. „Ihr werd’s euch schon einigen“, habe Innenminister Joachim Herrmann in Passau gesagt, kein Trost, wie die BI betont, sondern eine Aussage, die die Verantwortung ebenfalls weiterschiebe. Der Termin für den Vor-Ort-Besuch des Petitionsausschusses sei außerdem abgesagt worden, ein neues Datum stehe noch immer nicht fest, sagt Bachert, die als Petentin das Anliegen im Beschwerdeausschuss des Landtags vorgetragen habe.

Frustration über
den Freistaat

Frustration ist also das vorherrschende Gefühl. Dabei könne der Freistaat als zuständige Instanz für die Verteilung der Geflüchteten sehr wohl eins tun: eine faire Verteilung in Bayerns Kommunen anordnen, findet die BI. Hein, Bachert und Jendel ziehen deshalb noch einmal die Liste hervor, in der sie die 46 Kommunen im Landkreis Rosenheim und die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge Ende 2023 dokumentiert haben. 24 Kommunen haben danach Ende Dezember 2023 den paritätischen Verteilungsprozentsatz von 2,1 unterschritten. Mit dem Finger auf die 24 Kommunen zeigen, die Ende vergangenen Jahres unter zwei Prozent aufgenommen haben, wollen sie nicht.

Doch der Freistaat könne etwas tun, damit es fairer zugehe bei der Verteilung, und diese nicht den Launen des Immobilien- und Grundstücksmarktes überlassen werde, so der Appell.

Rechenbeispiele für die paritätische Verteilung von Geflüchteten

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