Wasserburg/Traunstein – Diese Nachricht schockte Wasserburg und die ganze Region: Dr. Rainer Gerth, Oberarzt in der Forensik am kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Gabersee, wurde im April 2024 durch mehrere Messerstiche in den Oberkörper tödlich verletzt, als er von seinem Büro zum Parkplatz gehen wollte.
Der Täter, ein derweil 41 Jahre alter Mann aus Norddeutschland, war einst in Gabersee untergebracht gewesen. Für die Anreise nach Wasserburg hatte er Hunderte von Kilometern zurückgelegt, wochenlang hatte er Gerth ausgekundschaftet. Vermutlich handelte er im Wahn. Jetzt muss sich der in Polen geborene Mann verantworten: Heute beginnt der Mordprozess am Landgericht Traunstein. Starverteidiger Harald Baumgärtl aus Rosenheim vertritt zusammen mit Dr. Markus Frank sowie Jörg Zürner die engsten Angehörigen Dr. Gerths. In einem Fall, der nach Baumgärtls Worten wohl kein Fall wie jeder andere ist.
„Gerth ist ein
Könner gewesen“
Denn Harald Baumgärtl kannte Dr. Rainer Gerth. Der Oberarzt hatte zahlreiche Gutachten für Gerichtsverfahren verfasst. „Da war natürlich der berufliche Kontakt da“, sagt Baumgärtl. „Man hat sich sicherlich einmal in der Woche oder zumindest alle 14 Tage bei irgendeinem Termin getroffen.“
„Also, ich kann nur sagen, er war ein hervorragender Mensch“, sagt Baumgärtl über Gerth. Ein Typ mit sehr menschlicher Ausstrahlung, der einen „unheimlich guten Kontakt zu seinen Patienten herstellen“ konnte. Was Gerths Qualität im Gerichtssaal ausmachte: „Auch die schwierigsten Mandanten, die ich hatte, hatte er immer in einer ganz außergewöhnlichen Weise begutachtet.“ Gerth sei ein Könner gewesen, ein Mann mit ausgezeichnetem Gedächtnis: „Ich war immer erstaunt. Er hat fast keine Unterlagen gebraucht, hat immer alles im Kopf gehabt.“
Folgt man der Antragsschrift des Staatsanwalts, beging der heute 41-jährige Dominik Georg S. seine tödliche Messerattacke im Zustand einer akuten schizophrenen Störung. Der Staatsanwalt wirft ihm Mord aus Heimtücke vor. Von 2010 bis 2013 war der mutmaßliche Mörder im Maßregelvollzug in Wasserburg untergebracht. War seine Tat ein Racheakt? Baumgärtl kennt Details aus den Ermittlungsakten, kann vor Start des Mordprozesses aber nichts dazu sagen, „nicht, solange die Antragsschrift nicht verlesen ist.“
Eine Tat, die nachdenklich macht
Die Tat machte ihn so oder so nachdenklich. „Ich war natürlich erschrocken und schockiert“, sagt Baumgärtl. „Das zeigt im Endeffekt auch uns Juristen, dass man mit einem gewissen Gefahrenpotenzial lebt.“ Staatsanwälte, Richter und Gutachter, klar, die stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, ziehen im Falle einer Verurteilung oft Zorn auf sich. Aber auch der versierteste Verteidiger kann nicht jeden Mandanten rauspauken. „Es kommt immer wieder vor, dass Gespräche seltsam sind“, berichtet Baumgärtl. „Es kommt auch vor, dass man E-Mails oder Briefe mit Drohungen oder Beleidigungen erhält.“ Damit müsse man einfach leben.
Er hat Erfahrung: Harald Baumgärtl vertrat Mandanten in einigen der dramatischen Fälle der jüngeren Justizgeschichte in der Region, vom Einsturz des Eishallendachs in Bad Reichenhall über den grausigen Mord von Bergen bis hin zum Mordfall Hanna in Aschau.
Baumgärtl und Frank erlebten als Verteidiger im Mordfall Hanna einen der längsten Prozesse der jüngeren Justizgeschichte im Landgerichtsbezirk Traunstein. Der Gabersee-Prozess, der am heutigen Montag beginnt, werde wohl nicht lange dauern, nimmt Harald Baumgärtl an. Der mutmaßliche Täter wurde blutverschmiert in der Nähe des Tatortes festgenommen, der Hintergrund der Tat scheint den Ermittlern ebenfalls schnell klar geworden zu sein. Vier Verhandlungstage sind angesetzt.
Statt einer Anklage gibt es einen Antrag
Es gibt keine Anklage-, sondern eine Antragsschrift. Heißt: Im Falle einer Verurteilung ginge der Beschuldigte nicht ins Gefängnis, sondern würde in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. „Es muss dann jährlich geprüft werden, ob die Voraussetzungen dieser Unterbringung noch vorliegen, insbesondere ob eine Gefahr für die Öffentlichkeit ausgeht oder nicht“, sagt Baumgärtl. „Sind die Voraussetzungen wirklich gegeben? Es ist halt so, dass man in keinen Menschen hineinsehen kann.“ Und schon gar nicht in einen Menschen, der so sinnlos getötet hat.