Wasserburg/Traunstein – Prozessauftakt am Montag, Landgericht Traunstein. Dominik S. blickt mit leerem Gesichtsausdruck in die Kameras der Pressevertreter. Es ist ein Prozess, auf den viele in Wasserburg und Umgebung gewartet haben, denn S. wird beschuldigt, Rainer Gerth, Oberarzt der Forensik am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg, am Abend des 8. Aprils getötet zu haben.
Die Tat hat über die Grenzen der Stadt Wasserburg hinaus und auch innerhalb der Klinik-Familie viele schockiert. Gerth war im Kollegium beliebt, war auch in Wasserburg selbst bekannt. An jenem Abend des 8. Aprils soll Dominik S. mehrere hundert Kilometer von seinem Wohnort in Schleswig-Holstein nach Wasserburg gefahren sein, um Gerth zu töten. Davon ist zumindest Staatsanwalt Wolfgang Fiedler überzeugt.
Beschuldigter
wirkt teilnahmslos
Beinahe teilnahmslos lauscht S. (41) der Antragsschrift, die Fiedler zum Beginn der Verhandlung vor der fünften Strafkammer des Landgerichts verliest. Antragsschrift deshalb, weil S. beschuldigt, nicht angeklagt ist. Er soll laut Staatsanwaltschaft in einem Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt haben. Entsprechend geht es bei der Verhandlung vor der fünften Strafkammer des Landgerichts nicht um eine Verurteilung, sondern lediglich um einen Antrag auf eine weitere Unterbringung in einer forensisch-psychiatrischen Klinik.
Staatsanwalt Fiedler spricht von einer paranoiden Schizophrenie und einer Abhängigkeit von Opiaten, an der S. leide. In einem psychotischen Zustand habe er den „nichts ahnenden und deshalb schutzlosen“ Oberarzt Gerth, bei dem er von 2010 bis 2013 in Behandlung war, mit einem Küchenmesser von hinten angegriffen und mehrfach auf ihn eingestochen. Bei einem Stich mittig der linken Brustwarze seien der Herzbeutel sowie die rechte Herzkammer durchstochen worden, woraufhin Gerth kurze Zeit später verblutete. Anschließend sei S. zunächst geflüchtet, dann habe er selbst einen Notruf abgesetzt und sich widerstandslos in Tatortnähe festnehmen lassen, so Fiedler.
Der Prozessauftakt an diesem Montagvormittag wirkt etwas unorganisiert. Zunächst verspätet sich der Beschuldigte, anschließend stellt sich auch noch heraus, dass einer der geladenen Schöffen in einer Teilzeitbeschäftigung am kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg angestellt ist und damit als befangen gilt.
Ungeplant muss also erst einmal ein Ersatzschöffe herbeigerufen werden. Mit zwei Stunden Verspätung kann die Verhandlung unter Vorsitzendem Richter Volker Ziegler aber doch noch starten und schon in den nächsten Minuten, bei einer Erklärung von S., wird die psychiatrische Erkrankung des Beschuldigten deutlich.
Zur Tat selbst äußert er sich nicht, stattdessen nutzt er die Gelegenheit, um Warnungen auszusprechen, spricht von einer Bundesrepublik Deutschland, die „ihn ermorden wollte“, von einem Überwachungsstaat, der alle Einwohner 24 Stunden filme und „giftige Substanzen, wie Bakterien, Keime und Pilze“ in das Essen der Bürger mische.
Auch die an diesem Tag geladenen Zeugen, beide Bekannte von S., sprechen von einer „psychischen Auffälligkeit“, die S. bereits seit Jahren aufweise. „Man hat ihn meist allein angetroffen, in seiner eigenen Gedankenwelt“, erzählt ein Zeuge. Vor allem unter Alkoholeinfluss sei S. oft „nicht mehr Herr seiner Sinne“ gewesen.
„Ein Ringen mit
sich selbst“
Eine Zeugin, die auch einige Zeit mit dem Beschuldigten zusammengelebt hat, beschreibt ihn zwar zum einen als „warmherzigen, sensiblen Menschen“, der ihr gegenüber „immer liebevoll“ gewesen sei. Sie spricht aber auch von Albträumen, unter denen S. während der Zeit ihres Zusammenlebens gelitten habe. „Er ist nachts hochgeschreckt und hat im Schlaf geschrien“, erzählt die Zeugin. Sie spricht von Selbstgesprächen, die S. immer wieder geführt habe, und beschreibt sie als ein „Ringen mit sich selbst“. Und dann ist da noch der „heftige Suchtmittelrückfall“ von S., der sie sogar dazu gebracht habe, die Polizei und den Krisendienst zu rufen.
Von einem Plan, nach Wasserburg zu fahren und Rainer Gerth anzugreifen, haben aber beide Zeugen nichts mitbekommen. „Ich habe nicht mit ihm über seine Aufenthalte in der Psychiatrie gesprochen“, sagt der Zeuge, und auch die Zeugin, die noch Samstag, also zwei Tage vor dem mutmaßlichen Tag, Kontakt zum Beschuldigten S. gehabt hatte, hat nach eigenen Angaben nichts von einem Plan mitbekommen. „Er hat ein paarmal erwähnt, dass es in Wasserburg unangenehm und nicht schön für ihn war, weiter hat er sich dazu aber nicht geäußert.“ Am 6. April habe er nur erwähnt, dass er seine Geschwister besuchen wolle. „Das war nichts Ungewöhnliches, das hat er regelmäßig gemacht“, so die Zeugin.
Der Prozess soll am Dienstag, 12. November, um 9 Uhr fortgesetzt werden.