Notstand in den Apotheken

von Redaktion

„Es ist eine Katastrophe“, sagt Florian Nagele vom Bayerischen Apothekerverband. Blutdruckmittel, Schmerzmittel, Antibiotika, Psychopharmaka: Mehrere hundert Arzneimittel sind derzeit in der Region nicht lieferbar. Die Sorge vor dem Winter steigt.

Rosenheim – Es schnieft, niest und hustet an allen Ecken. Die Erkältungssaison ist in vollem Gange – und die Probleme bei der Medikamenten-Verfügbarkeit scheinen nach wie vor nicht gelöst zu sein. „Es ist im Grunde keine spürbare Verbesserung vorhanden“, sagt Florian Nagele, Sprecher des bayerischen Apothekerverbands für Rosenheim, auf OVB-Anfrage. „Und es wird im Winter eher noch mal schlimmer werden, wenn die Infektionswellen kommen“, warnt er.

Es fehlt in
allen Bereichen

Spezielle Medikamente, die fehlen, kann er nicht nennen. Der Mangel ziehe sich quer durch alle Arzneimittelgruppen. Von Blutdruckmitteln, über Schmerzmittel bis Antibiotika und Psychopharmaka. In allen Bereichen fehlt es. „Wenn man einen Blick in unser System wirft, sieht man, dass hier mehrere hundert Arzneimittel, die wir bräuchten, nicht lieferbar sind“, sagt Nagele.

Fragt man beim Bundesgesundheitsministerium (BMG) nach, sieht die Lage allerdings ganz anders aus. „Anders als vielfach suggeriert, gibt es in Deutschland keine ‚Versorgungsknappheit‘ von Arzneimitteln, sondern punktuelle Lieferengpässe in einem sehr komplexen Markt“, erklärt eine Sprecherin des Ministeriums. Die Versorgungslage sei aktuell „deutlich stabiler als in den vergangenen beiden Jahren“. Aktuell sei nur noch ein Prozent der verschreibungspflichtigen Arzneimittel von Lieferengpässen betroffen.

Nagele kann darüber nur den Kopf schütteln. „Jeden, der so was sagt, würde ich bitten, mit einem Rezept in eine Apotheke zu kommen. Das ist eine Katastrophe.“ Das Einzige, was sich im Vergleich zum Vorjahr verbessert habe, sei die Verfügbarkeit von Fiebersaft für Kinder. Schließlich sei die Knappheit im vergangenen Jahr sehr medienwirksam gewesen. Nun ist das Arzneimittel wieder bestellbar.

Antibiotika-Säfte
sind Mangelware

Anders sieht es beispielsweise bei Antibiotika-Säften für Kinder aus. Zwar konnte Nagele seine Kunden in der Vergangenheit gut damit versorgen, aber auch nur, weil die Apotheke vorsorgen konnte und „immer kleine Mengen gehortet“ habe. „Aber würde ich jetzt akut einen bestellen müssen, könnte ich das nicht.“

Hierzu heißt es vom Gesundheitsministerium: „Die Apotheken und die vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen konnten sich mit Antibiotika- und Kinderfiebersäften nach den dem BMG vorliegenden Informationen gut bevorraten.“ Zudem zeige die Produktionsplanung pharmazeutischer Unternehmen, „dass mit einer den Bedarf übersteigende Verfügbarkeit über alle Antibiotika-Säfte hinweg zu rechnen ist.“

Laut Nagele liegt die gute Versorgung der Bürger allerdings hauptsächlich daran, dass die Apotheker alles daran setzen, die Medikamente zu beschaffen. „Wir lassen fast niemanden unversorgt“, sagt der Apotheker-Sprecher. „Aber nur, weil man organisiert, Alternativen findet und importiert.“ Engpässe und Nichtlieferbarkeit seien aber weiterhin da.

Sollen Ärzte Vorräte
vorhalten dürfen?

Für Dr. Michael Iberer, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Rosenheim, ist schwer zu sagen, welche Medikamente akut fehlen. In der Praxis erhalte er nur bedingt Rückmeldungen dazu. „Zuletzt gab es Schwierigkeiten bei bestimmten Antibiotika, Diabetesmitteln, Asthma-Notfallsprays, Mittel gegen Schwindel und einigen Blutdruckmedikamenten“, sagt er auf OVB-Anfrage. Impfstoffe, zum Beispiel gegen Tollwut oder Japanische Enzephalitis, waren knapp.

Bedenken mit Blick auf die Wintermonate hat Iberer allerdings keine. „Die Politik hat reagiert und fordert von den Herstellern ein gewisses Maß an Vorratshaltung. Auch wurden die Rahmenbedingungen in der Arzneimittel-Wirtschaft verbessert“, sagt Iberer.

Nach wie vor problematisch sieht Iberer allerdings die Tatsache, dass die „Herstellung der Grundsubstanz meist in Asien geschieht und es bei Produktionsausfällen häufig keinen Ersatz der Lieferanten gibt“. Als möglichen Lösungsansatz sieht Iberer das Dispensierrecht. „Hilfreich wäre es, wenn Arztpraxen Medikamente bevorraten dürften, denn wir als Ärzte wissen, was für unsere Patienten unbedingt erforderlich ist und könnten so besser reagieren“, sagt der Arzt.

Was ist das Dispensierrecht?

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