„Kein Bezug zu Rainer Gerth“

von Redaktion

Verstörende Obduktionsberichte und die erschreckende Biografie des Beschuldigten beschäftigten das Landgericht Traunstein am dritten Prozesstag rund um den Mord an dem Wasserburger Oberarzt. Die drängende Frage: Warum „musste“ er sterben?

Wasserburg/Traunstein – Warum „musste“ Rainer Gerth sterben? Diese und weitere Fragen beschäftigte die fünfte Strafkammer des Landgerichts Traunstein am gestrigen dritten Prozesstag. Eine Entscheidung des Gerichts blieb weiterhin aus, stattdessen war der dritte Verhandlungstag geprägt von Gutachten, Obduktionsberichten und der Biografie des Beschuldigten Dominik S. Er soll Gerth, Oberarzt der Forensik am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg, am 8. April in einem Wahnzustand getötet haben. Aufgrund seiner paranoiden Schizophrenie und der Opiatabhängigkeit gilt S. als schuldunfähig.

Drogenkarriere
des Beschuldigten

Schon früh muss seine Drogenkarriere begonnen haben. Von einem Cannabis-Konsum ab einem Alter von 13 Jahren, Ecstasy ab 14 Jahren, Kokain und Heroin-Konsum ab 15 Jahren ist vor Gericht die Rede. Ebenfalls früh kam S. deshalb mit dem Gesetz in Konflikt. Mehrere Vorverurteilungen trug Vorsitzender Richter Volker Ziegler vor. Das erste Urteil ist auf das Jahr 2000 datiert, damals war der heute 41-jährige S. gerade einmal 17 Jahre alt. Diebstahl diverser Wertgegenstände, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Erpressung und vorsätzliche Körperverletzung zählt Ziegler auf. Ein Jahr später eine Verurteilung wegen Handels mit Heroin. Dann Sachbeschädigung und wieder Diebstahl, dieses Mal von Medikamenten, Blanko-Rezepten und Spritzen. 2010 schließlich ein schicksalhaftes Urteil wegen Bedrohung mit einem Messer und einer Körperverletzung. S. wird gemäß Paragraf 64 zum Entzug in das kbo-Inn-Salzach-Klinikum (ISK) Wasserburg gebracht.

Zwei Jahre später kommt er in die Forensik des ISK, wo er wohl spätestens auch mit Rainer Gerth in Berührung kam. Hintergrund für die Verlegung: Zunehmende Wahnvorstellungen von S. Laut Urteil und Gutachten habe S. mehrfach den Glauben ausgesprochen, vergiftet zu werden, sowie weitere psychotische Erscheinungen und Anzeichen einer Erkrankung aus dem Bereich der Schizophrenie gezeigt.

Beides hätte wohl auch eine Rolle bei der vorher verurteilten Tat gespielt. Diese Erkrankung sei deshalb auch vordergründig zu behandeln, heißt es im Gutachten. Wobei Rainer Gerth, entgegen der Gerüchte, die in Wasserburg zu vernehmen sind, dieses nicht selbst verfasst hatte. „Es gibt keinen direkten, schriftlichen Bezug zu Rainer Gerth“, erläuterte der ermittelnde Beamte der Kriminalpolizei. Warum sich der Hass des Beschuldigten S. auf Gerth bezog, sei zumindest anhand der vorliegenden Urteile nicht nachvollziehbar.

Zweifel, dass S. die Tat begangen hat, bleiben am Ende des dritten Prozesstages kaum. Da sind die DNA-Spuren am Messergriff und an der zugehörigen Verpackung, beides unmittelbar neben dem Ort der Festnahme festgestellt. Da sind die Handydaten, die S. mehrere Male vom 3. bis zum 13. März und ab dem 7. April im Großraum zwischen Wasserburg, München und Traunreut erfassen. Da ist der Notruf am 8. April, abgesetzt von S. selbst, in dem er von einer Person an der ISK-Kirche spricht, die sich stellen wollte. Da ist der Kauf des Messers, wahrscheinlich am 11. März, für 1,99 Euro in Traunreut.

Beschuldigter gesteht
Tat in Briefen

Da ist auch das rechtsmedizinische Gutachten, das kaum Zweifel an den Hintergründen von Gerths Tod lässt. Keine Vorerkrankungen, keine anderen relevanten Verletzungen seien festgestellt worden, erklärte die sachverständige Rechtsmedizinerin Professor Bettina Zinka vor Gericht. Oberarzt Gerth erlag zweifellos einer Stichverletzung gegen die linke Brust. „Mit erheblicher Krafteinwirkung“ seien eine Rippe durchtrennt, der rechte Herzbeutel und die rechte Herzkammer eröffnet worden. Die Verletzung sei „sicherlich durch ein Messer“ ausgelöst worden.

Und dann sind da noch diverse Briefe seit der Tat, in der S. diese gesteht. „Ich sitze hier in Straubing, weil ich zweit-obersten Chefarzt der Forensik in Gabersee getötet habe“, schreibt er in einem und spricht von Vergiftungen, von Experimenten an kleinen Jungen, die durchgeführt würden, von einer Drohung gegen sein Leben, weshalb er „es tun musste“.

Wahrscheinlich war es dieser Wahn, der Rainer Gerth zum Verhängnis wurde. Von einem „Threat/Control Override“ sprach die sachverständige Gutachterin Dr. Susanne Lausch. Es sei ein Zustand, in dem schizophren erkrankte Personen überflutet würden von ihren Wahnideen, vor denen sie sich nicht mehr schützen könnten. „Dieser Zustand macht extreme Ängste, die als überwältigend erlebt werden. Die Betroffenen sind der Überzeugung: Ich kann nicht mehr ausweichen, entweder ich stelle mich dem Kampf oder ich werde selber untergehen“, so Lausch. Sie sprach von Schuldunfähigkeit, von aufgehobener Handlungsfähigkeit, empfahl eine dauerhafte Unterbringung nach Paragraf 64, insbesondere auch, da zweifelhaft sei, ob die Wahnvorstellungen von S. überhaupt noch durch Medikation beeinflussbar seien.

War Gerth ein
Zufallsopfer?

Offen blieb aber weiter die Frage: Warum traf es ausgerechnet Gerth? „Ich denke, er war ein Zufallsopfer“, erklärte Lausch. Als Oberarzt sei er wohl ein „Stellvertreter der Klinik“ gewesen, „die diese Machenschaften durchführt“, wie es der Beschuldigte formuliert habe.

Eine tragische Entwicklung, von der auch Gerth selbst wohl nichts mitbekommen hatte. Denn von dem Messerangriff wurde er wahrscheinlich überrascht. Verletzungen, die auf ein Kampfgeschehen hindeuten würden, seien jedenfalls weder am Geschädigten noch am Beschuldigten feststellbar gewesen, so Rechtsmedizinerin Zinka. Lediglich eine mögliche Abwehrverletzung, ein Messerstich am Arm, sei am Geschädigten feststellbar gewesen. Auch keine Meldung über eine Drohung habe dem ISK vorgelegen. „Laut Aussage des verstorbenen Chefarzts Dr. Stefan Gerl machte Rainer Gerth in den Tagen zuvor keinerlei nervösen Eindruck“, erklärte ein Kriminalpolizist.

Eine Entscheidung des Gerichts wird am heutigen Dienstag erwartet.

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